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In memoriam Josef Kraus

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Als am Donnerstag, dem 1. Juli 1971, von der Pfarrkirche zu Kron- berg das Zügenglöcklein ertönte, wurde es still in den Häusern und auf den Feldern des schlichten Weindorfes am Rande der Brün- narstaiaße. Niemand fragte und^ doch’ wußten es alle: Josef Kraus, ehemaliger ^LandwiitschaJteooiipct. ster Österreichs, hat diese Erde für immer verlassen.

Kraus schied so, wie er es im Leben stets gehalten hat, wenn wichtige Entscheidungen von ihm verlangt wurden. Durch Wochen den nahen Tod vor Augen, wartete er, oft und oft von harten Schmerzen gepeinigt, gottergeben auf die letzte Stunde, für die er sich ein langes Leben hindurch wohlgerüstet wußte. Josef Kraus hatte eine reiche Ernte eingebracht, als er vor dem Tor der Ewigkeit Abschied nahm und für jeden der Seinen noch ein tröstendes Wort fand.

Man schrieb das Jahr 1906, als der 16jährige Kraus das erste Mal in seinem Leben zeigen konnte, was in ihm steckte. Die neu gegründete Milchgenossenschaft brauchte einen Geschäftsführer. Der junge Kraus, der eben die landwirtschaftliche Schule in Mistelbach absolviert hatte, meldete sich freiwillig und fand das Vertrauen seiner Mitbürger, denn trotz seiner Jugend waren seine Fähigkeiten der Umwelt nicht verborgen geblieben. Neben den nötigen Fachkenntnissen zeichnete den 16jährigen auch ein hohes Verantwortungsbewußtsein aus, das den späteren Genossenschaftspionier für sein ganzes Leben charakterisierte. Nicht nur die Milchgenossenschaft Kron- berg, auch ihr junger Geschäftsführer erregte die Aufmerksamkeit der Nachbargemeinden. Bald wurde Kraus gerufen, um auch beim Aufbau weiterer Milchgenossenschaften mitzuhelfen. Meistens ging dabei die Initiative von ihm selbst aus. Als er vier Jahre später zum Militär gerufen wurde, verfügte er schon über reiche und wertvolle Erfahrungen beim Aufbau von Milchgenossenschaften.

Josef Kraus hat auch als Soldat seinen Mann gestellt. Er diente beim K. u. K. Dragonerregiment Nr. 3, avancierte dort sehr rasch zum Feldwebel und war an allen Fronten des 1. Weltkrieges einge setzt. Mehrfach ausgezeichnet kehrte er 1919 von der italienischen Kriegsgefangenschaft in seine Heimat zurück. Die Kronberger sollten bald erfahren, daß sich der Heimkehrer Josef Kraus mit den wirtschaftlichen Verhältnissen; die den Stempel der Nachkriegszeit trugen, nicht abfinden wollte. Die Bevölkerung litt Hunger, aber es gab zu wenig Milch. Doch es lohnte sich für die Bauern nicht, mehr Milch zu erzeugen, da der durch amtliche Verfügung niedrig gehaltene Milchpreis dazu keinen Anreiz gab. In dieser Situation ist der Genossenschafter Josef Kraus erstmals in das Rampenlicht der breiten Öffentlichkeit gerückt. Er gründete durch den Zusammenschluß von 15 Milchgenossenschaften zunächst einen Lokalverband für gemeinschaftliche Milchverwertung. In wenigen Monaten gelang es ihm, in zahlreichen Versammlungen die Milchwirtschaft des gesamten Weinviertels durch diesen Lokalverband zu erfassen, der damit zur Keimzelle des nö. Molkereiverbandes wurde. 200 Genossenschaften waren in diesem ersten Molkereiverband vereinigt. Kraus war der Sprecher der Milchwirtschaft in der Milchpreisbestimmungskommission und seinem mutigen Eintreten war es schließlich zu verdanken, daß ein kostendeckender Milchpreis mit Unterstützung des Bauernbundes erkämpft werden konnte. Die Folge war ein rasches Ansteigen der Marktleistung an Milch und die Eindämmung der bis dahin herrschenden Hungersnot. Doch kurze Zeit später gab es neue Schwierigkeiten. Mangels Verarbeitungsmöglichkeit mußte ein Großteil der gewonnenen Milch den Schweinen verfüttert werden. Kraus hatte den Mut, in Mistelbach eine zentrale Großmolkerei zu schaffen, um den Frischmilchüberschuß marktgerecht verwerten zu können. Das Beispiel Mistelbach hat in ganz Niederösterreich und darüber hinaus Schule gemacht. So entstanden zahlreiche Molkereibetriebe, die heute das Rückgrat der genossenschaftlichen Milchwirtschaft sind.

