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Immer wieder nachdenken!

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FURCHE: Können Sie sich daran erinnern, wann und unter welchen Umständen die Wiener Festwochen gegründet wurden?

STOSS: Es gab schon Wiener Festwochen in den dreißiger Jahren, die dann mit dem Einmarsch der deutschen Truppen ein jähes Ende nahmen. Nach 1945 war zunächst nicht daran zu denken, wieder Festwochen zu veranstalten, aber etwa um das Jahr 1950 oder 1951 herum hatte der damalige Kulturstadtrat Mandl die Idee, gerade durch die Wiedereinführung der Wiener Festwochen die Tatsache zu betonen, daß Wien trotz allem wiederum imstande sei, ein kulturelles Zentrum zu werden. So sind die Wiener Festwochen dann noch zu der Zeit wieder gegründet worden, als noch die Besatzungsmächte im Land waren. Stadtrat Mandl vertrat die Meinung, daß die Wiener Festwochen nicht etwa in Konkurrenz zu den Salzburger Festspielen oder anderen großen internationalen Festivals treten sollten, sondern in erster Linie ein Fest für die Wiener sein sollten, also ein Fest, das nicht nur in ein paar Theatern stattfinden sollte, sondern ein Fest, das die gesamte Wiener Bevölkerung erfassen möge. Daher gab es von Anfang an eine große Anzahl von kleinen Veranstaltungen in den einzelnen Wiener Bezirken. Zunächst haben diese Wiener Festwochen auch durchaus einem wirklichen echten Verlangen der Bevölkerung entsprochen. Im Laufe der Jahre trat aber eine gewisse Änderung der Mentalität der Bevölkerung ein und damit begannen die Krisen um die Wiener Festwochen.

FURCHE: Sollte man nicht darüber nachdenken, ob in der heutigen Zeit ein anderes Konzept richtiger wäre?

STOSS: Man soll natürlicherweise immer über alles nachdenken und man soll sich selbstverständlich darüber den Kopf zerbrechen, ob ein anderes Konzept nicht richtiger wäre. Da hieße es allerdings in erster Linie, sich die Frage zu stellen, für wen die Wiener Festwochen gemacht werden und an wen sie sich richten. Wenn man die bisherige herrschende Lage beibehält, daß es sich nämlich sozusagen um ein Fest der tausend Veranstaltungen handelt, so wird sich schwerlich ein wesentlich anderes Konzept finden lassen. Will man aber ein wesentlich anderes Konzept haben, so müßte man aller Wahrscheinlichkeit nach das Gießkannenprinzip, nach dem jetzt die Wiener Festwochen bestritten werden, aufgeben.

FURCHE: Könnten nicht die Bundestheater doch dazu veranlaßt werden, in den Sommermonaten in Wien musikalische Veranstaltungen zu geben, und wäre es nicht auch sinnvoll, eine Reihe von schönen Plätzen in Wien dazu zu benützen, um dort Freilichtaufführungen zu veranstalten oder, noch weiter gefragt: Sollte man nicht vielleicht die Wiener Festwochen auch zu einem anderen Termin veranstalten?

