6989597-1986_40_05.jpg
Digital In Arbeit

In der Größe liegt auch die Schwäcne

19451960198020002020

Die beiden Großparteien wollen das Schiff der Republik gemeinsam wieder flottmachen. Darf der Staatsbürger jetzt nur mehr seine Abdankungsurkunde unterzeichnen?

19451960198020002020

Die beiden Großparteien wollen das Schiff der Republik gemeinsam wieder flottmachen. Darf der Staatsbürger jetzt nur mehr seine Abdankungsurkunde unterzeichnen?

Werbung
Werbung
Werbung

Einmal äußerte Bruno Pittermann die finstere Vision, nach Bruno Kreisky werde das Land ein bitteres Schicksal treffen. Sieht man von den Pauschalunterstellungen des gegenwärtigen Journalismus ab, Kreisky sei an allem Schuld (als habe er Osterreich wie ein Diktator regiert), bleibt dennoch der Kern der Vision erhalten:

Die Republik ist ein Schiff mit gebrochenem Ruder, nahezu manövrierunfähig, überbesetzt mit politischen Leichtmatrosen, die hoffen, es möge windstill bleiben.

Es kommt aber Wind auf: Die verstaatlichte Industrie schlägt Wellen, das Staatsdefizit bläht wie ein Sturm die Segel, die ökonomischen Strukturen sind wie eine Gegenströmung. Am Schiff schmilzt die politisch-rechtsstaatliche Kultur zum Gegensinn eines demokratischen Reglements.

In Schlagworten kann man aufzählen, daß eben Fred Sinowatz Sympathisanten seiner Partei wegen der Koalition so abschmetterte wie eine junge Ehefrau frühere Liebhaber. Er glaubte, mit Norbert Steger ein Standbein für seine Vorstellung von Sozialismus zu haben: Ätsch!

In den Augen der SPÖ war der kleine Koalitionspartner verläßlicher als mögliche Begleiter für ein Stück gemeinsamen Weges (Solche Überlegungen hatte Alois Mocks ÖVP nie, daher werden ihr bei Wahlen Honorare angewiesen wie Masseverwaltern von bankrotten Betrieben).

Sinowatz hatte seine Partei in die Sackgasse geführt, gemäß der Intention Kreiskys, doch mit dem Unterschied, seine Partei von der Geschichte abzukoppeln — was für einen gelernten Historiker apart ist - und sie politisch zu entdifferenzieren. Franz Vranitzky beendete dieses Schauspiel in seiner Eigenschaft als Kurzzeitbundeskanzler und Bankrottspezialist.

Also zerbrach die Koalitionsregierung nicht wegen Jörg Haider, das hieße die politische Moral der Großparteien überschätzen, sondern um wählbar für jene zu bleiben, die zwischen sozialdemokratisch und national/sozialistisch nicht zu unterscheiden vermögen, und für jene wählbar zu werden, die mangels an Alternativen sich doch noch für die SPÖ — wie immer zum letzten Mal — entscheiden.

Beide große Parteien hoffen auf Wähler, die die kleine Koalition satt haben. Dahingegen lebt die FPÖ nur mehr vom Wahlrecht, dessen sozialistischen Ursprung Haider geflissentlich übersieht.

Die Republik leidet also weniger an ihren sozio-ökonomischen Problemen, die inzwischen Tausende Menschen hart treffen und die Gewerkschaften merkwürdig schweigsam zeigen, sondern am Verlust politischer Alternativen. Die Regierung mußte eigentlich schon nicht mehr abdanken, sondern sie war tatsächlich schon längst zu einer Minderheit geworden.

Wegen der perspektivenlosen Schwäche scheint die Rettung die große Koalition zu sein. Immerhin war sie zwanzig Jahre in vieler Hinsicht erfolgreich und nützlich.

Wenn man davon absieht, daß deswegen unser demokratisches Selbstverständnis unterentwik-kelt blieb und sich zur politischen Infantilität steigerte, so ist die große Koalition kein Schreckgespenst, sondern die logische historische Konsequenz.

Ihre Gefahr ist aber, wenn das gegen Bruno Kreisky eingewendet werden darf, nicht in der Tendenz zu sehen, den politischen Immobilismus zu erneuern, sondern in der veränderten Amtsauffassung der politischen Funktionäre.