Seine Heimatgemeinde Kron- berg hat den erfolgreichen Milchwirtschafter zum Bürgermeister gewählt und ihm damit auch die kommunale Last aufgebürdet. Seine Schaffenskraft fand besonderen Auftrieb, als er im Jahre 1925 mit der Traunfelderin Theresia Rath den Bund für das Leben schloß. Der Ehe sind vier Töchter entsprossen. Seine Familie war der Sonnenschein seines Lebens, nach., dem er sich immer wieder gesehnt hat, für den er aber erst im späten Alter Zeit finden konnte.

Der Politiker Kraus hatte besonderes Profil. 1927 wurde er als Abgeordneter des Bauernbundes zum niederösterreichischen Landtag gewählt. 1930 zog er in den Nationalrat ein.

1928 trat Kraus abermals als Genossenschafter hervor, als es ihm gelang, die genossenschaftlichen Molkereien zum Verband niederösterreichischer Molkereigenossenschaften zusammenzuschließen. Als Kraus erkannte, daß die genossenschaftlichen Selbsthilfemaßnahmen nicht ausreichten, um das Milchproblem zu lösen, setzte er die Schaffung des Milchausgleichsfonds durch. Diese Konstruktion hat in zahlreichen Ländern Nachahmung gefunden und in Österreich wesentlich zur Stabilisierung der Verhältnisse in der Milchwirtschaft beigetragen.

Das Jahr 1938 brachte Josef Kraus bittere Stunden. Der aufrechte Patriot verlor vorübergehend seine Freiheit und lebte dann zurückgezogen auf seiner Wirtschaft in Kronberg. Er nutzte diese Zeit der Verbannung aus dem öffentlichen und genossenschaftlichen Leben, um über die Zukunft Österreichs nachzudenken. In steter Verbindung mit den alten Freunden, die den Glauben an ihre Heimat nicht verloren hatten, hoffte er auf die Stunde der Befreiung. Als diese Stunde endlich kam, fiel es ihm nicht leicht, seine durch die Kriegsereignisse besonders schwer getroffene Heimatgemeinde zu verlassen, um der Berufung als Unterstaatssekretär im Staatsamt für Volksernährung zu folgen. Nach den ersten Nationalratswahlen im November 1945 wurde Josef Kraus zum Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft ernannt. Er hat diese schwere Last durch sieben Jahre getragen. Seinen Schultern war die volle Verantwortung für die Ernährung der Bevölkerung auferlegt. Der Arbeitstag des Ministers begann um vier Uhr früh, wenn er seinen Acker bestellte. Pünktlich um 8 Uhr war er dm Ministerium, wo ihn Verhandlungen meist bis in die späten Nachtstunden festhielten.

