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Impulslose Kirche?

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Die Diskussion um die gesellschaftspolitische Impulskraft der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, konkretisiert in dem Vorschlag, ein Nationalkomitee der österreichischen Katholiken zu schaffen, läuft. Sie läuft breiter und intensiver, als man oft wahrhaben will oder auch wahrhaben kann. Um es gleich vorweg zu sagen: was mit diesen Zeilen ausgesprochen sein will, ist beim gegenwärtigen Stand des Gespräches ein klares Plädoyer für dieses selbst. Jene Stimmen, die besorgt sind um die Pluralität, um die politische Offenheit der Kirche, die warnen vor Uniformität und Gleichschritt, haben recht.

Man sollte aber Mißverständnisse nicht kultivieren! Was notwendig erscheint, sind Fragen, die außer Streit zu stellen wären: Es darf kein Zurück zu archaischen Strukturen der Kirche geben. Es darf keinen Verzicht für die Offenheit der Wahrheiten der anderen geben. Und damit auch kein Zurück zu direkten parteipolitischen Schutzmächten der Kirche oder gar ein Zurück zu einer Kirchenpartei.

Jene Stimmen aber, die deutlich und deutlicher anmelden, daß es an Kommunikation und klaren Strukturen im Katholizismus mangle, und die sich eine größere Wirksamkeit, also Impulskraft, der Katholiken nach außen wünschen, haben ebenfalls recht. Der Pluralismus bis zur Sprachlosigkeit (Gerhard Schuhes) bedeutet gleichfalls eine legitime Herausforderung zur Nachdenklichkeit über die gegenwärtige Verfaßtheit der Katholiken.

In seiner letzten großen Silvesterpredigt sagte der Münchner Kardinal Ratzinger: Wo vom Glauben keine Impulse mehr ausgingen, verfalle das Christliche in der Politik entweder zu vernunftloser revolutionärer Begeisterung oder zu leerem Konservatismus. Das Dilemma einer umfassenden und nicht mehr zu übersehenden Identitätskrise der Katholiken hinsichtlich ihres Weltauftrages und ihrer Gesellschaftswirksamkeit scheint mir damit sowohl nach innen wie nach außen zutreffend umschrieben zu sein. Das Wertvollste an dieser Aussage aber ist ohne Zweifel, daß damit die untrennbare Interdependenz von innerkirchlicher Verfaßtheit und Glaubensstärke einerseits und gesellschaftspolitischer Wirksamkeit anderseits markiert erscheint. Angesprochen also ist der ehrliche und umfassende Innendialog zwischen den katholischen Gruppierungen. Aus der Pluralität der kraftlosen Partikularisten sollten wir zur Pluralität der konkretisierten und konkretisierbaren Weltverantwortung kommen, .....damit aus pluralen Zugängen und Sichten Einmütigkeit entsteht“ (Prof. Hans Maier).

Einer daran orientierten innerkirchlichen Auseinandersetzung kommt nicht nur „Thermostat-Charakter“ zu, also die permanente Regelung und Adaptierung aktiven und wertbewußten Verhaltens gegenüber den jeweiligen Herausforderungen durch die politischen Kräfte, sondern auch „Bewegungs-Charakter“ mit Zielorientierung. Das Christliche in der Politik ist ohne jede parteipolitische Einengung in einer Zeit, da das allgemeine Wertbewußtsein an und für sich deutlich im Schwinden ist und anderseits ethisch-politische Vorstellungen wieder verlangt werden, als unverzichtbarer Beitrag anzusehen.

Was der engagierte Katholik in Österreich zur Kenntnis nehmen muß, ist nicht mehr aber auch nicht weniger als der Bedarf nach einer ordnenden Dauerrefiexion über den Zustand der Rolle, die das Christliche in einem heute nicht mehr geschlossenen Wertsystem, also in der offenen pluralen Gesellschaft spielt. Beläßt die Kirche einfach ihre gegenwärtige Organisationsform, dann wird sie die Erfahrung machen müssen, daß sie, wie jede andere Gemeinschaft, nicht von der Erstarrung (auch relativ neuer Ordnungen), sondern nur aus der Bewegung leben kann. Die Grundhaltung des Wegstreicheins oder gar des Annullierens von Spannungen führt zu Aner-kennungs- und Vertrauensverlust. Der Apostolische Nuntius für Österreich, Dr. Mario Cagna, sagte deutlich: „Es kommt in unserer Zeit darauf an, daß Christen ihre politische Verantwortung realisieren und nach ihrem Gewissen das Antlitz der gesellschaftlichen Veränderungen mitgestalten.“ Die Frage kann also nicht mehr lauten, ob sich das Christliche politisch engagieren soll, sondern wie es sich diesbezüglich zu etablieren hat

In einer Zeit, da die Gesellschaft unübersehbar die Kirche in eine Art „Indianer-Reservat“ verweisen will und da neue Macht- und Ideologieinstitute keimfrei und achristlich aufgebaut werden, können der bloße plurale Wildwuchs und spontane partikuläre Stellungnahmen gegenüber der Öffentlichkeit nicht mehr genügen.

Man soll sich gegenüber dieser historisch-politischen Erfahrung nicht auf Christus berufen, der die Christen in Dingen, in denen sie vom Glauben her frei sind, befreit hat. Natürlich stimmt dieser Satz. Er trägt aber dort nicht, wo wir heute wiederum viel mehr dem Imperativ zu folgen haben, Salz der Erde zu sein. Politische Differenzierungen unter den Katholiken können, müssen aber nicht legitim sein. Die Unterscheidungsgabe ist uns heute mehr denn je abgefordert, wo die Einmütigkeit verlangt ist, damit das Angebot des Christlichen für die Gesellschaft sowohl respektabel wie aber auch respektierbar wird.

Ein Konzept der Furchtlosigkeit hin zur Fruchtbarkeit ist uns abverlangt. Und dies wird nur dann möglich sein, wenn die Kirche hinsichtlich ihrer Weltverantwortung parteifrei, aber als glaubwürdige autonome Kraft auftritt. Auch in diesem Sinne se^difises Plädoyer zur Diskussion auch ein. Plädoyer zu neuen tauglichen. Strukturen.

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