STOSS: Aus praktischen Gründen wird sich eine Verlegung der Wiener Festwochen kaum bewerkstelligen lassen. Es ist doch bekannt, daß die Bundestheater in den Monaten Juli und August geschlossen sind. Diese Schließung ist aber faktisch unvermeidlich, da sowohl Orchester wie technisches Personal der Bundestheater jeweils wichtige und unersetzbare Mitwirkende sowohl der Salzburger als auch der Bre-genzer Festspiele sind. Es ließe sich also wohl denken, daß man unter Umständen Sänger in den Monaten Juli und August bekommen könnte, praktisch undurchführbar ist es aber, das nötige technische Personal und das nötige Orchester in diesen Monaten zur Verfügung zu haben. Alle Versuche müssen an den Vereinbarungen, die zwischen dem Bundestheaterverband und den entsprechenden Gewerkschaften bestehen, scheitern. Ich sehe auch kaum eine Möglichkeit, auf Wiener Plätzen Freilichtveranstaltungen zu machen. Ich erinnere daran, daß es solche Freilichtveranstaltungen ja in den späten fünfziger und in den frühen sechziger Jahren gegeben hat, und zwar waren das Aufführungen teils des Burgtheaters, teils des Theaters in der Josefstadt auf dem Platz vor der Alten Universität. Schon damals waren diese Aufführungen außerordentlich durch den Straßenlärm gestört. Man hatte zwar die unmittelbare Umgebung der Spielstätte abgeriegelt und den Autoverkehr umgeleitet, trotzdem aber war der Straßenlärm auch von den weiter entfernt liegenden Straßen und Plätzen so stark zu hören, daß damals bereits die Vorstellungen empfindlich gestört'wurden. Bei der heutigen Dichte des Verkehrs und der Unmöglichkeit, ja etwa weiträumige Verkehrssperren vorzunehmen, ohne ein Chaos hervorzurufen, sehe ich also aus rein künstlerischen Gründen keine Möglichkeit, auf solchen Plätzen in Wien Freilichtveranstaltungen zu machen.

FURCHE: Was könnte man dem neuen Festwochenintendanten für positive Vorschläge machen?

STOSS: Ich könnte mir denken, daß man etwas wieder neu belebt, was einstmals eine große Attraktion war, nämlich die Veranstaltung von großen italienischen Opernstagiones auf Sportplätzen. So gab es einstmals auf der Hohen Warte sehr erfolgreiche Opernstagiones mit „Aida“, „Cavalleria rusticana“, Bajazzo“ und ähnlichen Opern, die damals auch sehr gut besucht waren. Eine sehr beliebte Attraktion waren auch durch Jahre die Vorstellungen des sogenannten Paw-latschen-Theaters, die vor dem Schloß Schönbrunn stattfanden. Auch hier glaube ich, würde eine Wiederbelebung großes Interesse finden. Vielleicht wäre auch zu überlegen, ob man die Wiener Festwochen nicht, ähnlich wie das etwa in Berlin geschieht, auf andere Termine legen sollte. Das heißt, ob man sie nicht etwa in einen musikalischen Teil und in einen anderen Teil mit Sprechstücken, literarischen Veranstaltungen usw. unterteilen sollte, denn jetzt ist es doch tatsächlich so, daß innerhalb der vierwöchentlichen Wiener Festwochen so viele Veranstaltungen gleichzeitig stattfinden, daß sie sich zum Teil gegenseitig erschlagen. Vielleicht ließe sich also darüber diskutieren, daß man beispielsweise von Mitte April bis Mitte Mai vorwiegend literarische oder theatralische Ereignisse konzentriert, dafür aber dann von Mitte Mai bis Mitte Juni sich nur auf den musikalischen Sektor konzentriert.

FURCHE: Haben Sie auch das Interview von Herrn Intendanten Baumgartner im Kurier gelesen? Was sagen Sie dazu?

STOSS: Ja, ich habe es gelesen. Ich muß sagen, um mich sportlich auszudrücken, daß sicherlich Intendant Ulrich Baumgartner unter seinem Wert geschlagen wurde. Aber das ist ia nun das ewige österreichische Schicksal, daß man immer erst im nachhinein entsprechend gewürdigt wird. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß in' späteren Zeiten vieleicht einmal, wie das ja nun beim Burgtheater seit nahezu an die 200 Jahre geschieht, nostalgisch festgestellt werden wird: Was waren das doch für goldene Zeiten unter der Intendanz von Ulrich Baumgartner! Damit möchte ich aber in keiner Weise gegen seinen Nachfolger polemisieren, denn selbstverständlich wird eines Tages dann auch der Slogan auftauchen: Was waren das doch für goldene Zeiten unter der Intendanz von Gerhard Freund. Die goldenen Zeiten gibts eben in Österreich immer nur in der Erinnerung.

Das Interview mit Direktor Franz Stoss führte György Sebestyin.

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