Bei der dritten Generation von Politikern des Kleinstaates ist ja nicht einmal mehr der Sinn fürs Paktieren vorhanden, keine Intention mehr für Aufbau oder Festigung der Identitäten des Landes, mögen sie auch noch so fragwürdig sein, sondern vorwiegend ein untrüglicher Sinn für Besitzergreifungen und Akkumulationen durchaus im materiellen Sinn der Wörter.

Die große Koalition wird nicht die Teilung von Macht sein und ein Verteilen von Nationalprodukten, die einmal auch geistige sein könnten, da es kaum mehr materielle Steigerungen zur Zeit gibt, sondern zuerst ein Arrogie-ren von Ämtern und Positionen, ein Steigern der Eigentumsbeschaffung und Forcieren der Abhängigkeiten, die nur kurzfristig zwischen 1970 und 1975 leicht stagnierten.

Was als Beispiel der politischen Selbstlosigkeit und demokratisehen Kultur geboten hätte werden können, war von den Parteien nie wirklich gewollt worden: nämlich die Reform des Parlamentarismus. In der großen Koalition wird dieser sogar noch mehr verkümmern, der doch bislang ungefähr auf dem Niveau des Konstitutionalismus von 1867 geblieben war.

Nur ein Jahr lang war das Parlament gefragt - 1970 -, und es hatte ausgerechnet die Weiche zugunsten einer Partei selbstbewußter Rückständigkeit im Wahlrecht gestellt.

Das Gegengewicht zur großen Koalition könnten die juristischen Institutionen des Rechtsstaates sein. Doch auch diese erscheinen schwächer denn je. In den Wirtschaftsprozessen der Republik dankten die Organe der Rechtssprechung zugunsten politischer Karrierewünsche ab.

Die große Koalition ist somit jenseits jeder Korrektur, außerhalb von Rechtsordnung und individueller Rechtschaffenheit, was doch einmal der Fall war. Und dennoch scheint sie der einzige Weg zu sein.

So gerät 1986 jener, der die zweifelhafte Ehre hat, Staatsbürger zu sein, in eine hochpolitisch-groteske Situation: Während die Staatsfunktionäre sogar den Anschein von Staatsräson vermissen lassen, ja deren Fehlen als Vorteil ihrer bloßen Menschlichkeit zur Schau tragen und sich der Konsequenz des politischen Scheiterns mit der Flucht ins private Glück entziehen, müssen die Staatsbürger Staatsräson zeigen und haben.

Im Minimalakt der Demokratie soll der Staatsbürger sein „Schicksal“ bestimmen, das die Politiker seit Jahren immer negativer bestimmen. In der Wahlzelle sollen Mülionen Menschen das Talent von Bismarck oder Metternich beweisen, während die Staatsfunktionäre den Annon-centeü der Zeitungen studieren.

Dieses Mißverhältnis, das sich allein schon in der Zeit für Entscheidungen offenbart — ein Kreuzchen in Sekunden für vierjährige Inkompetenz weniger —p zeigt nicht die Zweifel von Kritikern am Wert der Demokratie, sondern die sinkende Kenntnis demokratischer Funktionen bei Politikern.

Die nicht-aristokratischen Barockfürsten gewinnen an Macht, wollen sie sogar über die Wahlen hinaus behalten - wie ist denn sonst der Wunsch von Helmut Krünes nach Beibehaltung seiner Regierungsfunktion zu interpretieren? — und diskreditieren beinahe schon mit Grundsätzen die Demokratie.

Die Instabilität der politischen Perspektiven, die sich schon bei ökonomischen Entscheidungen ergibt, wird von dem Verlangen nach Stabilisierung der individuellen Verhältnisse ersetzt, so-daß eigentlich der logische Schluß wäre, die politischen Mandatare würden die Erblichkeit ihrer Ämter erklären.

Die breite Inkorrektheit der Verwaltungsorgane der Republik drängt ohnehin in diese Richtung. Die große Koalition ist der nächste Schritt.

Der Staatsbürger darf bei der Wahl eigentlich seine Abdan-kungsuiskunde ankreuzen — oder die Alternative, die sich den Luxus leistet, keine zu werden.

Der Autor ist Dozent für Soziologie an der Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung