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In Dummheit untergehen r

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Einen schreibenden Zeitgenossen aufzufordern, sich über alles das zu äußern, was ihn beunruhigt, ängstigt, irritiert, heißt natürlich, ihn in Versuchung zu führen. Der Themenkreis darf breit geraten: Politik, Kultur, Umweltfragen, menschliche Anliegen...

Der solcherart Geladene könnte jetzt feststellen, daß er im Grunde keine Probleme kennt, das wäre Defaitismus, oder er wird, einigermaßen naiv, eine Liste anfertigen. Die könnte so aussehen:

IDie wachsende Unbildung • allenthalben. Wer hätte nicht bemerkt, daß wir mit der Mehrheit der Menschen gar nicht mehr reden können. Sie sprechen geistig und emotionell eine andere Sprache, oft denkt man: keine Sprache. Drei Jahrtausende sind (für) uns vorangegangen, wahrhaftig ein schönes Paket ist die sogenannte abendländische Kultur. Nur bleibt die Hinterlassenschaft, das prächtige Geschenk, bei den meisten ungeöffnet.

Ich fühle mich bedroht unter Menschen, die mein Wertsystem nicht teilen, ich bin vogelfrei, und wenn ich unbelästigt durch die Straßen gehe, so nur auf Grund eines Mißverstehens, von dem ich nicht weiß, wie lange es mich noch schützen wird. Einmal, es wäre nicht das erste Mal, wird man die Außenseiter entfernen.

Er ist schon zu privat, dieser Absatz, schon verfehlt.

2Die Pöbelart und Vulgarität • der sogenannten Mächtigen. Dieser Vorwurf gilt weltweit, hat mit Ideologie nichts gemeinsam.

Sollten sich Menschen mit innerem Auftrag, mit Seelenwürde, um veraltete Begriffe zu gebrauchen, nicht länger um einen Platz in der vordersten Reihe bemühen? Oder hat einer, der sich nicht von vorneherein der trübsten Mediokrität verschreibt, vielmehr keine Chance mehr, öffentlich zu wirken? Auch solche Überlegungen machen mir Angst.

Jetzt wird man diesen Demokratiefeind verlachen. Widerspruch wäre zwecklos.

3Die erschreckende Trägheit, • sagen wir ruhig Faulheit, die sich in Europa ausbreitet. Wer steht voll und begeistert hinter seiner Arbeit? War der Zusammenschluß der Arbeitnehmer zu Gewerkschaften und ähnlichen Interessengruppen noch vor Jahrzehnten eine gute und moralische Angelegenheit, so dienen diese Einrichtungen heute nur zu häufig dem Schutz der Neider, Arbeitsunwüligen und Widerspenstigen.

Der Befragte kann beispielsweise nur Abscheu über die Gesinnung von Ministern und Gewerkschaftern empfinden, für die eine Lächerlichkeit wie die noch frisch im Gedächtnis haftende Affäre um die Ladenschlußzeiten in Salzburg zur nationalen Erregung werden konnte.

Draußen in der Welt schützt man Initiative und .Extraeinsatz, hier in Osterreich schützt man die Faulheit. Jeder andere Begriff wäre ein Beschönigen. Wer Themen wie dieses überhaupt zu Themen macht, verdient auch nicht sein „tägliches Brot”.

Empörung: Der Idiot soll das Maul halten!

4Ja, und die Gewalt. Die Ge-•walt, die mit dem harten Wort beginnt, mit dem gleichzeitigen Durcheinanderbrüllen im Parlament, der demokratischen Unreife fast überall, und die mit Bombenwerfen und Folter und Mord immer nur eine vorläufige Grenze erreicht. Denn Steigerung liegt in ihrer Unnatur, die Gewalt kennt keinen Superlativ.

Gewalt ist es auch, .Jlalt's Maul” zu sagen.

