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In Asien kreist jeder jeden ein

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Nimmt man die politischen Kommentatoren beim Wort, ging's in Washington letzte Woche recht gemütlich zu. Denn ihren Aussagen zufolge wurde in der Zentrale der westlichen Supermacht Karten gespielt - ein weltpolitisch makabres Spiel allerdings: Chinas Vize-Premier Deng Xiaoping spielt die amerikanische, US-Präsident Carter die chinesische Karte. Freilich hat auch der Kreml-Chef für die nächsten Runden einige Trümpfe auf Lager - und wer weiß: Vielleicht kann er schon demnächst den Iran als hohe Trumpfkarte mit ins Spiel bringen?

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Nimmt man die politischen Kommentatoren beim Wort, ging's in Washington letzte Woche recht gemütlich zu. Denn ihren Aussagen zufolge wurde in der Zentrale der westlichen Supermacht Karten gespielt - ein weltpolitisch makabres Spiel allerdings: Chinas Vize-Premier Deng Xiaoping spielt die amerikanische, US-Präsident Carter die chinesische Karte. Freilich hat auch der Kreml-Chef für die nächsten Runden einige Trümpfe auf Lager - und wer weiß: Vielleicht kann er schon demnächst den Iran als hohe Trumpfkarte mit ins Spiel bringen?

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Die beiden kommunistischen Großmächte, die einander anfeinden wie Hund und Katze, plagen dieselben geopolitischen Alpträume. Denn beide glauben in jedem Winkel dieser Welt, in dem sich die politischen Kräfteverhältnisse verschieben, ein Glied in der Kette einer großangelegten Einkreisungsstrategie erkennen zu müssen. Und wenn sich solches unmittelbar an derGrenze der Sowjetunion oder Chinas abspielt, wird der Alptraum zum unmittelbaren Horrorerlebnis. Kein Wunder also, daß die jüngsten Ereignisse auf dem asiatischen Kontinent die geopolitische Lage im höchsten Maß dramatisiert haben.

Die russische Zwangsvorstellung, das Opfer einer weltweiten Verschwörung zu werden, ist freilich keine kommunistische Errungenschaft. Auch die Vorgänger der KP-Funktionäre im Kreml, die Zaren, lebten in ständiger Angst vor einer Einkreisung und begegneten den wirklichen und scheinbaren Bedrohungen von außen mit grenzenlosem Expansionismus.

Im Gegensatz dazu war die chinesische Außenpolitik in der Vergangenheit weniger imperialistisch im Sinne geographischer Ausweitung. Ein starkes Sicherheitsbewußtsein und

„Die russische Zwangsvorstellung, das Opfer einer weltweiten Verschwörung zu werden, ist keine kommunistische Errungenschaft“

das Gefühl kultureller Überlegenheit trugen dazu bei, daß die Politik Chinas im wesentlichen defensiv war.

Wie gefährlich die Chinesen dennoch sein können, haben die Amerikaner in Korea, die Inder in Tibet und die Sowjets am Ussuri erfahren müssen. Diese drei Beispiele zeigen auch, wann Peking aktiv wird: wenn die Sicherheit Chinas durch Vorfälle unmittelbar an der Grenze gefährdet erscheint. Und für Peking ist deshalb der im vergangenen Herbst geschlossene Militärpakt zwischen der Sowjetunion und Vietnam sowie die von Hanoi aus dirigierte und unterstützte Eroberung Kambodschas eine unmittelbare Bedrohung chinesischer Sicherheitsinteressen.

Nicht zuletzt in diesem Lichte muß auch der Besuch des chinesischen Vize-Premiers Deng Xiaoping in den USA gesehen werden. Der Chinese hat dabei aus seinen Zielen kein Hehl gemacht, seine Absichten waren klar: einerseits amerikanische Mithilfe bei der Modernisierung Chinas, anderseits die Bildung einer Achse Peking - Tokio - Washington! Es ist unverkennbar, gegen wen ein solches Bündnis gerichtet wäre.

Einen sichtbaren Erfolg hat Deng jedenfalls in Washington erzielt, wenn man annimmt, daß die Antihegemonieklausel - die auch im Freundschaftsvertrag mit Japan festgeschrieben ist - oberstes außenpolitisches Axiom Pekings ist: Denn der Grundsatz, daß man dem sowjetischen Streben nach regionaler und

globaler Beherrschung Einhalt gebieten müsse, ist auch in dem sorgfältig erarbeiteten Schlußkommunique zu finden.

Moskau hat zwar mit dem Sieg der „stellvertretenden vietnamesischen Aggressoren“ in Kambodscha einen weiteren Erfolg bei seiner Einkreisungsstrategie gegen Peking feiern können.

