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Immer Zeit zum Zuhören haben

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Seit der Gründung des Hospizes St. Christopher's in London (1967) sind Hospize in Großbritannien, in Kanada, in den USA, in Australien, Neuseeland, Polen, Italien, Norwegen und Südafrika entstanden. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wurden neuerdings Hospize eröffnet: in Aachen (1986) und in Recklinghausen (1988). Dazu kommt seit 1983 eine Palliativstation an der Kölner Chirurgischen Universitätsklinik zur Ergänzung der Nachsorge für operierte Krebspatienten.

Ein Blick auf die Statistik, soweit diese zur Erhellung des Mysteriums des Sterbens überhaupt etwas beitragen kann: Im Londoner St. Christopher's Hospice wurden von 1983 bis 1987 insgesamt 280 Aufnahmen registriert.

82 Prozent litten bei der Aufnahme unter starken Schmerzen, bei 44 Prozent zeichnete sich bereits die nahende Sterbephase ab. Die Aufenthaltsdauer lag zwischen einem Tag und 130 Tagen. Sie betrug im Mittel 24 Tage. Etwa die Hälfte der aufgenommenen Patienten starb im Hospiz, einem hohen Prozentsatz konnte das Sterben daheim ermöglicht werden. Es heißt, daß dank der guten Betreuung und Schmerzlinderung von keinem Patienten aktive Sterbehilfe erbeten worden ist.

Darüber, wie es in einem britischen Hospiz zugeht, hat die Österreicherin Riki Friesenbichler nach einem Aufenthalt als Helferin in Sheffield berichtet (zitiert aus dem Mitteilungsblatt „Hospiz“ der Internationalen Gesellschaft für Sterbebegleitung und Lebensbeistand):

„Ein starker Eindruck war ein Konzert mit zwei Unterhaltern (Dame im Glitzerkleid, Herr im Glänzersmoking), die sehr gekonnt

und mitreißend, gänzlich unbeeindruckt von der geringen Zuhörerzahl, bekannte Lieder gesungen haben. Die Wirkung war ganz erstaunlich:

Eine 82jährige Patientin, die sonst fast völlig teilnahmslos alles mit sich geschehen läßt, ist richtig aufgewacht, hat schließlich sogar ins Mikrophon gesungen und sich über den Applaus sichtlich gefreut.

Ein 60jähriger Patient mit Hirntumor und Halbseitenlähmung, kaum responsiv und immer sehr traurig, beginnt mit dem gesunden Fuß den Takt zu klopfen und mit lauter Stimme mitzusingen, er strahlt dabei förmlich.

Während einer pflegerischen Verrichtung an einem 80jährigen Patienten, mit Rückenmarksmetastasen und Lähmung der unteren Körperhälfte, beginnt dieser von seiner Kindheit und Jugend zu erzählen. Weil das in einem Hospiz geschieht, ist es möglich, daß ich bei ihm sitzen bleibe, seine Lebensgeschichte anhören, solange er es möchte. Niemand fordert mich auf, .etwas zu tun'.

Und ich selbst habe keine Schuldgefühle den anderen Schwestern gegenüber. Wenn ein Mensch reden oder fragen möchte, so ist immer jemand da, um zuzuhören oder zu antworten, um einfach dazusein. Und immer ist jemand da, wenn eine der Pflegerinnen reden möchte.

Eine 64 jährige Patientin mit Lungenkrebs und Metastase im Gehirn wünscht sich eines Nachts um halb zwölf einen Tee mit Toast. Und sie bekommt Tee mit Toast um halb zwölf in der Nacht. Und sie bekommt den Tee in einer hübschen Porzellantasse und mit einem freundlichen Lächeln...“

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