Nein, mit dem Aufzählen ist es nicht getan. Wer dürfte auch diese Anklagepunkte als nur typisch für den Augenblick erachten? Unbildung, Pöbelart, Faulheit, Gewalt hat es zu jeder Zeit gegeben. Jahrtausendelang ist der Mensch genügend dumm, sich das Leben schwer und häßlich zu machen.

Da haben wir das passende Wort. Die einzige wirkliche Irritation ist die Dummheit.

Die scheinbar unsterbliche menschliche Dummheit, die uns, vom Technischen abgesehen, nicht weiterkommen läßt. Das Schreckliche unserer Zeit ist ja nicht etwa ein neues, nie dagewesenes Übel, sondern ist der Multiplikationseffekt alles Bösen durch unsere neuen Möglichkeiten, durch unsere Uberzahl. Seit der Mensch Geschichte als eine Reise durch die Zeit erlebt, präsentiert er sich unverändert als derselbe: unvollkommen und dumm.

So wie ein vergifteter Pfeil oder die Atombombe das gleiche sind, ein negatives Werkzeug, voneinander verschieden nur im erwähnten * Mulitplikationseffekt, der nicht den Tod an sich berührt, sondern nur die Statistik des Todes, so ist die kleine Schalterdummheit eines arroganten Beamten von der Feldherrendummheit großer Persönlichkeiten oder ganzer Nationen auch nur in der Wirkung unterschiedlich, nicht aber im negativen Prinzip, das uns am idealen Menschsein hindert.

Unser Fluch — und manchmal unsere Gnade - ist ja gerade diese Abhängigkeit vom einzelnen. Was wir heute für erreicht halten, macht die Tat eines Namenlosen wieder ungeschehen. Die Menschheit mordet, solange einer mordet, und die Menschheit zerstört, solange es einen Barbaren gibt.

Dummheit: Seine Zeit nicht nützen. Im rechten Augenblick das rechte Wort nicht sagen, weil man zu träge ist, weil man sich fürchtet. ^Dummheit: Jedes Verbrechen. Dummheit ist das Böse an sich. Nur zu oft vergessen wir das. Dummheit ist nicht wettzumachen durch die Weisheit einiger weniger, so wie die Krankheit eines Menschen nicht aufgehoben wird durch die Gesundheit des Nachbarn.

Meine Sorge: Was mit uns geschehen könnte, seit wir der Dummheit Amnestie gewähren, auch unter dem Vorwand des Willens der Mehrheit, der Gesetze der Nachfrage, der hohen Würde der Demokratie. Wer an solchen Säulen zu rütteln wagt, gilt als Anarchist, könnte wohl auch einer sein.

Wenn das Gute dem Bösen dienstbar wird, heißt es wirklich zittern. Es ist ja ein Teufelskreis, weil der Teufel die Dummheit schützt, weil der Mensch—noch?— nicht vollkommen ist. Es könnte alles schiefgehen, noch ist der Fall „Mensch” nicht entschieden.

Vielleicht wird irgendein Wesen in hundert Millionen Jahren uns, neben anderen Fossüien, einstufen als eine Sackgasse der Evolution. Einige gut erhaltene Schädel werden in Museen prunken. Diese sogenannten Menschen, sie nannten sich hochtrabend homo sapiens, starben ihrer Dummheit wegen, wird es heißen, so wie vor ihnen die Saurier verschwanden, urplötzlich, nach langem Weltbeherrschen — der Wissenschaft eine Faszination.

Bisher in dieser Reihe erschienen: „Leben in kalten Zeiten” von Heinz Pototschnig (Nr. 49/ 84), „Oblatenfrühling” von Friederike May-röcker (Nr. 50/84), „Zug der Lemminge” von Peter Marginter (Nr. 3/85), „Freigewä'hlte Ohnmacht'Tvon Rudolf Bayr (Nr. 4/85), „Abneigung gegen Arbeit” von Hans Weigel (Nr. 6/85).

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