Was die Kreml-Herren aber damit erreicht haben, ist das Gegenteil von dem, was sie bezweckt haben: eine weitere Isolierung Moskaus im weltpolitischen Mächtekonzert. Nebeneffekt dieser Selbstisolierung durch aggressive außenpolitische Abenteuer vor allem in Asien und Afrika ist außerdem das Zusammenrücken der anderen Großmächte, wie der japanisch-chinesische Friedensvertrag, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Washington und Peking und der chinesische Vorschlag zur Bildung einer Achse aller dieser drei Mächte gezeigt haben.

Dennoch: Die Sowjets sind geopo-litisch absolut nicht ins Eck gedrängt. Vorläufig haben sie in Südostasien mit Vietnam einen verläßlichen Bündnispartner gefunden, der

bis jetzt durchaus eine Politik im Sinne der Moskauer Zentrale verfolgt hat. Wie lange Hanoi sowjetische Machtinteressen in Indochina vertritt, ist aber eine Frage, die man durchaus stellen kann.

Und wie die Annäherung Nordkoreas an Peking zeigt, hat Moskau nicht gerade die geschickteste Hand im Umgang mit kleineren kommunistischen Partnern, denn diese lassen sich nicht unbedingt als Marionette im großen kommunistischen Bruderstreit mit China einsetzen.

Eine Stabilisierung des indochinesischen Raums ist jedenfalls weit und breit nicht in Sicht. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß Kambodscha noch nicht ganz in der Gewalt der Vietnamesen ist, was die im ganzen Land immer wieder aufflammenden Kämpfe und die Verlegung weiterer vietnamesischer Truppenteile in das Kampfgebiet ja auch beweisen.

Die Sorgen der Chinesen - und nicht nur der Chinesen - sind freilich nicht nur auf den südostasiatischen Raum beschränkt: Die Verschiebung der Gleichgewichte in Südasieri hat den Sowjets viele Möglichkeiten zur

Intervention eröffnet und läßt die Si-cherheits- und Energiepolitiker des Westens, Chinas und Japans nicht mehr ruhig schlafen.

Denn nicht nur die Ereignisse in Iran haben Moskau in die hoffnungsvolle Lage gebracht, die dominierende Rolle in dieser Region zu spielen. Zu den möglichen Opfern sowjetischer Machtpolitik muß auch das sich immer mehr desintegrierende Pakistan gezählt werden. In Afghanistan, am Horn von Afrika, in Teilen der arabischen Halbinsel und des Indischen Ozeans haben die Sowjets schon unmittelbar eingegriffen.

Die „Neue Züricher Zeitung“

schreibt in diesem Zusammenhang von einem „politischen Zangengriff, der sich von den sowjetischen Positionen im östlichen Afrika und am Roten Meer über Südjemen und von einem sozial unruhigen, politisch völlig unberechenbar werdenden Persien her um die Kernregion der globalen Energieversorgung schließt.“

Rückschläge haben die Sowjets bisher dort erlitten, wo die Stoßrichtung ihrer Nahostpolitik in jüngster Zeit primär hinzielte: in den Erdölstaaten selbst. Doch der Kollaps des Schah-Regimes, das einen Sperriegel zwischen der Sowjetunion und dem Golf darstellte, hat vorerst ein Macht-Vakuum hinterlassen, das aufzufüllen nur ureigenstes Interesse der Sowjetunion sein kann. Es hängt ,vom Ausgang des Machtkampfes in Teheran ab, ob Moskau das gelingt. Soviel scheint dennoch sicher: ein Bürgerkrieg zwischen den Anhängern Khumeinis und den Ministerpräsident Bakhtiar politisch ergebenen Kräften erhöht die Chancen Moskaus, durch die Hintertür an den Golf zu gelangen.

Die Rolle des Polizisten am Golf, die der Schah bis zu seinem Sturz ganz im Sinne der Amerikaner gespielt hatte, dürfte in Zukunft Saudiarabien allein zufallen, wenn auch

„Die Verschiebung der Gleichgewichte in Südasien hat den Sowjets viele Möglichkeiten eröffnet“

in einem kleineren Rahmen und nur auf seiner Seite des Golfes. Militärisch wären die Saudis darauf jedenfalls gut genug vorbereitet.

Auf der Verliererseite stehen nach den jüngsten Umwälzungen in diesem Raum die Amerikaner. Ihre Glaubwürdigkeit ist nach der juridischen Aufgabe Taiwans und des Schah-Regimes bei den prowestlichen Ländern des Orients stark angeschlagen.

Generell läßt sich für das geopolitische Schachspiel auf dem Kontinent, der Afrika in jüngster Zeit den ersten Rang als geopolitischer Konfliktherd abgelaufen haben dürfte, nur soviel sagen: Moskau bieten sich in Asien vielerorts Chancen, die Initiative zu ergreifen und strategisch wichtige Positionen in seine Hände zu bekommen. Die Opponenten - der Westen, Japan und China also - haben das Spiel aber noch keineswegs verloren. Durch eine geschickte Politik, die auf die Interessen der beteiligten Staaten aufbaut und diese nicht mißbraucht, ist der russische „Polarbär“ (Deng) noch immer zu bändigen.

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