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In Ceaucescus „Reich"

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Nicht aus der Perspektive der Touristensilos an der Schwarzmeerküste galt es Rumänien bei einer Fahrt quer durch das Landesinnere, von der Donautiefebene, durch , Siebenbürgen nordwärts bis in die Bukowina kennenzulernen.

Die Grenzkontrolle brachte eine freundliche Überraschung; sie war langwierig, aber keineswegs schikanös. Vielleicht erklärt sich eine gewisse Großzügigkeit daraus, daß am Beginn des fünften Jahrzehnts der kommunistischen Herrschaft die Geschäfte ein ähnliches Angebot aufweisen wie im Österreich der ersten Nachkriegsjahre.

Geschäfte unterscheiden sich generell durch solche ohne und solche mit Menschenschlangen vor der Tür. Im letzten Fall ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, daß begehrte Ware eingetroffen ist. In einem Fall war es die Abgabe von einem Viertelkilo ausländischer Margarine, in einem anderen die Abgabe von zwei Kilo Zucker.

Auch beim Bäcker wird angestellt, und im Gemüseladen lockt das Angebot von Pfirsichen. Süßwaren sind kaum erhältlich; kein Wunder, daß bei jedem Halt eines Wagens mit Ausländern, bei den großen Hotels und bei Sehenswürdigkeiten sofort aus vielen

Kinderkehlen der Ruf ertönt: „Kaugummi, Kaugummi, Schoko."

Im Gespräch mit einem Vertreter des staatlichen Reisebüros kommt die Rede auf das geringe und gleichförmige Lebensmittelangebot. Die überraschende „Erklärung": Das liege daran, daß die Rumänen keine Abwechslung in der Ernährung lieben und es vorzögen, immer die gleichen Speisen zu essen.

Dazu paßt nicht recht, daß man bei der Ausfahrt von Bukarest viele Kilometer lang zu beiden Straßenseiten Häuschen sieht, wo hinter einem Häufchen Obst oder Gemüse aus dem eigenen Garten ein Familienmitglied hockt, um es Passanten anzubieten. Offensichtlich wissen die Rumänen eine Bereicherung ihres Speisezettels sehr wohl zu schätzen.

Rumänien ist reich an fruchtbarem Land. Soweit es sich nicht um schwer bewirtschaftbare Berghänge handelt, ist der landwirtschaftliche Boden verstaatlicht. Das merkt man bald nach dem Verlassen eines Ortes an den großen Maschinenparks im Freien.

Auf den Weiden sieht man riesige Rinderherden. Die Tiere machen keinen sonderlich gepflegten Eindruck, ganz im Gegensatz zu den „privaten" Kühen im Straßengraben, jede an einem Strick gehalten, und von einem Familienmitglied beaufsichtigt.

Offenbar fehlt bei der Arbeit in der Kolchose der Ansporn durch einen leistungsorientierten Lohn, und so verlagert sich die Anstrengung auf die Arbeit im eng gesteckten Rahmen privatwirtschaftlicher Aktivitäten. Daran vermögen alle Aufrufe zur Erhöhung der Leistungen im Interesse des sozialistischen Aufbaues nichts zu ändern, die auf Transparenten in Reden und Zeitungen immer wiederholt werden.

Ein Verkäufer für ein paar Kilo Obst, ein Hüter für jede private Kuh, ein Familienmitglied abgestellt zum Schlangestehen — welch ein Verschleiß an Arbeitskräften im Zeichen sozialistischer Planwirtschaft ...

Die religiöse Bindung, zumindest der ländlichen Bevölkerung, scheint alles andere als geschwächt zu sein. Die Klöster werden von Angehörigen orthodoxer Orden betreut (im Gegensatz zu den katholischen Klöstern wurden sie nicht aufgelöst), die sichtlich nicht an Nachwuchsmangel leiden. Die kleinen Dorfkirchen sind beim sonntäglichen Gottesdienst überfüllt mit Andächtigen aller Altersstufen.

„Sie glauben nicht, wie sie uns schikanieren", klagt eine alte Siebenbürger Sachsin. „Ich bekomme nicht einmal einen Paß zum Besuch meiner Verwandten in Deutschland, und schon gar nicht eine Bewilligung zur Auswanderung." Als ob sie sich schon zuviel herausgenommen hätte, blickt sie sich nach Zuhörern um und fügt hinzu: „Bitte, wenn sie mich noch einmal sehen, sprechen sie mich nicht an? Nicht wahr, sie kennen mich nicht."

Solche Angst erleben wir mehr als einmal, was beweist, wie taiscn es ist, aus dem Bemühen Ceaucescus um eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber Moskau zu schließen, daß der rumänische Kommunismus ein menschlicheres Gesicht hat als der sowjetische.

Der Personenkult um Ceauces-cu hat geradezu stalinistische Dimensionen und duldet keine Form der Kritik. War es Mut oder jugendliche Unbekümmertheit, daß die Reiseführerin auf der Rundfahrt durch Bukarest ein leises „leider" anzubringen wagte, als die Route am Gelände vorbeiführte, das bisher der kommunistischen Jugend zur Verfügung stand und die es nun abgeben mußte, weil auf ihm ein Palast für den Genossen Zentralsekretär errichtet wird...

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