6842094-1975_49_27.jpg
Digital In Arbeit

In großer und kleiner Besetzung

Werbung
Werbung
Werbung

Die Wochen zeitgenössischer österreichischer Musik erreichten einen Höhepunkt mit einem Chor-Orchester-Konzert im leider nur etwa zu einem Drittel gefüllten Großen Konzerthaussaal. Das „Requiem“ op. 4 für achtstimmigen gemischten Chor und Orchester hat Hans Erich Apostel, der erst 1972 verstorbene letzte prominente Vertreter der Schönberg-Schule, bereits 1933 geschrieben. Aber nach 1945 ist es nicht aufge-' führt worden, hätte also schon aus diesem Grund mehr Interesse verdient. Apostel bedient sich da noch nicht der Zwölftonreihen, sondern schreibt, ähnlich wie Alban Berg in seiner „Wozzeck“-Partitur, eine „atonikale“ Musik von großer Schönheit, genauer „Durchhörbarkeit“ und übersichtlicher Form. Das 22 Minuten dauernde Werk benützt als Text zwei Dreizeiler aus Rilkes „Stundenbuch“. Die Chorsätze werden von einem Vor- und einem Nachspiel eingerahmt und von einem Orche-sterinterludium unterbrochen. — Unter der Leitung von Milan Horvat, ausgeführt vom Orchester und Chor des Österreichischen Rundfunks, kamen nicht alle Feinheiten, Farben und Differenzierungen der anspruchsvollen Partitur zur Geltung.

Hingegen bewährte sich dasselbe Ensemble, vermehrt um drei Solisten (Jane Marsh, Ilona Szep, Reid Bun-ger) und Orgel (Rudolf Scholz) ausgezeichnet an dem Oratorium „Ezzo-lied'“ von Johann Nepomuk David, das dieser, nachdem eine erste Fassung verbrannt ist, in den Jahren 1954 bis 1957 ein zweites Mal komponierte. In Wien hörten wir das 50-Minuten-Werk vor genau 10 Jahren im gleichen Saal. Anläßlich des 80. Geburtstages von J. N. David bringen wir in der nächsten Folge der FURCHE eine Gesamtwürdigung des Komponisten aus der Feder seines Wiener Biographen Rudolf Klein und in diesem Rahmen auch eine Besprechung dieser Aufführung sowie die der 3. Symphonie Davids, die im Großen Sendesaal des ORF stattgefunden hat.

Das Wiener Kammerorchester veranstaltet einen fünfteiligen Matineen-Zyklus, dessen sämtliche Konzerte, wie wir uns neulich überzeugen konnten, bis auf den letzten Platz „ausabonniert“ sind. Auf den Programmen stehen fast ausschließlich Werke der Wiener Klassik. So auch in dem von Rene Klopfenstein dirigierten Konzert. Mit Recht hat man auch Telemann aufs Programm gesetzt, diesen bei uns ein wenig vernachlässigten Meister der Kleinform. Seine neunteilige Suite „La Lyra“ ist in jeder Hinsicht reizvoll, ebenso das Haydn-Divertimento Nr. 5 Es-Dur, und Mozarts C-Dur-Symphonie KV 200 hört man auch nicht allzuoft. — Der Solist des Violinkonzerts Nr. 1 von Haydn war der blinde japanische Geiger Taka-yoshi Wanami. r— Was eine solche Aufführung nicht nur an den Solisten, sondern vor allem auch an den Dirigenten für Anforderungen stellt, ist kaum vorstellbar. Dieser muß sich ganz auf den Geiger einstellen, was Rene Klopfenstein in bewunderungswürdiger Weise verstand. Im übrigen hat sich dieser Dirigent besonders als Interpret nicht nur der Wiener Klassik, sondern auch Schumanns, Schuberts und Mendelssohns in Wien einen guten Namen gemacht, zumal diese Musik den bekannten und berühmten „Senkrechtstartern“ unter den jüngeren Dirigenten nicht immer sehr gut gelingt. Kiopfenstein kann auf die große Geste und die effektvolle „große Symphonie“ verzichten, da er ein vorzüglicher Musiker ist, dem das fein ziselierte Detail ebenso gelingt wie der organische Aufbau einer Komposition. Günstig für die „Transparenz“ ist auch die kleine Besetzung: 14 Streicher nebst Vier Bläser in der Haydn-Symphonie. Lebhafter und langanhaltender Applaus, der mit einer Wiederholung bedankt wurde.

