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In Basra nichts Neues

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In der Wüste von Arabistan, wo im Vorjahr Ende Juli der Irak seine schweren Abwehrschlachten gegen Chomeinis „Jerusalem-Offensive" gewonnen hat, herrscht in diesem Sommer völlige Ruhe. Eine Grabesruhe allerdings, wenn man an die Tausenden Gefallenen auf beiden Seiten denkt, die hier unter dem Sand liegen oder da und dort noch immer als Gerippe in der Sonne bleichen.

Die Ebene östlich vom Tigris ist heute ein ungefährlich wirkendes Manövergelände für die russischen Panzer der Dritten Irakischen Armee. Doch vielleicht trügt der Schein:

General Saad Tuma jedenfalls, der Oberbefehlshaber an der Südfront gegen Iran, spricht von Vorbereitungen der Ayatollahs für eine neue Offensive. Die Perser bemühten sich fieberhaft, ihre Dampfwalze an „Streitern Gottes" von ihrem gegenwärtigen Stand mit etwa 230.000 Mann auf gut das Doppelte zu erhöhen und neuerlich gegen den Irak loszulassen. Hier will nämlich Chomei-ni in der heiligen Schiitenstadt Nadschaf begraben werden und zugleich an den Irakern Rache für seine Verbannung in diese Stadt von 1965 bis 1978 nehmen.

Der Starrsinn des Alten von Teheran ist die eigentliche Triebfeder für die Fortführung eines nun schon bald dreijährigen Krieges, der kaum zu gewinnen ist und allen Seiten nur Schaden bereitet.

Die iranischen Kommandanten in Abadan und Muhammera auf der anderen Seite des Schatt al-Arab scheinen jedenfalls ihrerseits alles zu tun, um das Kriegsfeuer wenigstens auf Sparflamme zu halten. Ihre Artillerie gibt jeden zweiten, dritten Tag ein paar Schüsse ab. Sie sind aber so schlecht gezielt, daß sie meist nicht in irakischen Stellungen, sondern nur allzu oft in zivilen Einrichtungen oder gar mitten in Basra landen.

Abgesehen von solchen Granattrichtern und Einschüssen in den Häusern ist der irakischen Golf-Metropole nur an ihrer kriegs- und krisenhaft übersteigerten Lebenslust anzumerken, daß sie nur wenige Kilometer hinter der Front liegt. Hier ist noch alles zu haben, was in der Hauptstadt Bagdad schon längst der Kriegswirtschaft und Truppenbetreuung zum Opfer fallen mußte: Bier, Zitronen, Fruchtsaftkonserven und leichte Mädchen.

Jeden Abend stürmen Urlauber von Heer und Volksmiliz, malaiische Gastarbeiter und europäische Fachkräfte für den ungebrochen weitergehenden Bauboom die Nachtlokale von Basra und feiern mit aus Brasilien eingeflogenen Tanga-Tänzerinnen bis in den frühen Morgen. Ein Tanz auf dem Vulkan, der Islamische Revolution heißt.

Von seinem Feldherrnhügel auf einer Insel im Schatt spricht am nächsten Tag ein anderer irakischer Kommandant sehr ernste Worte: Der neue iranische Angriff sei — wie schon im Vorjahr — zu den irakischen Revolutionsfeiern vom 17. bis 30. Juli geplant gewesen. Schwierigkeiten bei der Aufstellung einer neuen „Menschenlawine" und der fehlende revolutionäre Widerhall bei den Schiiten des Südirak hätten die Offensive nur verzögert.

Besonderes Kopfzerbrechen mache den persischen Revolutionswächtern eine wachsende Desertionswelle. Diese Uberläufer schwächen zwar kaum die Zahl, doch sehr wohl die Moral der iranischen Truppen und bringen oft wertvolle Informationen mit.

Sie sind nur eine Kategorie der über 100.000 Flüchtlinge im Raum von Basra, die im Augenblick das menschliche Hauptproblem im Golfkonflikt darstellen. Ihrer Herkunft nach setzen sie sich aus Irakis von Dörfern im Frontgebiet, aus irakischen Staatsbürgern in Iran, die Chomeini vertrieben hat, iranischen Bürgern arabischer Sprache aus Arabistan und den schon erwähnten Uberläufern zusammen. Sie leben oft schon über ein Jahr in primitiven Lagern oder sind als Zwangsuntermieter in Hütten, Häuser und Wohnungen eingewiesen worden.

Die Provinzverwaltung von Basra stellt ihnen im Prinzip auch Nahrung und medizinische Fürsorge zur Verfügung. Hingegen ist die Integrierung der Flüchtlinge in den Arbeitsprozeß noch kaum gelungen.

Für diese bei uns kaum bekannte Not ist wirklich Hilfe geboten. Delegierte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) aus Bagdad besuchen auch schon Lager und Privatunterkünfte, um die dringendsten Bedürfnisse dieser Flüchtlinge vor der iranisch-schiitischen Unduldsamkeit festzustellen und zu lindern.

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