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In Lissabon ruft der Muezzin

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An jedem Freitag, besonders aber am Ende des Fastenmonats Ramadan, erlebt Lissabon ein Volksfest besonderer Art. In der Moschee, die über der weitläufigen Prace de Espanha thront und in deren Umgebung versammeln sich Hunderte farbenfrohe Menschen - nicht nur, was die Gesichtsfarbe (von weiß bis ebenholz-schwarz) betrifft, sondern auch in festlich-bunten Gewändern.

Die meisten Mohammedaner, die in Portugal leben, stammen aus den ehemaligen Kolonien Mozambique und Guinea Bissao, sind seit 1975, als die Länder in Afrika allzu plötzlich unabhängig wurden, ins Mutterland geflüchtet - vor den Kommunisten, wie sie sagen, die ihnen ihre freie Religions-Ausübung ebenso verweigerten wie den gewohnten Lebensstandard. Jetzt bekennen sie sich als Portugiesen, wollen nichts als Portugiesen sein.

Für Portugal ist dieses Problem nicht größer als das der vielen weißen Rückwanderer aus den ehemaligen afrikanischen Besitzungen des Landes. Rassen-Vorurteile gibt es hier kaum. Aber die Errichtung einer Moschee an zentraler Stelle der Hauptstadt, ein großer Bau, der mit sonnengelben Mosaiksteinen verkleidet weithin sichtbar ist, die mußte erst verkraftet werden.

Im Jahr 1250 wurden die letzten

Mauren aus Südportugal vertrieben. Jahrhundertelang hatte man die „Reconquista", die Wiedereroberung der iberischen Halbinsel durch christliche Völker betrieben - zusammen mit den Spaniern, mit denen es allerdings schon in dieser Zeit des Kampfes zu Konflikten kam. In der anschließenden Zeit der „Conquista", der Entdeckungen, Eroberungen ferner Länder, gab es zwar viele Begegnungen auch mit dem Islam, aber er konnte in erträglicher Entfernung gehalten werden. Die 1536 einsetzende Inquisition hat dann die Reste mohammedanischer Überlieferung ebenso ausgemerzt wie die des Judentums oder die Einflüsse der Reformation. Nur in der portugiesischen Sprache haben sich viele arabische Wörter erhalten.

Nach mehr als 700 Jahren, 1985, wurde diese Moschee eingeweiht, mit portugiesischen Regierungsmitgliedern als offiziellen Gästen, bis heute aber ist sie noch nicht fertiggestellt. Sie bedarf ja nicht nur eines sakralen Bereiches, sondern auch verschiedener Gesellschaftsräume. Etwa 1.500 Mohammedaner leben derzeit in Lissabon, sind zum Teil beruflich recht erfolgreich. Es gibt auch viele Arme, die auf die Unterstützung ihrer Glaubensbrüder angewiesen sind. Die Religion verpflichtet die Wohlhabenden, zweieinhalb Prozent ihres Einkommens den Armen zu geben. Sie nennen sich untereinander „Brüder" und gehen, wenn sie sich in der Moschee

versammeln, freundlich miteinander um. Es wird geplaudert, musiziert, auf die Verteilung der Almosen oder auf die Ausspeisung an langen Tischen in einem geräumigen Keller gewartet.

Issuf Adamj e ist ein Sprecher der Gemeinde. Er ist Journalist und redigiert die einzige islamische Zeitung in portugiesischer Sprache. Sie geht in alle Länder, in denen portugiesisch sprechende Moslems leben. Daneben werden kleine Broschüren über Fragen des Glaubens und des Rituals gedruckt. Man hält guten Kontakt zu den großen islamischen Staaten, die zuweilen auch Spenden schicken - etwa für den Bau der Moschee. Nebenbei betreibt Issuf Adamje ein kleines Hotel in der Algarve.

Die lebendigen Beziehungen zu Afrika, auch zu den einstigen portugiesischen Stützpunkten in Asien werden verständlich. Hinter der Republik Portugal, die sich in die Europäische Gemeinschaft einzuleben bestrebt, warten riesige Länder darauf, mit portugiesischer Vermittlung Zutritt zu erhalten. Man begreift, daß Portugal auf unabsehbare Zeit mit den Gedanken in Brüssel, mit dem Herzen aber in Afrika oder in Brasilien sein wird.

Die Mohammedaner in Lissabon sind loyale Portugiesen. Aber sie haben Verwandte und Glaubensbrüder dort zurückgelassen, wo der „Nelken-Revolution" von 1974 ein jahrelanger Krieg um die Unabhängigkeit vorangegangen war und

wo man noch heute um eine „Freiheit" kämpft, unter der - je nach Perspektive des Sprechenden -höchst Unterschiedliches verstanden wird. „Vielleicht werden sie einmal wirklich frei werden", sagt Issuf Adamje nachdenklich.

Die Phase, als die iberische Halbinsel zum großen Teil von Mauren beherrscht wurde, gilt als Blütezeit des Geisteslebens und der Toleranz. Erst die Eroberung durch die Christen veranlaßte viele Juden, sich zum Schein taufen zu lassen. Diese „Taufschein-Christen", Marranen genannt, bilden auch heute noch den überwiegenden Teil der kleinen jüdischen Minderheit in Portugal, die etwa acht- bis zehntausend Personen umfaßt. Rund 400 Mitglieder hat die jüdische Gemeinde von Lissabon. Sie haben sich erst nach der Inquisition angesiedelt. Ihr Vorsitzender ist der Arzt Joshua Ruah.

Im 16. und 17. Jahrhundert flüchteten viele Juden nach Holland (einer von ihnen war Baruch Spinoza) und sogar nach New York, wo in der ältesten Synagoge heute noch Ladino, ein Vorläufer des Portugiesischen, gesprochen wird. Jüdische Emigranten verbreiteten die portugiesische Sprache etwa so wie die nach Osteuropa wandernden Juden ihr mittelalterliches Deutsch (das Jiddische). Joshua Ruah ist einer der wenigen politisch aktiven Juden. Ein anderer ist sein Schulfreund Jorge Sampaio, seit Anfang 1990 Bürgermeister von Lissabon.

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