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Digital In Arbeit

In der Telekratie leben

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Die OVP-Regierungsmannschaft schon aus sachlichen Griinden viel ofter im Fernsehen zu sehen war als der Ein-Mann-Wahlkampfer und Oppositionsfiihrer Kreisky. Wir konnen heute vielmehr schon einige verifizierbare Thesen aufstel-len. die uns mehr iiber die Wirkung der Fernsehinformation sagen, als es Zeitvergleiche mit der Stoppuhr tun:

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Die OVP-Regierungsmannschaft schon aus sachlichen Griinden viel ofter im Fernsehen zu sehen war als der Ein-Mann-Wahlkampfer und Oppositionsfiihrer Kreisky. Wir konnen heute vielmehr schon einige verifizierbare Thesen aufstel-len. die uns mehr iiber die Wirkung der Fernsehinformation sagen, als es Zeitvergleiche mit der Stoppuhr tun:

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1. Der Fernsehzuseher sieht die Information mit der Brille seines Vorurteils. Er wahlt aus dem Infor-mationsangebot jene Botschaft aus, die seiner Einstellung entspricht — die anderen ist er geneigt, zu ver-drangen. Diese „kognitive Dissonanz“ sperrt ihn gegen ..unerwunschte“ Information und macht ihn nicht be-reit zu einer adaquaten Umwelt-analyse.

2. Das Fernsehen tendiert zur Ver-einfachung; komplexe Zusammen­hange werden entzerrt, auch Kompli-. ziertes wird einfach dargeboten, optisch simpliflziert. Nur wer verein-fachen kann, kann als politischer schlechthin, das ihm nicht ein hemd-nahes Anliegen, sondern eine Unbe-hagen vermittelnde hundertkopflge Hydra werden kann. So geht auch trotz Inf ormationsexplosion eines willigen ORF von Wahl zu Wahl in Osterreich die Wahlbeteiligung zu-riick.

Aber Gert Bacher leugnet mit Recht, daB der Osterreichische Rund­funk heute ein Meinungsmonopol ausiibt. Und jeder Wissende weiB, daB es dieses Monopol schon aus technischen Griinden nicht geben kann. Meinung kann der Rund­funk schon deshalb nicht „machen“. weil das der Burger nicht will — und nicht allein deswegen, weil Gesetz oder Auftrag ihn daran hindern. Vielmehr scheint der Schliissel anderswo zu liegen:

Nicht in der Lage, selbst Meinung zu „machen“, kann das Fernsehen stets nur ein Abbild der politischen Wirklichkeit in Annaherungswerten sein. Die Wirklichkeit aber ist durch

„Der Schwachsinn des Ganzen setzt sich aus lauter gesun-dem Menschenverstand zusammen.“ Der so urteilt, ist Theodor W. Adorno — und was mit so harter Kritik etikettiert wird, ist hernd in seiner Fulle und kann schon gar nichts von der Wirkung dieses Transformationsprozesses einer durch Medien kanalisierten Weltschau auf die Millionen Konsumenten aus-sagen.

Im Ausland ist die Medienfor­schung um einige Schritte voraus. Aber auch dort ist man zu keiner allgemeinen Theorie des Fernsehens vorgedrungen. Das gilt vor allem fur jene Erscheinungen, die uns hier interessieren sollen: fur die Refle­xion des Politischen im Fernsehen (und vice versa). Der deutsche Sozio-loge Clemens Berrichter spricht an Hand von empirischen Untersuchun-gen von einem grundsatzlich vorhan-denen „Hang zu einem Verhalten, das primar in einem Konsum von Infor-mationen iiber den Bereich der Poli-tik besteht“. Das Fernsehen ist das bequemste Medium, sich politisch zu informieren; und man „konsumiert“ auch dann teilnahmslos bis resignie-rend, wenn Art und Thema einer politischen Sendung inneres Enga­gement abfordern wiirden. Das besta-tigt sich auch in dem Umstand, daB die reine Nachrichtensendung alle anderen „politischen“ Sendungen an Interesse und Zustimmung bei wei-tem iibertrifft.