Helmut A. Fiechtner

Im Rahmen der Wochen der zeitgenössischen österreichischen Musik gab es besonders im Großen Sendesaal des Funkhauses bemerkenswerte Uraufführungen. Die Rundfunkprogramme der letzen Zeit haben gute Einblicke in das derzeitige österreichische Musikschaffen gewährt. Wir hörten das Kammerorchester Bratislava unter der Leitung von Vlastimil Horäk. Natürlich waren die fleißigen Slowaken durch die Einstudierung von fünf neuen Werken etwas stark gefordert, man muß aber ihnen und dem treffljcheri Dirigenten das Kompliment machen, wirklich gut studiert zu haben. Viel Mühe hatte sich bestimmt auch Vojtech Gabriel gegeben, aber sein altmodisch langsames Vibrato und die unsichere Tongebung ließen doch erkennen, daß er dem romantischversonnenen, aber unheimlich kniffligen Virtuosenstück Franz Karl Müllers (Concerto macedonico, für Violine und Kammerorchester) nicht ganz gewachsen war. Das Kleine Intermezzo von G. Aränyi-Aschner erwies sich mit seinen rezitativischen Solo- und Unisono-Stellen als nicht sehr substanzstark. Da war der greise Norbert Sprongl mit seinen toten-tanzätinlichen Variationen und Phantasien über ein eigenes Thema, für Klavier (sehr gut Rudolf Macudinski) und Kammerorchester ein anderer Mann. Sehr gut hatte es der begabte Student Ernst Würdinger mit seinem Klarinettisten Vladimir Cvecka getroffen; seine Elegie wirkte nicht ganz einheitlich, war aber farbig und zeigte Satzkönnen. Würdingers Lehrer Heinrich Gattermeyer griff noch weiter als Sprongl in seinen Dies-irae-Anklängen zurück, nämlich bis an den Beginn europäischer Musikgeschichte. Sein „Skolion“ verarbeitet das aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert stammende Seiki-los-Lied in einfallsreichen Variationen: gelehrt, aber nicht akademisch, eine Musik, bei der man nicht verstohlen auf die Uhr schaute ...

Im Brahmssaal gab Theo Adam einen Schubert-Aberid. Nachdem sieh der deutsche Bassist mit dem ersten halben Dutzend Lieder der Winterreise eingesungen hatte, erreichte er in den folgenden eine für ihn ungewöhnliche Tiefe des Ausdrucks im Liedgesang. Jörg Demüs, der nicht immer dasselbe Konzept wie Adam hatte (Kunstpausen und Phrasen des Sängers wurden fallweise nicht konform beantwortet), setzte seine ganze Schubert-Kennerschaft ein und könnte in engerer Zusammenarbeit zum idealen Klavierbegleiter des Sängers werden.

Die Meinungen über das letzte Symphoniker-Konzert mit Jerzy Semkow im Musikverein sind geteilt; mir jedenfalls bescherte er einen außerordentlichen Genuß: Jerzy Semkow scheint sich als besonderer Mozart-Spezialist zu profilieren, und das ist gerade heute etwas Seltenes. Die Symphoniker hatten bestens geprobt und freuten sich selbst über Glanz, Präzision und Ausdruckskraft ihres Spieles und konnten sich durch diese Freude auch noch in ihrer Leistungsfähigkeit steigern .. . Die Bläser trumpften im Marsch D-Dur, (KV. 335/1) festlich auf,- und was die Streicher im ungemein heiklen Divertimento D-Dur, KV 136, und alle zusammen in der Linter Symphonie leisteten, das stellte unsere Musiker in eine Reihe mit Spitzenorchestern aus aller Welt. Semkow, der Urheber all dieser Köstlichkeiten, ließ auch nicht die wünschenswerte Tiefe des Gefühls missen und hatte sieht- und hörbar besten Kontakt zum Orchester. Man könnte sich vorstellen, daß eine engere Bindung des Polen an unsere Symphoniker vorteilhaft wäre .. . Misha Dichter war der feinsinnige, hochmusikalische Klaviersolist im Es-Dur-Konzert, KV 482, und vermittelte auch seinerseits ein bedeutendes Erlebnis.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung