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In die Krise hineingeworfen

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Man wähnt sich zehn Jahre zurückversetzt, in die Anfangszeit der achtziger Jahre, als die sogenannte Friedensbewegung Hunderttausende auf die Beine brachte, um gegen

die Nachrüstung bei den Mittelstreckenraketen zu demonstrieren. Damals, als die Grünen ihren Siegeszug durch die deutschen Parlamente antraten, herrschten Angst und Hysterie, als ob es galt, die unmittelbare Gefahr eines Dritten Weltkriegs zu bannen oder einen langen Krieg zu beenden.

Vergeblich hatte man Anfang August nach Protesten Ausschau gehalten, als der Irak das kleine Kuweit gewaltsam besetzte und in der Folge tausendfache Menschenrechtsverletzungen dort beging, wie amnesty international nachgewiesen hat.

In Köln zum Beispiel wurden j etzt die Rheinbrücken besetzt und der Hauptbahnhof, die IC-Drehscheibe Westdeutschlands, lahmgelegt, sodaß eine große Zahl von Unbeteiligten behindert wurde. Die Kirchen beider Konfessionen ließen ihre Glocken läuten, genau jene, die sich am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Vereinigung geziert hatten, aus Freude dies zu tun, um ja die politische Neutralität zu wahren.

Und natürlich beherrschten Chaoten, Autonome und Mitglieder der Hausbesetzerszene die Protestaktionen mit Gewalt, der die Organisatoren des sogenannten Friedensnetzwerkes in ihrer Naivität hilflos gegenüberstanden beziehungsweise -stehen. Vor der irakischen Botschaft in Bonn waren jedoch -anders als bei österreichischen Anti-Golfkrieg-Demonstrationen - keine Manifestanten zu bemerken.

Gerade Deutschland gibt mit seiner Geschichte Beispiel genug, daß Appeasement einen verrückten Diktator nicht bändigen kann. Gerade von den Amerikanern und den Briten wird immer wieder das Beispiel der Rheinland-Besetzung 1936 und der Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938/39 zitiert (Österreich bleibt ausgespart, Anm.d.Red.) und betont, hätte man damals eingegriffen, wären Millionen von Toten erspart geblieben (siehe Seite 2). Daß gerade diese Argumentation in Deutschland und auch in Österreich, auch ein Opfer Hitlers, in einer gewissen Öffentlichkeit nichts fruchtet, mag nachdenklich stimmen.

Schon vor Beginn des Golfkrie-ges, der ja bereits am 3. August ausgebrochen ist, was viele zu vergessen scheinen, wurde im Zuge der deutschen Vereinigung über deren künftige Rolle in der Weltpolitik im In- und Ausland nachgedacht. Ja selbst von einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat war die Rede.

Das Selbstverständnis der deutschen Politik war naturgemäß von der Katastrophe des Jahres 1945 geprägt. Innerhalb von 80 Jahren gingen von der Mitte Europas drei

Kriege aus, deren Triebkraft zweifelsohne das deutsche Hegemoniestreben war, ohne die Mitschuld anderer Nationen hier in Abrede zu stellen. Die Alliierten haben daher Deutschland wie auch Japan politisch und militärisch an die Kandare gelegt. Dies geschah durch Verfassungen und Verträge sowie durch ein intensives Einbinden in diverse Bündnisse. Daß sich diese beiden Nationen auf dem Gebiet der Wirtschaft Luft verschafften, liegt auf der Hand und zeigt auch die geschichtliche Entwicklung.

Die Bundesrepublik ist Mitglied der NATO, hat aber in den Artikeln 115a ff des Grundgesetzes strenge Bestimmungen, was den Verteidigungsfall und den Einsatz der Bundeswehr betrifft. Als bereits im Spätsommer einige Minensuchboote in das östliche Mittelmeergebiet geschickt wurden, um dort US-Schiffe, die in den Persischen Golf verlegt wurden, zu ersetzen, ging allenthalben das Jammern los.

Als vor kurzem auf Ersuchen des NATO-Mitgliedes Türkei Teile der NATO-Eingreiftruppe in die Osttürkei verlegt wurden, zu denen auch 18 Alpha Jets (im Prinzip harmlose Flugzeuge ähnlich den

SAAB 105) gehören, wurde seitens der Opposition lauthals Verfassungsbruch reklamiert, wohl wissend, daß Artikel 24 Absatz 2 lautete: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hiebei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern." Gerade durch diese Verfassungsbestimmung ist die Bündnispflicht gegenüber der Türkei legitimiert. Aber noch immer diskutieren Verfassungsexperten, ob sich die Bundesrepublik an einer UN-Truppe -für das neutrale Österreich selbstverständlich - beteiligen darf.

Natürlich mögen noch andere Momente mitspielen. Das Jahr der Deutschen, begonnen im August 1989, ist nun endgültig vorbei. In Hinkunft wird Deutschland nicht umhin kommen, bei aller Berücksichtigung seiner Geschichte, sich aktiv an der Durchsetzung des von den Vereinten Nationen sanktionierten Völkerrechts zu beteiligen. Diese Debatte in Deutschland wird noch kommen müssen.

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