Beweise sind fortsetzbar: der Bur­ger vor dem Schirm reagiert apoli-tisch, wenn nicht antipolitisch. Er ist ganz Konsument ohne Zwang und Wunsch zum „Widerspruch“; Infor-mationskonsument, der Politik als Show geboten sehen will, als Spek-takel oder einfach als „Hetz“ (die ihm bei osterreichischen Parlaments-iibertragungen offensichtlich auch vermittelt werden kann).

Kritiker des Mediums gehen noch weiter und behaupten, daB die Zu-seher gerade durch die politischen Sendungen noch weiter entpolitisiert werden — und daB die wirklichen Leitbilder in Shows und Fernseh-stiicken gepragt werden. Dort aber, so die Soziologen Ralf ZoO und Heike Henning, werde eine „heile Welt“ geboten, wurden nationale und auto-ritare Inhalte vermittelt.

Thesen zur Information

Auf gut Osterreichisch iibertragen, stellt sich die Frage, wieweit die Fernsehinformation den Blickwinkel heimischer Politik zu beeinflussen imstande ist.

Da darf man vorweg noch das im Koalitionsrundfunk aragewandte ..quantitative“ Holzhammermodell beiseite schieben (dessen gegenteilige Effektivitat inzwischen auch in den Parteisekretariaten erkannt wurde): daB namlich derjenige besser beim Publikum ankomme, der mehr Sendezeit fur seine Aussagen erhalt. So hat 1966 die OVP trotz (oder viel-leicht wegen?) der linken Schlagseite im TV des SPO-Mandatars Gerhard Freund die Nationalratswahl gewon-nen; und sie 1970 verloren, obwohl das zeitgenossische Fernsehen. Das Fernsehen, dem die Millio-nen vor dem Bildschirm ihren abendlich-taglichen Tribut zollen.

Wozu dieses Medium aber heute bereits in der Lage ist, haben dem Beobachter die letzten Tage gezeigt — Tage, in denen ein ganzes Volk mit durchaus gesundem Menschenver­stand zu hysterischen Skifanatikern gemacht wurde, in denen das Fernsehen am Beispiel von Karl Schranz Massensuggestion erzeugte; eine Suggestion, die diesmal einem sympathischen Sportier zugute kam — nwgen aber auch den politischen MiB-brauch moglich machen konnte. Oder doch etwa nicht?

Fur die Kritiker des Mediums in den fiinfziger und friihen sechziger Jahren lag in Osterreich die Unlust auf der Hand: ein parteipolitisch-gegangelter Rundfunk bot partei-politisch gesiebte und zensurierte schwarz-rote Kost. Die Folge war Osterreichs erstes Volksbagehren, ein Rundfunkgesetz und eine Rundfunk-reform mit Mannern, die sich der Volksbegehrensidee verpflichtet fuh-len — Sachwalter einer parteipoliti-schen Aquidistanz, die in der gesetz-lichen Garantie der Unabhangigkeit ein Institut mit oflentlichen Auf-gaben anerkennt, das miindige Bur­ger objektiv fur eine reifere Demo-kratie erziehen will.

Seither lodert der Vorwurf an die Tore des ORF, es mit dieser Objek-tivitat nicht ernst zu nehmen. Die Kri­tik freilich klingt wie ein schwaches Stimmlein im Chor der Linken in aller Welt, die in den spaten sechziger Jahren das Geschehen in den Mas-senmedien schlechthin auf den Gene-ralnenner der Manipulation brachte. Das fiihrt so weit, daB die ausge-wogene politische Berichterstattung etwa in der Bundesrepublik schlecht­hin zum Watschenmann wurde und als Feigheit vor einem neuen Selbst-verstandnis der Publizistik, das Engagement und Kritik, ja Polemik und Provokation fordert, denunziert wird: Journalismus als Agitation — Fernsehinformation und Fernseh-meinung als Vehikel zur Vermittlung eines linken BewuBtseins der Kon­sumenten vor den Schirmen — das ist ein Aufruf zur langst uberholt gewahnten „Parteilichkeit“, neuer-lich aus der Mottenkiste geholt und modisch auffrisiert.