Die Idee der Selbsthilfe hat auch die Entscheidung des Ministers gelenkt. Mit dem landwirtschaftlichen Wiederaufbaugesetz sind mehr als 12.000 kriegsbeschä- digte Bauernhöfe wiederaufgebaut worden. Mit dem gleichen Elan organisierte Kraus auch die Interessengemeinschaft landwirtschaftlicher Genossenschaften, mit deren Hilfe die genossenschaftliche Warenorganisation ohne fremde Unterstützung ihren Wiederaufbau eingeleitet und die zahlreichen Kriegsschäden beseitigt hat. Noch als Minister wurde Kraus als Nachfolger Reithers zum Präsidenten des österreichischen Bauernbundes gewählt.

Trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen, die ihm die öffentlichen Ämter abforderten, hat sich Kraus nach 1945 neuerdings mit Leib und Seele dem Genossenschaftswesen verschrieben. Neben der Obmannschaft bei der Zentralmolkerei Mistelbach und dem Lagerhaus ln Wölkersdorf wurde ihm 1945 die Leitung des Verbandes ländlicher Genossenschaften anvertraut. Sein besonderes Augenmerk galt stets der Milchwirtschaft, deren Produktion, Verarbeitung und Vermarktung neue Anstrengungen erforderte.

Der 13. April 1950 war für die Raiffeisen-Geldorganisation von besonderer Bedeutung. Kraus wurde nach dem Tode Buchingers Obmann der damaligen Nieder- österreichischen Genossenschafts- Zentralkasse und legte gleichzeitig seine leitende Funktion in der genossenschaftlichen Warenorga nisation zurück. Der Politiker und Genossenschafter Josef Kraus hatte erkannt, daß vor allem die genossenschaftliche Geldorganiüa- tion in der Phase der wirtschaftlichen Depression der Nachkriegsjahre einer starken Persönlichkeit bedurfte, welche das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit genoß. Kraus folge dem Ruf der Raiffeisen-Zentralkasse, weil er die Bedeutung des genossenschaftlichen Geldwesens für die gesamte Raiffeisenbewegung richtig einschätzte. Unter der Obmannschaft von Josef Kraus hat die Raiffeisen-Zentralkasse Niederöster-- reich-Wien und mit ihr die gesamte Raiiffeisenorgainisation in N iederös terreich einen Aufstieg erfahren, der auch die optimistischsten Vorstellungen übertroffen hat

Sein liebstes Kind war die Landwirtschaftliche Bau- und Maschinenkreditgenossenschaft, deren Obmannschaft er im Jahre 1969 als letzte genossenschaftliche Funktion jüngeren Händen übertrug. Als Präsident der Genossenschaftlichen Zentralbank AG und Generalanwalt-Stellvertreter des österreichischen Raiffeisenverbandes ist Kraus wiederholt auch international hervorgetreten. Er war viele Jahre Vizepräsident der CEA und repräsentierte in dieser Eigenschaft die österreichische Raiffeisenbewegung mit der ihm eigenen Überzeugungskraft.

Den Bauern Josef Kraus prägte sein Fleiß und seine Liebe zur Scholle. Der Politiker Kraus fand durch seine Klarheit und Zielstrebigkeit das Vertrauen der Öffentlichkeit. Dem Genossenschafter Josef Kraus aber war es eigen, das Feuer auch in anderen zu entzünden, das in ihm brannte, wenn es galt, für Freiheit und Ordnung einzutreten und die Kraft der bäuerlichen Solidarität wirksam werden zu lassen.

Das Leben des teuren Toten war getragen vom Pulsschlag eines starken Herzens, das trotz vieler Enttäuschungen und trotz manchen Unrechts, das er erleiden mußte, den Glauben an seine Heimat und die Liebe zu seinen Mitmenschen niemals verloren hat. Dies waren die Triebkräfte einer großen Persönlichkeit, die in die Geschichte der österreichischen Raiffeisenbewegung und in die unseres Vaterlandes gleich dem römischen Bauern Cincina- tus eingehen wird.

Josef Kraus hat der modernen Welt neuerdings den Weg zur Selbsthilfe gewiesen, weil er als freier Bauer in einem freien Staat leben und arbeiten wollte.

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