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In Freiheit scheitern

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„Die Welt jedenfalls scheint häßlich, schlecht und hoffnungslos. So sagt die stille Verzweiflung eines alten Mannes, der in ihr sterben wird. Doch ich leiste Widerstand, und ich weiß, daß ich in der Hoffnung sterben werde.”

Diese Sätze formulierte der blinde und todkranke Jean-Paul Sartre noch wenige Wochen vor seinem Tod. Am IS. April 1980 ist Jean-Paul Sartre in Paris gestorben.

Sartre war nie ein bequemer Schriftsteller oder Philosoph. Er erregte Ärgernis, und wer weiß, ob er nicht bewußt gerade diese Provokation gesucht hat, die sein Leben von Anfang begleitete. Als Papst eines existcntialistischen Atheismus auf den - damals noch bestehenden - Index gesetzt, machte Sartre ebenso Schlagzeilen wie in seiner Zurückweisung des Nobelpreises für Literatur oder als er sich in Fran kreich nach 1968 an die Spitze zweier maoistischer Blätter stellte, obwohl er Maos Gedanken als „Kieselsteine” bezeichnete, „die ins Hirn gelegt werden”, oder als er die deutschen Terroristen in Stammheim besuchte und eine Sympathieerklärung abgab.

Er stellte sich gegen den Kolonialismus, gegen den Kapitalismus, das westliche Gesellschaftssystem überhaupt, aber auch gegen den Stalinismus und orthodoxen Marxismus, er versuch tedie französische Regierung dazuzubringen, ihn zu verhaften. Und er erntete Respekt, Achtung, Anerkennung. Als er auf Grund seines Engagements für ein unabhängiges Algerien fest damit rechnet, verhaftet zu werden, bittet ihn der Polizeikommissar um ein Autogramm.

Seine Werke - nicht nur die Dramen und Romane - auch seine philosophischen Bücher und politisch-polemischen Essays erreichen Auflagen, die selten einem Schriftsteller zuteil werden, der keinerlei Konzessionen an Geschmack oder Mode macht: er ist es vielmehr, der zeitweilig, vornehmlich zur Zeit der Hochblüte des Existentialismus gewissermaßen die Mode schafft.

Im Paris nach dem Zweiten Weltkrieg und ebenso in Westeuropa und Amerika ist er eine der Galionsfiguren des geistigen Lebens. Philosoph, scharfer und tiefer Denker, blendender Schriftsteller, Dramatiker von hohem Rang und zugleich unermüdlich sich politisch engagierend, ist Sartre zweifellos eine jener wenigen herausragenden Gestalten, die einer Epoche menschlichen Lebens entscheidend das Gepräge gaben.

Wenn es so etwas wie einen zentralen Gedanken seines vielschichtigen und auch schon rein quantitativ gewaltigen Werkes gibt, so ist es der Gedanke der Freiheit. Unermüdlich ist Sartre Für die menschliche Freiheit eingetreten, die er in einer Totalität und Radikalität dachte wie kaum ein Philosoph zuvor.

Sie bildet auch das Thema seines dramatischen Schaffens von den „Fliegen” bis zu den „Eingeschlossenen”, sie ist Kern seines Existentialismus, der keineswegs eine oberflächliche Attitüde darstellt, sondern dem eine streng durchdachte ontologische Konzeption zugrundeliegt - Sartre hat sie in „Das Sein und das Nichts” dargestellt - sie bestimmt auch seine Auseinandersetzung und Integration des Marxismus, wie er sie in der „Kritik der dialektischen Vernunft” entfaltet hat.

Menschliches Dasein und Freiheit sind für Sartre ein- und dasselbe, aus seiner Konzeption der menschlichen Existenz resultiert ein Freiheitsbegriff, der dem Menschen ohne Gott die alleinige Verantwortung für sein Handeln durchaus nicht leichtfertig, sondern als schwere Bürde zuerkennt. „Der Mensch macht sich selbst” - einer der meistzitierten, aber auch am meisten mißverstandenen Sätze Sartres ist neben seinem provokativen Charakter nahezu als Frucht einer großen und verzweifelten Einsicht anzusehen, ebenso wie sein anderes wohlbekanntes Dik-tum: „Wir sind zur Freiheit verurteilt”.

Gewiß zeigt sich darin ein anarchischer, zutiefst anti-bürgerlicher und anti-institutioneller Zug, den Sartre auch in seine Auseinandersetzung mit dem Marxismus einbrachte, dessen Erstarrung er trotz grundlegender, oft überraschender Sympathie bitter gegeißelt hat.

Für Sartre, diesen Erzbürger von Herkunft, Großneffe Albert Schweitzers und durch den frühen Tod des Vaters entscheidend in seiner psychischen Konstellation geprägten Schriftsteller, ist der „Bourgeois” der Erzfeind schlechthin. Jede Erstarrung und Institutionalisierung ist ihm der sich als Sechszigjähriger in der Mairevolte 1968 engagiert und nicht selten der Lächerlichkeit preisgibt, zutiefst zuwider.