Irgendwann im Fruhjahr 1971 hat in Osterreich die Zahl der Haushalte, in denen ein Fernsehgerat steht, die Zahl jener Familien uberfliigelt, in denen eine Tageszeitung gelesen wird. Tatsachlich: so ambivalent die Informationsbereitschaft ist, so stark ist auch in Osterreich der Trend zum audiovisuellen Zeitalter, das von den US-Soziologen als jenes der „Tele-kratie“ bezeichnet wird; ein Trend, der angesichts der spaten Einfuhrung des Fernsehens in Osterreich (1955), der Schwierigkeit der technischen Versorgung des Bundesgebietes in-folge unserer Geographie und des niedrigen Lebensstandards gegen-iiber unseren westlichen Nachbarn eine obligate Verspatung hatte.

Nun aber ist die Telekratie da! Und verlangt nach einem neuen Modell unserer Massenmedienstruktur, nach mehr Medienforschung in Osterreich — vor allem nach genauerer Beleuch-tung der Zusammenhange, die so offensichtlich Gegenstand ideologi-scher und vordergriindig-politischer Polemik sind.

Vorweg hat der Aufstieg des Fern­sehens, imagebeschleunigt seit Gert Baehers Rundfunkreform, zu einer noch nicht verkrafteten Umschich-tung am heimischen Medienmarkt gefuhrt:

• Die Parteizeitung ist, seit es den parteiunabhangigen Rundfunk gibt, noch starker in die publizistische Peripherie geriickt. Die Massen-presse macht gegenwartig einen Kon-zentrationsprozeB durch und stoBt zu Konsumenten vor, die bisher iiber-haupt nicht Tageszeitungen konsu-mierten. Das aber fiihrt bei Verscharfung der Konkurrenz zur ver-starkten Boulevardisierung, zu einer De-Eskalation in der (politischen) Sachinformation. Die journalistischen „Marktlucken“ fiir die Massenpresse finden sich dort, wo das Fernsehen nichts bietet: im (unpolitischen) Lokalen, im Regionalen, im Klatsch.

• Der Horfunk, im Medienverband der Rundfunkgesellschaft, ist bislang zwar im oflentlichen Imagewert offensichtlich gegenuber dem Fern­sehen ins Hintertreffen geraten, hat aber doch so umfassende Ohancen der Schnellinformation, daB seine eigentliche Bedeutung fiir die Aus-bildung offentlicher Meinung hoher zu veranschlagen ist, als Statistiken allein ausweisen konnen. Man tut dem Horfunk unrecht (was gegen­wartig allzu leichtfertig geschieht), wenn man ihm nur eine Zukunft als musikalischer Allroundunterhalter zugesteht, der den Konsumenten platschernd umgibt, und bestenfalls Nachrichten zwischenstreut.

• Der Film ist durch das Fernsehen schon todlich verwundet. Papas unge-miitliches Vorstadtkino mit harten Sitzen und dem Desinfektionsmief ist bereits als Supermarket, Wasche-rei oder Bank umgewidmet. Was von einer einstigen Millionenbranche blieb, sind das Renommierkino mit Breitwandeffekten oder aber der Treffpunkt fiir Voyeure bei Sex und Crime. Wer von den Filmproduzen-ten iiberlebte, fluchtete in das Werbe-geschaft oder wird vom Rundfunk mit Auftragsproduktionen bedacht.

