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In der Energiekrise: Marktkräfte nutzen

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Seit 1973 steigen die Erdölpreise. Die Außenhandelsbilanz der Industriestaaten wird durch diese höheren Kosten zum Teil schwer belastet, die internationale Konkurrenzfähigkeit mancher Wirtschaftszweige beeinträchtigt. Politische Entscheidungen sind notwendig, um einen Anpassungsprozeß einzuleiten. Der deutsche Bundeswirtschaftsminister vertritt vehement eine marktwirtschaftliche Lösung.

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Seit 1973 steigen die Erdölpreise. Die Außenhandelsbilanz der Industriestaaten wird durch diese höheren Kosten zum Teil schwer belastet, die internationale Konkurrenzfähigkeit mancher Wirtschaftszweige beeinträchtigt. Politische Entscheidungen sind notwendig, um einen Anpassungsprozeß einzuleiten. Der deutsche Bundeswirtschaftsminister vertritt vehement eine marktwirtschaftliche Lösung.

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Energiepolitik als Verbotswirtschaft - das scheint immer noch das Traumziel einiger unverbesserlicher Interventionisten, die ihren tauben Weizen mit jeder Ölpreiserhöhung aufs Neue blühen sehen. Nichts kann sie erschüttern: Die permanente Kette von Zusammenbrüchen staatlicher Eingriffe, Vorschriften, Preiskontrollen - von Hammurabis Höchstpreisen für geliehene Ochsen bis zum amerikanischen Benzinpreisspektakel - machen sie nicht erkennbar nachdenklich. Sie können sich nicht mit der Vorstellung befreunden, daß es besser ist, sich an das Prinzip von Angebot und Nachfrage zu halten und auf Eigenverantwortlichkeit und Selbstinteresse zu setzen.

Wer das tut, plädiert nicht für wirtschaftspolitisches laisser faire. Er tritt vielmehr für eine Wirtschaftspolitik ein, die in erster Linie marktwirtschaftliche Kräfte für ihre Ziele ausnützt und sich nicht - à la Don Quichote - müht, gegen ökonomische Logik anzukämpfen. Neben oder gar gegen die Kräfte des Marktes ist vernünftige Energiepolitik nämlich nicht möglich.

Kein Weg führt uns an der Erkenntnis vorbei, daß es keine realistische Möglichkeit gibt, sich um die vom OPEC-Kartell gesetzten Preise herumzumogeln. Jede Rohölpreisverteuerung bedeutet eine reale Produktions- und Einkommensübertragung in die OPEC-Länder, die im Inland nicht mehr verteilt werden kann. Dieser Konsequenz ist mit Wünschen und Träumen nicht zu begegnen. Die Wirtschaftspolitik darf dieses Problem nicht mit Emotionen befrachten, sondern muß mit ökonomischem Verstand an die Dinge herangehen.

Die OPEC-Länder erwerben mit steigenden Preisen einen größeren Anspruch auf das hier erwirtschaftete Sozialprodukt. Diese Wohlstandsabtretungen an die Ölländer kann der einzelne wie die gesamte Volkswirtschaft nur durch Einsparung von Öl reduzieren und durch steigende Exporte etwas weniger fühlbar machen. Überspielen läßt sie sich nicht. Streiten können wir uns auch nicht darüber, wer letztlich den (relativen) Wohlstandsverlust zu tragen hat. Welche gutgemeinten Ratschläge dazu auch immer gegeben werden: Eine solche globale und dauerhafte Datenänderung, wie sie auf dem Energiemarkt in den letzten Monaten erfolgt ist, trifft in jedem Falle entweder den Verbraucher oder den Steuerzahler, und beide sind meistens identisch.

Auch den sozialen Abträglichkeiten der Ölpreissteigerungen wird man nicht durch unmittelbare staatliche Preissetzung und Preiskontrolle gerecht. (Es gibt einige Länder, in denen das Mittel der Preisregulierung durch den Staat Tradition hat und gepflegt wird; die Ergebnisse für den Verbraucher, sowohl was die Preise als auch die Verfügbarkeit der Waren angeht, ermutigen allerdings nicht zur Nachahmung.) In Frage kommen nur direkte Einkommenshilfen. Ich habe sehr früh auf die Möglichkeit einer einmaligen sozialen Flankierung als Übergangshilfe aufmerksam gemacht und sie befürwortet Hilfsmaßnahmen für einkommensschwache Verbraucher, die vom Preissprung im lebensnotwendigen Energieverbrauch unzumutbar hart getroffen werden, sind das richtige Instrument.

Zur „Abwehr des Angriffs der OPEC” auf ihr Sozialprodukt haben die Industrieländer 1974/75 versucht, den Ölpreiseffekt vor-, rück- und weiterzuwälzen. Aber dies und auch der Einsatz von Notenpresse und protektionistischen Praktiken, von lohn- und währungspolitischen Instrumenten, haben die Abtretung eines größeren Teils ihres Sozialprodukts nicht verhindern können. Die Industrieländer haben sich durch die verschiedenen Ausweichmanöver und Verteilungskonflikte nur noch zusätzlich Instabilität, Wohlstandsverluste und Arbeitslosigkeit eingehandelt.

Wir sollten alle daraus gelernt haben und das Unvermeidliche zunächst einmal akzeptieren. Der erste Verlust ist auch hier noch immer das kleinere Übel. Außerdem können wir uns schneller auf die eigentlichen Aufgaben konzentrieren: eine allgemeine Preiswelle und neue Inflationsmentalität vermeiden, die Wachstumsperspektiven stabilisieren, strukturelle Anpassungsprozesse beschleunigen. Für die Energiepolitik hat dies zusätzlich den Vorteil, ohne kostspielige Umwege rasch zu einem neuen Gleichgewicht der Energiepreise und Preisstrukturen zu kommen. Gefragt sind die richtigen Signale für die Energie-, insbesondere Öleinsparung, für den breiteren Einsatz von Substitutionsenergien und die Entwicklung neuer Energiequellen.

Preisregulierungen gegen die Markttendenzen sind nichts anderes als ein Kurieren an Symptomen, das im Ergebnis nur zu Angebotsverknappung führen würde. Man muß schon an den Ursachen ansetzen, mit anderen Worten: die Nachfrage drosseln durch forciertes Energiesparen und das Angebot verbessern durch die Bereitstellung von Alternativenergien.

Die größten kurzfristigen Erfolgsaussichten liegen zweifellos in der Energieeinsparung, die damit besondere gesamtwirtschaftliche Dringlichkeit erhält. Marktgerechte Preise sind dafür eine notwendige Bedingung. Heruntermanipulierte Preise hindern daran, das Einsparziel zu erreichen, weil sie die tatsächlichen Knappheitsverhältnisse nicht wiedergeben. Aber auch zu hohe Preise, die auf Mißbrauch von Marktmacht beruhen, sind keine dauerhafte Grundlage für langfristige Investitionen zur Energieeinsparung, von ihren sozialen Implikationen ganz zu schweigen.

Je rascher sich das Verhalten der Verbraucher den neuen Preisrelationen anpaßt, desto geringer werden die Risiken einer echten Mengenkrise und damit staatlicher Interventionen und Zuteilungsmechanismen. Wichtig ist, daß die Wirtschaftspolitik Hemmnisse abbaut, die den Anpassungsprozessen entgegenstehen, und so marktgerechtes Verbraucherverhalten unterstützt. Dabei muß nicht gleich an einen generellen Umbau des Baurechts und des Steuersystems gedacht werden, obwohl hier sicher Hemmnisse zu vermuten sind, weil diese Bereiche vielfach vor 1974 in einem anderen energiepolitischen Umfeld nach anderen Kriterien konzipiert wurden. Nach möglichen Hemmnissen ist zu forschen und ebenso danach, ob sie abgebaut werden können.

Soweit der marktmäßige Anpassungsprozeß auch nach der Beseitigung von Hemmnissen zu langsam vorankommen dürfte und wir Gefahr laufen würden, mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten der Entwicklung auf den Weltenergiemärkten hinterherzuhinken, müssen zusätzliche Anreize zur Beschleunigung der Marktprozesse gegeben werden. Aber alle Maßnahmen sind in den Gesamtzusammenhang staatlicher Politik einzupassen. Nur so können die für Verbraucher und Investoren notwendigen stabilen Rahmenbedingungen gewährleistet werden.

Für die Energieeinsparpolitik wäre eine solche neue langfristige Rahmenbedingung beispielsweise die vollständige oder teilweise Umlegung der Kfz-Steuer auf den Benzinverbrauch. Auch auf der Angebotsseite, das heißt der Entwicklung und dem Einsatz neuer Energiequellen, sind solche, den Anpassungsprozeß forcierenden Rahmenbedingungen notwendig. Die Risken der Entwicklung und Markteinführung neuer Heizungssysteme für die Energieversorgung der Haushalte sind für Hersteller und potentielle Kunden oft schwer kalkulierbar. Um in solchen Fällen rasche Bewegung in die Märkte zu bringen, sind gezielte Anreize notwendig. Die Bundesregierung ist hier in der Vergangenheit bereits tätig geworden. Sie muß es erforderlichenfalls auch weiterhin sein.

Das gilt besonders für die Einrichtung großtechnischer Anlagen etwa zur Kohlevergasung oder Kohleverflüssigung. Wegen der langen Entwicklungszeiten hegen hier die wirtschaftlichen Perspektiven so weit in der Zukunft, daß private Unternehmen über die Grenze einer vertretbaren Kalkulierbarkeit hinausgehen müßten. Solche Technologien würden ohne staatliche Hilfestellungen erst so spät einen Beitrag zum Energieangebot leisten können, daß vorher erhebliche Versorgungsengpässe auftreten könnten. Dieses Risiko für die gesamte Volkswirtschaft muß vermieden werden. Es ist daher notwendig, potentiellen Investoren bestimmte Mindestbedingungen durch den Staat zu garantieren.

Dabei muß die Leitfunktion der Preise erhalten bleiben, darf kein Subventionsdschungel entstehen, müssen die Kosten transparent bleiben, die Förderung zeitlich begrenzt, reversibel und degressiv angelegt werden. In jedem Fall muß das unternehmerische Element, die unternehmerische Verantwortung vorherrschen. Damit erreichen wir mehr als mit staatlichem Dirigismus und Bürokratismus.

Eine Energiepolitik, die sich auf die bloße Verwaltung des knappen Gutes Energie beschränkt und sich erschöpft in Vorschriften für Wärmedämmung, kältere Wohnungen und anderes Fahrverhalten, begibt sich ohne Not in die Defensive mit all den Nachteilen, die einer solchen Position anhaften. Allein reicht das ganz gewiß nicht aus. Vor allem kommt es darauf an, die Herausforderung anzunehmen und den in unserer Volkswirtschaft steckenden Ideenreichtum zu aktivieren, auf technischem, wirtschaftlichem und wirtschaftspolitischem Felde. Es geht heute und in Zukunft nämlich nicht darum, nur mit einer kurzfristigen, vorübergehenden Angebotsverknappung zurechtzukommen. Die notwendigen Maßnahmen müssen auf Dauer angelegt sein.

(Auszugsweise aus „Die Zeit”, 17. Aug. 79)

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