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In der Bibliothek

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In Büchern überleben zu wollen, auf Papier gedruckt, in die sonnenlosen Räume der Bibliotheken gesperrt Sahen nicht viele diesen Traum schon an sich erfüllt? Klopstock zum Beispiel, der die Deutschem zu Dichtern erweckte und nun zum Dank neun- und mehrbändig auf den Bücherborden sogenannter „besserer“ Kreise steht, unigelesen freilich, und geistiger Huimus geworden seit langem schon. Goethe! Was er wohl dazu sagen würde, daß das Volk ihn nldht mehr liest, auch das studierende kaum? Er, der mit achtzig sich über zuviel tote Ehre beklagt, über zuwenig lebendige Liebe! Und Schiller gar! Wie grob-abschätzig hat doch Ionesco jüngst über ihn geurteilt, ohne ihm unrecht zu tun! Ge-träumtes Leben ist wie das wirkliche Sterben. Shakespeares Satz läßt sich auch umkehren: Aus gleichem Stoff gebildet wie das Leben ist der Traum! Aus sterbenden Muscheln erbaut, stürzt der Felsen noch einmal in Trümmer als Haus. Habent sua fata libelli! Schicksal der Bücher: Wie Lebendiges zu sterben. Und wo Schicksal, da Geschichte. In jedem Haus eine andere, eine andere in jedem Jahr. Und muß zuweilen noch umgeschrieben werden, wie die der östlichen Staaten.

Wie wir es erwarben, das Buch. Diese Geschichte hat kaum mit seinem Inhalt zu tun. Blind eines der Reihe entnommen: Es ist Waggerls „Stillste Zeit“. Darin in steiler Mädchenschrift die Widmung: Unserem Regisseur. So muß das grüne Bändchen ahn stets erinnern, wie es nicht die talentiertere und hübschere war, die diese Geste fand und sich ihrer wohl bald genug geschämt hat. — Buch um Buch: Gelebtes Leben, wiedergefundene verlorene Zeit!

Die Geschichte von der Zeit geschrieben, die uns als Buch gehört! „Mein Kampf.“ Seiner harten Hülle wegen — doch nicht nur! — lag es viele Jahre unter dem untersten Brett des Regals, es am Durchbiegen zu hindern. Des „Führers“ einziges Schriftwerk, nie lasen wir's. Zu sehr schreckte sein Umfang, der nun, wie es scheint, mit seiner politischen Bedeutung ebenfalls geschwunden scheint. Bald findet man nichts mehr darin zu lesen. Wie kurzsichtig sind sie, die Propheten, die so angestrengt in die Ferne schauen!

Wie über eine bekannte Landschaft, von Baum zu Baum, gleitet der Blick von Buch zu Buch über das Regal. Bücher machen den Raum warm, so heißt es wohl. Doch ihre krummen Rücken täuschen Diener nur vor. Sie sind Herren. Du merkst es, wenn du sprichst oder schreibst. Ihr Wille wurde der deine. Nur ihre größere Zahl kann ihre Herrschaft mildem. Darum seien immer neue Bücher dein „Teile und herrsche“! Mit jedem Buch, das dir fehlt, fehlt dir das Ganze. Denk an Pavese, der dich so spät noch erfahren ließ, was Leichtigkeit des Schreibens ist.

Man sucht sich seine Bücher sowenig aus wie seine Verwandten. Sie sind schon ausgesucht. Und sowenig kann man sie auch austauschen. Doch wirklich umvergessen bleibt das Buch, das .uns verlorenging. So jener „Hölderlin“, den ich wachestehend las am Ufer des Don. „O heilig Herz der Völker“. Im Soldbuch des Toten, den die Flut mir dann vor die Füße schwemmte, las ich tief erschreckt meinen eigenem Namen. Das Buch ging in Rußland verloren und ich vergaß es über dem neuen Hölderlin-Band, den wir kauften. Vergaßen es wie den Hund, der auch seinen Namen dem neuen geben mußte. Jetzt erinnern sie uns nur noch daran, daß wir vergeßlich sind!

Nun hält der Blick auf Stifter. Weil Bahr in so sehr bewundert, hast du es neulich mit seinem , frommen Spruch“ versucht. Doch ging es nicht. Es liegt gewiß am dir. Immer noch lebendig ist die Erimnerumg an dem „Nachsommer“ damals, als ihr. ihn zusammen last, im jenem Winter nach dem Krieg, im engen Quartier, abseits 'des Dorfes, inmitten Wiesen, umbuschten Bächen und bewaldeten Höhen, als nebenan das Kind schlief.

Hier, dieses Durcheinander, erklärt sich durch die gleiche Größe der Bücher. Darum steht des Teilhard de Chardin „Phenomene humain“ neben Setons „Tiergeschichten“, und Lindners brave Weltgeschichte neben Friedells genialer „Neuzeit“, neben dem brisanten Benn diese Literaturgeschichte vom 1925, die noch nichts von Georg, dafür alles über Ludwig Büchner weiß. Mit Recht wurde sie umgeschrieben.

Bibliotheken sind Friedhöfe (wie Friedhöfe Bibliotheken sein mögen). Die Bücher, Gräber, darin die Träume der Menschheit ruhen. Sie machen den gleichen Eindruck des Heterogenen, Stillosen, die Gräber-umd die Einbandarchitekturen. Die Einbandklappen der neuen Bücher gleichen den noch nicht verwelkten Blumenkränzen auf frischen Gräbern. Da sind verfallene auch. Kein Mensch besucht sie mehr. Doch wir ebnen sie nicht ein, bewahren sie noch. Denn wer weiß! Als neulich die junge Französin den Gyp erblickte, jubelte sie. Die Mutter liebe ihn so! Wie staunten wir!

Stille der Bibliotheken: Friedhofsstille, vielgeschmähte, und doch der besten Wunsch und Traum: Zu sitzen bei den Toten. Hier zu liegen.

Willkommen, o Stille der Schattenwelt! Mehr bedarf's nicht!

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