• Wie das Kino starb, so stirbt das abendliche Gesellschaftsleben zwi­schen Kaffeehaus und Wirtsstube, so-fern nicht eben der TV-Apparat den Gasten die Zeit vertreibt. Und fast jede Woche sperrt irgendwo in Oster­reich ein Cafetier oder Wirt, weil ihm die Gaste ausbleiben, die ihre Viertel Wein in den legendaren Patschen lieber vor dem eigenen Heimkino trinken.

Der apolitische Fernseher

Das „Patschenkino“ ist zur Grofl-macht geworden. In ihm spiegelt sich die Welt, der Weltraum, Elend und Jubel der Menschheit. So pathetisch die Parabel klingt: sie umfaBt den Umfang der TV-Kost nicht anna-

Hexenmeister seine Botschaft in die Wohnung der Wohlstandsburger tragen.

3. Das Fernsehen vermittelt Sum-men vereinfachter Detailinformation. Vor allem die Nachrichtensendungen sind in ihrer Fulle dazu angetan, den Burger mehr zu verwirren, als zu klaren. Zusammenhange sind nur dort mediengerecht anbietbar, wo die Komplexitat auflosbar erscheint; das ist vorerst nur durch die politische Reportage moglich: diese aber wird nur von Minoritaten im Programm-plan gewiinscht, und sie hat hur all­zu oft das Nachsehen gegenuber Dis-kussion und kontroversieller Inter-viewfolge — die neuerlich verwirrt und ins Detail schweift.

4. Unverstandene oder nicht in ein politisches Gesamtbild einorden-bare, nicht konsumgerechte Einzel-information aber schreckt auf Dauer den politisch-apathischen Durch-schnittsbiirger. So kann es kommen, daB ihn Politik mehr schreckt als sie ihn anzieht — und am Ende steht die Aversion vor dem Politischen das Fernsehen davon gepragt, daB sie transparenter, durchsichtiger, er-kennbarer geworden ist. Auch die innenpolitische Geheimdiplomatie ist passe; vor den Ministerturen lauern die Fernsehreporter, die Allgegen-wart der Kamera verhindert das, was noch in der groBen Koalition zum verheimlichten politischen Alltag ge-horte. So werden Verhandlunigen da­von bestimmt, was die Politiker Minuten spater den Millionen vor dem Bildschirm erklaren miissen; und auch, wer und wie sie es bringen.

Die Transparenz der InnenpoHtik ist damit zur Frage nach den Per-sonlichkeiten geworden, die ohne Grauschleier am besten quasi ganz „ohne Netz“ vor der lauernden Kamera zu agieren verstehen. Und offenbar ist es der Bundeskanzler, der der Mann der (TV)Stunde ist und nach wie vor vereinfachend-glaub-wiirdig dem Burger politischen Kon-sumgenuB bietet.

All das ist freilich ein sehr vorder-grundiges Spektrum. Das Fernsehen kann Politiker offensichtlich popula-risieren, ihnen Sympathien mobili-sieren — grundsatzpolitische Einstel-lungen der Wahler auf langere Sicht kann es nicht „manipulieren“. Die Transparenz der Politik aber ist fiir die Parteien eigentlich die Chance, langfristige Strategie durch das bes-sere Programm, die verniinftigere politische Aktion, das glaubwurdi-gere Ethos mit den besseren Person-lichkeiten sichtbar zu machen. Vom Fernsehen werden die Parteien nicht erwarten konnen, daB es ihnen gleichsam als technische Gesetz-maBigkeit linken Liberalismus oder „Heile-Welt“-Konservativitat ver-kauft. Selbst ein fader Proporzrund-funk konnte dies heute nicht mehr.

Das Fernsehen kann nur berichten: von der Realitat, von den Dingen, die so sind, wie die politischen Lager sie prasentieren. Das aber ist immer eine Frage der Grundsatzpolitik und der Personlichkeiten, die sie vertre-ten. Die Programme namlich klin-gen, nimmt man sie im Ganzen und auf langere Sicht, weder links noch rechts.

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