Sartres Waffe ist die Feder des Schriftstellers, sein Kampfarsenal besteht aus Sprache, aus Wörtern. Durch und durch Schriftsteller, durch und durch in seiner Erfahrung von Welt, von Mensch, von Sein durch das Wort geprägt, ist ihm Schreiben Handeln zugleich. In seinem Essay „Was ist Literatur” führt er einmal aus:

„Der engagierte Schriftsteller weiß, daß das Wort Handlung ist, er weiß, daß Enthüllen verändern ist, und daß man nur enthüllen kann, wenn man die Absicht hat, etwas zu verändern. Der Schriftsteller hat gewählt, die Welt zu enthüllen, insbesondere den Menschen den anderen Menschen, damit sie angesichts des so enthüllten Objektes ihre ganze Verantwortung auf sich nehmen ... Denn das ist wohl der Endzweck der Kunst: diese Welt wieder in Besitz zu nehmen, indem man sie so zeigt, wie sie ist, aber als wenn sie ihren Ursprung in der menschlichen Freiheit hätte.”

Sartres politisches Engagement, nicht selten vom Scheitern und angesichts seines Denkniveaus von nahezu unverständlichen Irrtümern begleitet, hat in diesen Überzeugungen seinen Ursprung. Es stellte ihn auf einen schwierigen und gewundenen Weg, auf dem Freundschaften zerbrachen, Uberzeugungen ins Wanken gerieten, Sartre nicht selten Anlaß zum Kopfschütteln wurde. Der Bruch mit Albert Camus, mit Maurice Merleau-Ponty angesichts seiner Weigerung in den Fünfziger Jahren, die Existenz sowjetischer Straflager anzuerkennen, zeugen ebenso davon, wie sein ständiges ambivalentes Verhältnis zur kommunistischen Partei Frankreichs oder seine noch vor kurzem ausgesprochene Verdammung der „Nouvelle Philosophie”.

Allein, alles das mag in wenigen Jahren ebenso Geschichte und Distanz geworden sein, wie 1945 oder 1968 für uns Heutige. Entscheidender ist das, was in Sartres Denken und Schreiben in und durch den geschichtlichen Wandel anrührt und berührt, jenseits der Ereignisse des Tages. Der Denker Sartre, selbst dort, wo man ihm nicht folgen mag, wo er zum Widerspruch reizt, ist und bleibt getragen von einem Bemühen um den Menschen, um seinen Weg und sein Schicksal, seine Möglichkeiten und seine Grenzen.

Der Scharfsinn seiner Analysen, von den phänomenologisch orientierten Untersuchungen der Strukturen des Bewußtseins bis zu seiner Psychoanalyse der Gesellschaft in seinem Werk über Flaubert, besticht und erschreckt zugleich. Sartre, der unentwegt für das Individuum eintritt, hat etwa in seinen Analysen der mitmenschlichen Beziehung, in dem, was der berühmte Satz „Die Hölle, das sind die anderen” ausgedrückt, eine illusionslose Welt dargestellt, in der Liebe ebenso wie Haß einem grundlegenden Scheitern ausgesetzt sind.

Ob in der Beziehung zwischen einzelnen, ob im gesellschaftlichen Raum -glückende Gemeinsamkeit gibt es für Sartre allenthalben nur im Augenblick. Auch darin liegt eine ungeheure Provokation, die darzustellen Sartre nicht müde geworden ist. Das mag abstoßen, so scharfsinnig auch die diesbezüglichen Analysen sein mögen. Zugleich aber enthüllt sich darin eine wohl illusionslose aber zugleich auch scheue Hoffnung, die Sartres - ihm selbst wohl bewußtes Scheitern - von Anfang an begleitete.

Gerade sein Appell in dieser verzerrten und schonungslosen Darstellung unserer Situation an unsere Freiheit und Verantwortlichkeit, die uns nichts und niemand abnehmen kann, mag dafür in Anspruch genommen werden.

Die „schmutzigen Hände”, die jedes Handeln, vorweg das politische - mit sich bringt, deuten auf die Versuchung, sich selbst und sein Leben zu bewahren, sich der „action” zu enthalten. Daß dies nicht möglich ist, daß uns Wahl, Entscheidung und Verantwortung aufgegeben sind, wir uns aber nicht auf vorgegebene Werte oder Normen verlassen und an ihnen orientieren können, war eine von Sartres Grundüberzeugungen. Vielleicht steht ihm gerade darum der Titel eines Moralisten und Humanisten zu, den er selbst eher verächtlich seinem ehemaligen Freund Albert Camus zuerkannt hatte.

Es ist banal, zu sagen, daß mit ihm einer der letzten großen alten Männer der Philosophie gestorben ist. Sartre, für den der Tod eine einzige große Absurdität darstellte, die unserem endlichen Leben letztlich weder etwas hinzufügt, noch etwas nimmt, wie er in „Das Sein und das Nichts” dargelegt hat, hat den Tod als endgültiges und unwiderrufliches Verurteiltwerden durch den anderen bezeichnet. Für ihn, der das Nichts, die Negation, die Abwesenheit so hoch einschätzte, trifft vielleicht in besonderem Maße zu, daß sein Abwesendsein auch jene bestürzt, die seinem Denken und Handeln die Gefolgschaft verweigerten.

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