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In Hoffnung auf Vollendung"

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„Es zählt zu den signifikantesten Momenten der gegenwärtigen Theologie, die Hoffnung als Wesensmerkmal des Glaubens und als Element operativer Weltgestaltung in den Blick genommen zu haben. Die Erinnerung daran, daß die biblischen Texte weithin Zeugnisse einer Verheißung und Hoffnung sind, das Bewußtmachen der not-wen-digen Konnexion von Hoffnung und Handeln sowie ihrer ethisch relevanten

Das Jahrhundert begann mit Picassos Ankunft in Paris. Nach einem kurzen Aufenthalt im Jahre 1900 ist der Maler im nächsten Jahr endgültig nach Frankreich gezogen. Er selbst hat dieses Ereignis sogleich festgehalten. Das „Selbstbildnis bei der Ankunft in Paris" von Pablo Picasso entnehmen wir dem instruktiven und mit vielen Bilddokumenten ausgestatteten Band „Paris 1900 - 1914. Aufbruch der Künste in die Moderne" von Nigel Gosling. Die geistreiche und vielfältige Zusammenfassung läßt das kulturelle Panorama einer Zeit lebendig werden. (Südwest-Verlag München, 240 Seiten, öS 4543)Interaktionsformen gibt dem Thema Hoffnung den Stellenwert eines sittlichen Imperativs."

So beginnt der erste Absatz des Schlußkapitels einer Neuerscheinung, welche sich die „Elpis", das griechische Wort für „Hoffnung", zum Thema gestellt hat. Man müßte eigentlich dieses Schlußkapitel „Integration" zuerst lesen, weil es das Resume der umfangreichen Arbeit zieht, und sogleich die Einleitung anschließen „Problemgeschichte der Hoffnung - Typologie und Systematisierung", die von der Antike bis zur Gegenwartsphilosophie und •theologie reicht, um das Problem, das uns in seiner ganzen Aktualität auf der Seele brennt, zu erfassen, um sich dann erst auf den zentralen wissenschaftlichen Teil einzulassen.

Dieser mehr als drei Viertel des Buches umfassende Mittelteil verlangt viel Konzentration und Vertrautheit mit wissenschaftlichem Arbeiten, beweist ein ungemein gründliches, von reichem Material untermauertes Wissen, doch sein großer Vorzug ist die Genauigkeit der Untersuchung, die sich an Wort-und Begriffsgeschichte hält.

Philosophische und theologische Essayistik gibt es in ausreichendem Maße zum Thema Hoffnung,sieentwirft Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten mehr oder weniger geistvoller Art. Doch die genaue Sicht auf das Wort und seinen Gebrauch in der Sprache, wie sie die moderne Sprachphilosophie angeregt hat, besitzt den Vorzug, hart an der Sache zu bleiben. „Denn Begriffsgeschichte ist jeweils auch Zeitgeschichte des Begriffes und in einem damit Problemgeschichte. Wort, Sache, Situation stehen in einem Bedingungszusammenhang."

Im Hauptteil der Untersuchungen beschäftigt sich der Autor vor allem mit der Antike und dem Christentum, den beiden wesentlichen Komponenten unserer abendländischen Kultur. Die großen griechischen Philosophen, Tragödiendichter, Lyriker, aber auch Komödienschreiber und Sophisten kommen zu Wort und zeigen den eigenartig ambivalenten Begriff der Hoffnung in der Antike, als sinngebendes Hoffen und als eitle Hoffnung der Illusionen, die im Hellenismus ausklingt und jenen bezeichnenden Satz Senecas spricht: Aufhören wirst du zu fürchten, wenn du aufhörst zu hoffen. Teilweise dringt diese Haltung auch in das Alte Testament.

Das Neue Testament hat dann der Hoffnung einen eindeutig positiven Akzent verliehen. Hier zeigt sich die Fruchtbarkeit der Wortfeldtheorie: mit dem cartesianischen Ideal der Vergegenständlichung der Begriffe (clare et distinete) kommt man nicht weit. Hoffnung kann sich auch in Bildern, gleichnishafte Wendungen, Metaphern oder in Tempuskategorien, die in einer Reihe von Wörtern Sinnbezirke der Hoffnung schaffen, artikulieren. Darüber hinaus: „Verstehen der Hoffnung im Neuen Testament ist mehr als bloßes Erfassen ihrer Bedeutung, sie führt zu Entscheidungen und Handlungsalternativen", ermöglicht Sinn, und mündet schließlich in die Trias: Glaube, Hoffnung, Liebe.

So steht das Buch, trotz oder vielleicht gerade wegen seiner betonten Wissenschaftlichkeit (es „hebt den Gegensatz von theoretischem und praktischem Verstehen auf), mitten in der Gegenwartsproblematik. Der Gedanke der Evolution verweist den Menschen auch in seine Zukunft: „evolutionärer Humanismus" hat das Huxley benannt. Teilhard de Chardin, Ernst Bloch, auch Karl Marx sind signifikante Namen dafür. Aber auch das Ausgesetztsein, die Bedrohtheit durch die Angst, die Orientierungslosigkeit, wie sie die Existenzphilosophie und zeitgenössische Dichtung bewußt gemacht haben, gehören dazu.

Selbstverständlich wird auch die neuzeitliche theologische Problematik (besonders der politischen Theologie) nicht ausgeklammert. Hier betreibt die genaue Wortanalyse und -geschichte von Hoffnung eine gründlichere „Ideologiekritik" als geistreiche, auch theologische, Essayistik. Hoffnung steht gegen die „vermessene Vorwegnahme der Erfüllung", wie sie politische Philosophie und Theologie betreiben, aber auch gegen die „vermessene Vorwegnahme der Nicht-Erfüllung", wie sie in nihilistischen (resignativen, anarchistischen oder heroischen) Gesten zum Ausdruck kommt.

HoffnungentlarvtjedesAbsolutheits-pathos, verteidigt so die menschliche Freiheit gegen alle inhumanen Zwänge, gibt sich nie mit dem Faktischen zufrieden und fördert den ständigen Aufbruch zum Besseren, aber unter dem „eschatologischen Vorbehalt", das heißt sie steht kritisch zum Zukunftsoptimismus innerweltlicher Erlösungsmythen, weil sie die letzte endgültige Befreiung von Gott erhofft. ELPIS-HOFFNUNG, Geschichte, Philosophie, Exegese, Theologie eines Schlüsselbegriffes. Von Karl Matthäus Woschitz. Verlag Herder, Freiburg 1980,773 Seiten. öS 680.-

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