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In Lebensstürmen wo der Geist weht

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Es war im Sommer 1940. Die Gemeinde hatte ihren Pfarrer längst verloren, weil er den Mächtigen im Wege war. Auch der Mann, der an diesem Sonntag am Altar und auf der Kanzel stand, wußte um seine permanente Gefährdung. Er wußte auch, daß auf der Empore im Gottesdienst einer saß, der jedes Wort mitschrieb. Die Gemeinde ging zum Altar, um das Sakrament zu empfangen — der Wächter von der Empore schloß sich ihr an. Niemand hat ihn je wieder in dieser Kirche Berlins gesehen, seinen Platz auf der' Empore nahm ein anderer ein.

Vor 14 Jahren wurde Martin Luther King ermordet. Ein Mann, der Versöhnung predigte, wurde Opfer sinnlosen Hasses. Weder seine Frau, noch seine Eltern verurteilten den Mörder, sondern baten um sein Leben.

Schließlich in unseren Tagen geschehen: zwei junge Menschen in der Tschechoslowakei wollen heiraten. Beide sind getauft, dann aber dem Glauben mit kräftiger Nachhilfe ihrer Lehrer entfremdet worden. Nun aber möchten sie sich doch kirchlich trauen lassen. Sie wissen genau, daß ihre Personalakte dann einen häßlichen Fleck bekommen und ihre beruflichen Chancen eingeengt werden.

Der Geist Gottes ist am Werk, seit Anbeginn der Schöpfung und bis zum Ende der Welt. Er rief das Seiende aus dem Nichts, er holt die Verfolger wie die Verfolgten aus ihrer Angst, er macht lebendig, was abgestorben scheint. Gemeinden im Untergrund entstehen, wo an der Oberfläche nur noch Anpassung oder Resignation herrscht. Schranken, die durch Jahrhunderte Christen von Christen trennten, fallen stückweise in sich zusammen.

Gottes Geist ist unter uns am Werk. Nicht so spektakulär, wie es im Pfingstbericht der Apostelgeschichte erzählt wird, aber immer mit derselben Folgerung wie damals: Was sollen wir denn nun tun? Wir geraten in einen Luftstrom, wo der Geist weht und die Windstille von Selbstverständlichkeiten, die unser Leben abschirmten gegen unbequeme Fragen, hat schlagartig ein Ende.

Freilich: der Geist, weht, wo er will. Das macht ihn so unbequem, so fragwürdig, so unberechenbar.

Wer ihn institutionalisiert, hat ihn nur scheinbar gebändigt. Aufstand, Auswandern, Sektenbildung — das war noch immer die Antwort derer, die den himmelschreienden Zwiespalt zwischen verbürokratisierten Kirchen und ihrer Geistgewißheit nicht mehr ertrugen.

„Nun bitten wir den Heiligen Geist”, „Komm, o komm. Du Geist der Wahrheit”, „O Heilger Geist, kehr bei uns ein”; kaum ein Lied, das wir zu Pfingsten singen, verzichtet darauf, um den Geist zu bitten. Aber es gilt ja auch: daß wir um ihn bitten, ist selbst schon sein Werk. Nur wer jemals von Liebe angerührt war, kann um ihren Fortbestand bitten. Nur wer jemals Freundschaft erlebte, leidet, wenn sie schuldhaft endet und erhofft Neubeginn und Steigerung. Nicht anders steht es um. Gottes Geist. Durch die Propheten redete er, ließ uns Christi Wort und Tat wegweisend werden.

Welchen Stellenwert hat die Bitte um den Heiligen Geist, der vom Vater und vom Sohne ausgeht, im Leben unserer Gemeinden und Kirchen? Sind wir wirklich bereit, die Früchte des Geistes — Beistand, Wahrheit, Liebe und Zucht — anzunehmen und weiterzugeben? Können wir uns ganz freimachen vom Gemeindeegoismus, von Erfolgsstatistiken, von den vielen-gezinkten Karten, die im Spiel der Kirchen enthalten sind?

Sind wir bereit, die Blätter auf den Tisch zu legen und damit zu rechnen, daß der Geist hineinweht und viele forttreibt? Ist der Scheintod in manchen Gemeinden und Kirchen nicht von uns selbst verschuldet, weil wir die Windstille mehr lieben als das Wehen des lebendigen Geistes?

Warum es nur solange gebraucht hat, um im Bekenntnis zum Heiligen Geist auch vom Sohn zu reden? Gottes Geist, Christi Geist — beide vereinen und verstärken sich in der Rede vom Heiligen Geist. Diese Trias läßt sich nicht erklären oder auseinanderdividieren, sondern nur in ihrer Wirkung erfahren. Daß wir, die Geschaffenen und Erlösten durch den Heiligen Geist täglich neues Leben empfangen — das ist unsere Bitte und Hoffnung, die sich auf Erfahrung gründet, zu Pfingsten.

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