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„In dubio pro reo“ ?

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Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in seinem Urteil festgestellt, daß Landeshauptmann Wilfried Haslauer ohne Unrechtsbewußtsein handelte, weil er in einem Rechtsirrtum verfangen war. Das Unrecht der Tat sei - so der VfGH - entgegen der Meinung der Bundesregierung keineswegs für jedermann leicht einsehbar gewesen.

Dennoch hat der VfGH einen Schuldspruch gefällt: der Rechts irrtum sei vorwerfbar gewesen, weil Landeshauptmann Haslauer seiner Verpflichtung, sich mit den einschlägigen Vorschriften bekanntzumachen, „nicht im erforderlichen Ausmaß nachgekommen ist“.

Dieser zum Schuldspruch führende Schluß ist strafrechtlich höchst bedenklich und war der eigentliche Anlaß für meine Kritik (FURCHE 33/1985). Es wurde niemals ernsthaft bestritten, daß die Rechtsauffassung von Landeshauptmann Haslauer vertretbar sei, und es war der VfGH selbst, der in einem früheren Erkenntnis folgenden Leitsatz aufstellte: „Hat jemand aufgrund einer vertretbaren Rechtsansicht gehandelt, ist es denkunmöglich, ihm Fahrlässigkeit des Handelns zur Last zu legen“ (Vf. 5027).

Auch Christoph Mayerhofer und Sepp Rieder meinen in ihrem „Kommentar zum StGB“, daß „ein Rechtsirrtum nicht vorwerfbar ist, wenn er sich auf einen auslegungsbedürftigen Gesetzesbe griff bezieht und er zu einer vertretbaren Rechtsansicht führt“ (Mayerhofer-Rieder, 1. Auflage, S. 57).

Wie sich das „Haslauer-Urteil“ des VfGH damit vereinbaren läßt, muß im dunkeln bleiben, da der VfGH zu dieser Frage keinerlei strafrechtliche Fachliteratur und auch keine Entscheidungen zitiert.

Dazu kommt, daß für die Tatfrage, inwieweit und wie ernsthaft sich jemand um eine richtige Rechtsauffassung bemüht, der elementare rechtsstaatliche Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt. Dieser Grundsatz enthält ejn Unterstellungsverbot und verlangt, daß zugunsten des Täters entschieden wird, wenn sich ihn belastende Tatsachen nicht zweifelsfrei beweisen lassen.

Dennoch meint der VfGH: „Es ist erwiesen, daß der Landeshauptmann den Entschluß, er werde eine an ihn gerichtete Weisung“ (des Sozialministers) „nicht befolgen, noch vor Befas-sung der ihm beigegebenen Amtsexperten nicht bloß in Aussicht genommen, sondern darüber hinaus öffentlich in einer Weise kundgetan hat, die ihm ein Abgehen davon faktisch überaus erschwert, wenn nicht gar politisch unmöglich gemacht hat. Der Verfassungsgerichtshof vermag dieses Verhalten nur dahin zu deuten, daß dieser zur Ablehnung der

Weisung bereits vor der Befragung seiner Experten entschlossen und deshalb an einer eingehenden Darstellung und Bewertung der gegen seine Rechtsauffassung sprechenden Argumente nicht in dem Maße interessiert war, wie dies im Hinblick auf die Bedeutung der strittigen Rechtsfrage ... erforderlich und auch möglich gewesen wäre.“

Es sei der Beurteilung des Lesers überlassen, ob dieser Vorwurf wirklich frei von Unterstellungen und so ausreichend fundiert und begründet ist, daß auf die Anwendung des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ - der übrigens im Urteil nirgendwo erwähnt wird — verzichtet werden konnte.

Entschuldbarer Irrtum?

Gleichzeitig meint derselbe VfGH im selben Urteil jedenfalls indirekt, daß dem Landeshauptmann ein nicht vorwerf barer und damit schuldausschließender Rechtsirrtum dann zugute gekommen wäre, wenn er „die Ausarbeitung einer ausführlichen, auf alle möglichen oder tatsächlich vorgebrachten Gegenargumente eingehenden Expertise durch seine Berater veranlaßt“ hätte.

Wie das, wenn er doch — wie der

VfGH meint—an „einer eingehenden Darstellung der gegen seine Rechtsauffassung sprechenden Argumente“ schon von vornherein „nicht im erforderlichen Maß interessiert“ war?

Diese und viele andere Widersprüchlichkeiten ließen mich zu dem Schluß gelangen, daß dieses Urteil in seiner Begründung erschreckend mangelhaft ist. Ich kann freilich nicht sagen, ob eine Verurteilung Landeshauptmann Haslauers auch im Ergebnis überhaupt denkunmöglich oder unbe-gründbar gewesen ist, da ich die Fakten nicht genau kenne und daher nur von einer Urteilsbegründung ausgehen kann, die ich für unzureichend halte.

Die Rechtslage hätte sich beispielsweise anders dargestellt, wenn der VfGH bei Landeshauptmann Haslauer „bedingtes Unrechtsbewußtsein“ konstatiert hätte, denn dann wäre die Berufung auf einen Rechtsirrtum nicht möglich gewesen.

Jedenfalls aber hätte der VfGH die Frage ernsthafter erörtern müssen, ob Landeshauptmann Haslauer im „entschuldigenden Notstand“ handelte, zumal er die Weisung erst am 28. November und damit nach jenem „regulären“ Samstag erhielt, für den er — in Kompensation für den 8. Dezember — ein Geschlossenhalten der Geschäfte verordnet hatte.

Es hat aber wenig Sinn, darüber zu spekulieren, wie das Urteil hätte sein müssen. So, wie es ist, ist es aus strafrechtlicher Sicht höchst unbefriedigend.

Dennoch bin ich es dem VfGH schuldig, klarzustellen, daß aus diesem Umstand allein keineswegs der Vorwurf der „Liebedienerei“ gegenüber der Bundesregierung oder gar der „Parteilichkeit“ abgeleitet werden kann. Vielmehr enthält das Urteil selbst einige Passagen, die einem solchen Vorwurf den Boden entziehen, wie etwa die Feststellung, daß das Verhalten des Vizekanzlers geeignet war, Landeshauptmann Haslauer „zu ermuntern und in seiner Auffassung zu bestärken“.

Mißverständliche Worte

Ich hatte nicht die Absicht, mich mit meiner Urteilskritik in die Liste jener Kritiker einzutragen, die im Zusammenhang mit dem VfGH von „Anpassungstendenzen“ oder dergleichen sprechen, muß mir aber sicherlich den Vorwurf gefallen lassen, ein in diesem Punkt mißverständliches Wortspiel verwendet zu haben.

Ich bedaure dies umso mehr, als es ja nicht allein darum geht, ein nun einmal gefälltes Urteil zu kritisieren, sondern vielmehr darum, in konstruktiver Weise nach Möglichkeiten zu suchen, wie man derart anfechtbare Urteile eines Höchstgerichts, das zwangsläufig erste und letzte Instanz zugleich ist, in Hinkunft vermeiden kann.

Der Autor ist Assistent am Institut für Strafrecht der Universität Wien.

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