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Immerhin — ein interessanter Versuch'

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Seit fast 23 Jahren ist Kostarika das einzige Land der Welt ohne Heer, ein Land ohne Verteidigungsministerium, ohne Ministerium des Heeres, der Luftstreitkräfte oder der Marine. Kostarika ist eines der fünf Länder Zentralamerikas. Zu Zentralamerika rechnen sich außerdem Guatemala, El Salvador, Nikaragua und Honduras. Ihre Zusammengehörigkeit, die aus der spanischen Kolonialzeit stammt, wird heute noch durch die Autonummern gekennzeichnet, bei denen außer den Namen des Staates auch noch die Zugehörigkeit zu Zentralamerika vermerkt ist. Trotz der historischen, kulturellen und sprachlichen Verbindung, die darüber hinaus nach Mexiko und Panama reicht, haben sich alle diese Länder auf dem Isthmus selbständig weiterentwickelt und sind äußerst bedacht auf ihre nationale Unabhängigkeit. Schlagzeilen, die manchmal von Spannungen und sogar kleineren Militärexpeditionen berichten, waren gerade in den letzten Jahren nicht ganz selten. Man denke an den Fußballkrieg zwischen El Salvador und Honduras. Auch heute bestehen Spannungen zwischen El Salvador und Honduras. Trotzdem ist es Kostarika seit 1949 gelungen, ohne Militär zu existieren. Wie war dies möglich?

Der Großteil der Bevölkerung, der Industrie und der Verwaltung befindet sich auf der „Meseta", in dem Hochtal, das zwischen den Vulkanen und Bergen in der Mitte des Landes liegt. Eine einzige Straße, die Interamerikanische, durchquert Kostarika, von Nikaragua kommend, bis Panama. Eisenbahnverbindungen zu den Nachbarländern existieren keine, sondern lediglich eine Linie zum Pazifik und eine Linie zum Atlantik, die einzige Verbindung überhaupt, da es bis heute keine Straße zum Atlantik gibt. Die von tropischen Regenfällen verursachten Schäden verschlingen jährlich so große Summen für die Aufrechterhaltung der Eisenbahn, daß bisher an keinen Straßenbau zum Atlantik gedacht werden konnte. Außer der Straßenverbindung nach Nikaragua und Panama führt nur der Seeweg zu den Nachbarländern. Im übrigen bilden große Urwälder und Sümpfe unüberwindliche Hindernisse für jede militärische Operation. Die Grenzgebiete sind übrigens fast menschenleer und nur von kleinen, fast unberührten Indianerstämmen bevölkert. Territoriale Schwierigkeiten mit den Nachbarn gibt es nicht.

Die sozialen Unterschiede sind in Kostarika lange nicht so groß wie in den anderen lateinamerikanischen Ländern. Die Rassenmischung der weißen Eroberer und Einwanderer mit den Eingeborenen, den „Indigenas" — bei uns als Indios bekannt — und zu einem geringen Prozentsatz mit Negern, verhindert alle Rassenprobleme. Dabei ergibt sich eher ein Übergewicht der weißen Rasse, im Gegensatz zu Guatemala, das fast ein Indiostaat ist.

Übereinstimmend war man in Kostarika gegen Ende der vierziger Jahre der Auffassung, daß Militär, Offiziere und vor allem politisierende Generäle von der Macht auszuschließen seien. Militär schien zur Verteidigung des Landes nicht nötig zu sein. Damit ist aber nicht gesagt, daß es keine bewaffneten Truppen gibt. Alle, die Kostarika immer wieder als das Beispiel eines Landes ohne Heer nennen, verfallen einem fundamentalen Irrtum. Selbstverständlich gibt es bewaffnete Truppen. Das Kind heißt nur anders. Es gibt, neben dem Innenministerium, ein Ministerium de la Seguridad Publica (Ministerium für öffentliche Sicherheit). Dem Innenminister ist nur die Landpolizei unterstellt. Dem Ministerium für öffentliche Sicherheit die gesamte Stadtpolizei, Kriminalpolizei, Staatspolizei und vor allem die kasernierte Guardia Civil. Die Guardia Civil ist nach unseren Begriffen mit einer kasernierten Schutztruppe zu vergleichen. Sie ist-uniformiert und mit schweren Waffen, leichten Geschützen und Panzerfahrzeugen auf Rädern ausgerüstet. Diese im

Lande verteilte, kasernierte Guardia Civil, die auch über eine „Militärpolizei" verfügt, ist eine hervorragend ausgebildete und disziplinierte Truppe. Sie ist durchaus befähigt, für Ordnung im Innern zu sorgen, wie auch in der Lage, kleineren Grenzzwischenfällen zu begegnen. Die führenden Posten der Guardia Civil, wie auch im Ministerium für öffentliche Sicherheit werden bei jedem Regierungswechsel ebenfalls ausgewechselt. Ein eher teures Unternehmen, da jedesmal die führenden Offiziere neu ausgebildet und instruiert werden müssen, wie auch ein Großteil der Unteroffiziere und selbst der Mannschaften. Es gibt daher viele ehemalige Soldaten, die vier, fünf oder sechs Jahre während einer Regierungsperiode Soldaten und Offiziere waren und heute in anderen Berufen stehen, während heute aus anderen Berufen wieder Offiziere und Soldaten werden. Für den in der Verfassung vorgesehenen Ernstfall ist auf alle Fälle genügend ausgebildetes Personal vorhanden, um sofort eine Armee auf die Beine zu stellen. Inwieweit sich allerdings die Guardia Civil in einem wirklichen Ernstfall bewähren würde, mußte glücklicherweise noch nicht erprobt werden.

Es ist auf jeden Fall ein interessanter Versuch eines kleinen Landes. Ein völliger Verzicht auf bewaffnete Truppen ist unmöglich, wie auch dieses Beispiel zeigt. Nur die Form, die man den Verteidigungs- oder Sicherheitstruppen gab, ist hier neu, vor allem für Lateinamerika. Das Beispiel könnte viele kleine Länder in der Welt zum Uberdenken ihrer militärischen Situation veranlassen, besonders hinsichtlich der enormen Kosten moderner Armeen, die dennoch nie den modernsten Stand der Rüstung einhalten können. Die kostarikanische Lösung, mit ihrer „Guardia Civil" genannten Sicherheitstruppe, die natürlich im Ernstfall der Unterstützung des ganzen Landes bedarf, ist immerhin ein interessanter Versuch. Eine Abrüstung aller mittleren und kleineren Länder auf den Stand der Bewaffnung von Kostarika würde wesentlich dem Sicherheitsbedürfnis dieser Länder entsprechen, zum Frieden und zur Entspannung beitragen und unnötige Ausgaben vermeiden.

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