7069938-1992_19_04.jpg
Digital In Arbeit

In der Zwangsjacke des Islamismus

19451960198020002020

Die Einnahme Kabuls durch die Mudschahedin beleuchtete auf dramatische Weise die tadschikische Entwicklung Afghanistans. Die Hauptstadt wurde nicht durch irgendeinen der Paschtunen-Chefs eingenommen, sondern durch die Guerilla des Tadschiken Ahmad Schah Massud.

19451960198020002020

Die Einnahme Kabuls durch die Mudschahedin beleuchtete auf dramatische Weise die tadschikische Entwicklung Afghanistans. Die Hauptstadt wurde nicht durch irgendeinen der Paschtunen-Chefs eingenommen, sondern durch die Guerilla des Tadschiken Ahmad Schah Massud.

Werbung
Werbung
Werbung

Daß nicht der opportunistische Paschtun« Gulbuddin Hekmatyar in Kabul die Oberhand gewann, ging allerdings im wesentlichen auf eine radikale Wende in der Afghanistan-Politik Pakistans zurück. Als Verteiler der von den USA gelieferten Waffen und von anderen Nationen gespendeten Hilfsgütern bestimmte Islamabad erfolgreich den Kurs der Entwicklung in Afghanistan. 1991 noch setzten die Pakistaner alles daran, in Kabul eine Fraktion der Mudschahedin an die Macht zu bringen, die fest im Sold des pakistanischen Geheimdienstes stand und den Anschluß Afghanistans an Pakistan betrieben hätte. Zu diesem Zweck hätten sie notfalls ein Auseinanderbrechen Afghanistans riskiert: Der Norden an die Sowjets, der Süden (Südosten) an Pakistan und Teile im Westen an den Iran.

Mit dem endgültigen Auseinanderbrechen der Sowjetunion haben sich aber Islamabad viel weitere Perspektiven eröffnet. Die meisten Hauptstädte der zentralasiatischen republiken - Aschkabad (Turkmenistan), Taschkent (Usbekistan), Duschanbe (Tadschikistan), Bischkek (Kyrgy-stan), Alma Ata (Kasachstan) - sind nur zwei bis drei Flugstunden von Pakistans Hauptstadt Islamabad entfernt. Von Ankara aus dauert der Flug mehr als dreimal so lang. Iran und die Türkei liegen in einem erbitterten Wettkampf um Einfluß in den Moslem-Republiken der ehemaligen UdSSR. Pakistan erscheint dabei wie der lachende Dritte; denn ohne viel Aufhebens haben Zehntausende von pakistanischen Geschäftsleuten, Unternehmern und Fachkräften in Usbekistan, Tadschikistan und den benachbarten Staaten Fuß gefaßt.

Zentralasien bietet sich als ein riesiger Markt für den Export pakistanischer Waren und Experten an. Vorbedingung ist jedoch Friede in Afghanistan, damit der Gütertransport auf dem Landweg stattfinden kann. Dafür braucht Pakistan das Einvernehmen der Völkerschaften im Norden Afghanistans, also der Tadschiken, Usbeken und Turkmenen. Folglich ließ Islamabad sein afghanisches Geschöpf, die über viele Jahre hinweg künstlich aufgepäppelte „Hezb-e Islami Afghanistan" (Islamische Partei Afghanistans) des Gulbuddin Hekmatyar, von einem Tag auf den anderen fallen und erlaubte den anderen Mudschahedin-Parteien den Machtantritt in Kabul.

Der,Löwe von Pandsch-Schir", wie Massud genannt wird, ist kein afghanischer Nationalist, sondern ein Islamist, dem es um die Errichtung eines ideologischen Staates geht. Seine Vorstellung vom Islam ist dem Ideologiebild der Kommunisten nicht unähnlich. Massud hält den Islam für ein allumfassendes System, mehr eine politische Heilslehre als ein mystischer Glaube. Aus der Religion des Islam ist bei den Fundamentalisten vom Schlage Massuds die Ideologie des Islamismus geworden.

Seit Beginn des Krieges in Afghanistan hat Massuds Partei, die „Jam Iyat-e Islami" (Islamische Gemeinschaft) stets davon gesprochen, daß der „dji-had" in die Sowjetunion hineingetragen werden müsse, daß man nicht nur für die Befreiung Afghanistans von den Atheisten kämpfe, sondern für die Befreiung aller von den Sowjets unterjochten moslemischen Völker.

Mit dem russischen Kolonialismus ist es vorbei, doch geblieben sind die alten Eliten, die aus der kommunistischen Partei hervorgegangen sind, besonders in Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans. Hier war die Kommunistische Partei aufgelöst und ihr Chef als Präsident abgewählt worden. Doch gelang es jenem alten Fuchs, Rahman Nabi (Rakhmon Nabijew), mit einigen Moslemführern ein geheimes Bündnis gegen andere zu schließen und somit wieder ans Ruder zu gelangen. Dadurch unterlag bei Tadschikistans ersten freien Wahlen die von Pakistan und vor allem von Afghanistans „Jam Iyat-e Islami" unterstützte fundamentalistische IRP (Partei der Islamischen Wiederbelebung) des Mullah Muhammad Scharuf Himmatzada. Immerhin erhielt sie 34 Prozent der Stimmen.

In den anderen zentralasiatischen Republiken - die IRP unterhält überall Zweigstellen - würde sie es wohl kaum auf die Hälfte davon bringen. Die Islamisten in Pakistan und Afghanistan sind davon überzeugt, daß ihre Partei, die IRP, von den alten Bonden aus der kommunistischen Zeit um den Wahlsieg betrogen wurde.

