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In neuer Position

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Die seit einigen Monaten in Polen bestehende soziale und politische Situation hat für die Kirche sowohl neue Möglichkeiten der Aktivität erschaffen, stellt sie aber auch neuen Problemen und Aufgaben gegenüber. Es scheint, das Wich- tigste ist die Notwendigkeit, ihre Position im neuen postkommuni- stischen System zu bestimmen.

Bis vor kurzem waren die polni- schen Kirchen die einzigen Orte, wo die Polen ohne Angst ihre Über- zeugungen öffentlich demonstrie- ren konnten. Die Geistlichen, die offen über Menschenrechte sprach- en - wie der unvergeßliche Pater Popieluszko -, versammelten um sich Zehntausende Hörer. An un- abhängigen Konzerten, Ausstellun- gen und Treffen, die in Pfarrge- meinderäumen organisiert worden sind, nahmen nicht nur die Katho- liken, sondern auch die Ungläubi- gen teil. Für viele von diesen be- deutete dieser Kontakt eine dauer- hafte Annäherung an Gott.

Heute sieht die Situation ganz anders aus. In der demokratischen Gesellschaft sind zahlreiche, ver- schiedene Interessen repräsentie- rende Organisationen und Parteien tätig. Die Zensur besteht nicht mehr. Die Kirche ist nicht mehr einzige unabhängige Institution.

Das hat zwei Folgen. Einerseits können die Priester jetzt ihre Akti- vität auf Seelsorgetätigkeit und auf die Probleme der Gemeinde kon- zentrieren. Es gibt die brennenden Bedürfnisse, besonders die schlech- te materielle Lage der Gesellschaft. Der Lebensstandard der Bevölke- rung fällt. Die Kirche hat schon weitgehende caritative Initiativen unternommen. Es werden kosten- lose Ausspeisungen, Hilfsstellen, Sorgegruppen auf Gemeindeebene organisiert.

Anderseits steht die Kirche der Notwendigkeit gegenüber, ihr Ver- hältnis zu den verschiedenen neu- entstandenen politischen Kräften zu bestimmen. Die alte unter dem Schild „Solidarnos'd" auftretende Opposition Wird jetzt zergliedert. Aus ihr kristallisieren sich zahlrei- che politische Richtungen heraus. Es ist zum Beispiel sowohl die Bauernpartei als auch die Natio- nal-Christliche Partei entstanden. Es werden auch andere, darunter auch an die katholische Soziallehre anknüpfende Organisationen ge- gründet. Es ist besonders wichtig, daß die Kirche in dieser Situation eine unabhängige politische Auto- rität bleibt. Die Kirche muß die Kirche aller Gläubigen bleiben, unabhängig von deren politischer Orientierung. Bischöfe und Prie- ster werden weiter, selbstverständ- lich, in allen wichtigen Fragen der Nation ihre Stimme erheben. Das kann jedoch keinesfalls die offene Unterstützung irgendeiner politi- schen Partei oder Organisation bedeuten.

Das ist besonders wichtig in der Situation, in der die Kirche Zutritt zu den Funk- und Fernsehprogram- men bekommen hat. Die Redaktion der katholischen Programme be- reitet jetzt rund eine Stunde Fern- seh- und 45 Minuten Radiopro- gramme wöchentlich vor. Die Pro- gramme sind noch nicht perfekt, denn das Tempo der politischen Änderungen war schneller als die Pläne der Kirche in diesem Bereich. Die Gruppe der katholischen Jour- nalisten begann ihre Arbeit nach kurzer Vorbereitung. Hier ist noch viel zu tun.

Die Möglichkeit, ihre eigenen Funk- und Fernsehprogramme zu machen, ist eine Folge der Rege- lung des Rechtsstatus der Kirche in Polen. Das parlamentarische Ge- setz über die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche vom Mai 1989 ist eine Urkunde gewesen, die keinen Präzedenzfall in anderen Ostblock- staaten gehabt hatte. Es sind die Rechte der Kirche in den Bereichen des Schulwesens, der Gesundheits- pflege und des Kirchenbaus garan- tiert worden. Es ist eine Möglich- keit entstanden, um die in den vier- ziger und fünfziger Jahren von kommunistischen Behörden über- nommenen katholischen Schulen, Krankenhäuser, Vormundschafts- anstalten zurückzubekommen. Die Kirche steht jetzt aber dem Pro- blem des Mangels der finanziellen Mittel und des qualifizierten Per- sonals gegenüber.

Die politischen Änderungen in Polen begleitet die grundsätzliche ökonomische Reform. Das Heraus- kommen aus der Krise bedeutet aber eine starke Verarmung der Gesell- schaft. Die caritative Tätigkeit der Kirche wurde schon erwähnt. Wirt- schaftliche Schwierigkeiten beein- flussen die Situation der Kirche auch anderweitig. Wegen des Pau- perismus der Gläubigen sind auch die freiwilligen Spenden sehr klein. Es mangelt an Mitteln für kirchli- che Bauarbeiten, es verkleinert sich die Leserschaft der katholischen Zeitschriften und Bücher.

Im Juni 1990 kommt Papst Jo- hannes Paul II. zum vierten Mal in sein Land. Das wird seine erste Reise ins demokratische Polen. Geht ihm die Kirche ebensostark wie in Jah- ren der Kommunisten entgegen? Das hängt ausschließlich von uns - polnischen Bischöfen, Geistlichen und Gläubigen - ab.

Der Autor arbeitet in der Pressestelle der Polnischen Bischofskonferenz in Warschau

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