So etwas kann ein Islamist vom Schlage Ahmad Schah Massuds nicht tolerieren. Er hat im Laufe der Kriegsjahre zahlreiche afghanische Intellektuelle umbringen lassen, allein auf den Verdacht hin, sie seien liberale Nationalisten und könnten sich deshalb der Errichtung eines Islamischen Staates widersetzen. Die „Jam Iyat-e Islami" ist keineswegs „moderat islamistisch", wie so häufig in der Weltpresse behauptet wird, sondern sie ist eine totalitäre Partei, die aus ihrer Ablehnung der Demokratie nie ein Hehl gemacht hat. Ein Konflikt zwischen Afghanistan und Tadschikistan wird deshalb nicht auf sich warten lassen, es sei denn, es käme in Dunschanbe bald zu Neuwahlen durch die Rahman Nabi abgewählt würde und die IRP Gelegenheit zur Regierungsbildung erhielte.

Tadschikistan und der anschließende Norden Afghanistans, also speziell die Provinz Badakschan, bilden eine natürliche Einheit, nicht anders als Ost- und Westdeutschland. In der Sprache gibt es kaum einen Unterschied und die Menschen sind miteinander verwandt. Aus diesem Grund haben sich seit 1990 Tausende von afghanischen Tadschiken in Duschanbe niedergelassen. Und zwar handelt es sich dabei meist um Mitglieder der Bildungsschicht, die als Flüchtlinge in den USA oder in Deutschland lebten, jedoch Heimweh bekamen und deshalb in das vom russischen Joch frei gewordene Tadschikistan zogen. Ob Kabul oder Duschanbe, das ist für sie mehr oder weniger einerlei.

Doch sind nur wenige dieser Afghanen Islamisten. Im Gegenteil, es ist damit zu rechnen, daß sich nun ein Flüchtlingsstrom aus Afghanistan nach Tadschikistan ergießen wird. Diesmal fliehen die Afghanen nicht vor dem Atheismus, sondern vor dem Islamismus. Das trifft speziell auf die Bildungsschicht zu, und da wiederum in erster Linie auf die Frauen.

Von Fanatikern wie Massud, die noch dazu ein Jahrzehnt lang unter den unsäglichsten Entbehrungen um ihr Leben gekämpft haben, darf man nicht erwarten, daß sie ruhig mitansehen, wie sich nebenan in Tadschikistan ein Alternativ-Afghanistan aufbaut beziehungsweise daß in Duschanbe vorexerziert wird, wie man als tadschikischer Moslem sich in einem demokratischen Rechtsstaat entfalten kann.

Teheran und Kabul sind davon überzeugt, das Ende des Sowjetimperiums herbeigeführt zu haben. Bei den Persem ist diese Annahme reichlich phantasiereich und durch wenig mehr begründet als durch ein Sendschreiben Khomeinis an Gorbatschow. Bei den Afghanen dagegen hat das Argument Hand und Fuß; denn ihr Widerstand gegen die sowjetische Besatzung war der Stein, der die Lawine ins Rollen brachte. Der Beitrag der Afghanen zum Niedergang des Sozialimperialismus kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden.

Die Kehrseite der Medaille ist, daß Islamisten wie Ahmad Schah Massud dadurch von einem übersteigerten Sendungsbewußtsein erfüllt sind und meinen, ihren endlich errungenen ideologischen Staat nach Norden hin ausdehnen zu müssen - wenn schon nicht nach Turkmenistan und Usbekistan, so doch zumindest in das besonders rückständige Tadschikistan, dessen Einwohnerschaft noch zu etwa 70 Prozent aus teilweise analphabetischer Landbevölkerung besteht.

Die Verlockung zu islamistischen Abenteuern ist auch deshalb groß, weil Tadschikistan militärisch kein Faktor ist. Es verfügt weder über so imposante Militäranlagen wie Kasachstan noch über eine so starke Bevölkerung wie Usbekistan. Sicher ist der Einmarsch in Duschanbe kein Katzensprung, doch ein Wagnis wäre er für die kampferprobten Mudschahedin auch nicht.

Prolematischer schon wäre die Reaktion der Nachbarstaaten, besonders Chinas, das ja auch einen kleinen Zipfel Tadschikistans besetzt hält und ohnehin besorgt ist, der Funke des Islamismus könne auf die hauptsächlich von Moslems bewohnte Region Sinkiang übergreifen, früher Turkistan genannt - „Chinesisch Turkistan" im Gegensatz zu „Russisch Turkistan".

Die Islamisten verstehen ihre Ideologie als antinationalistisch. Nationalismus sei westliches Teufelswerk, das die Einheit der islamischen Weltgemeinschaft zu zersprengen drohe. Ungeachtet dieses Bekenntnisses zum islamischen Universalismus läßt sich jedoch mühelos feststellen, daß der Islamismus in der Praxis meist einer bestimmten Nationalität oder ethnischen Gruppe als Vehikel zur Vorherrschaft dient. Im Iran ist es das Staatsvolk der Perser, das im Auftrag Khomeinis nicht nur die sunnitischen Minderheiten der Araber, Balutschen, Kurden und Turkmenen unterdrückt, sondern auch die türkische Minderheit der schiitischen Aseris kulturell gleichschaltet. Im Sudan verleiht der Islamismus den nationalen Aspirationen der arabisierten Nordsudanesen Ausdruck.

Tadschiken leben in großer Zahl in Usbekistan, wo auch Buchara liegt, ihr kulturelles Hauptzentrum und Symbol tadschikischer Größe und Tradition. Die tadschikische Elite zeichnete sich sowohl in Afghanistan als auch in der Sowjetunion durch schöpferisches Freidenkertum aus. Der Krieg hat viel von dem zerstört und die tadschikische Dynamik hat sich nunmehr in die Zwangsjacke des Islamismus gepreßt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung