6821381-1973_38_12.jpg
Digital In Arbeit

In Petros

19451960198020002020

Es muß einmal gesagt werden. Und zwar in aller Öffentlichkeit. Denn es geht über jede Hutschnur. Wir haben genug von den Petern. Man sollte von kompetenter Stelle geeignete Schritte unternehmen, um die Benennung Neugeborener auf andere Vorbilder zu richten. Doch mäßigen wir unseren gerechten Unmut und gehen den Fall mit Logik an, frontal und vehement, aber nach den löblichen Gesetzen kühlen, folgerichtigen Denkens. Was ist ein Peter? Die Behauptung sei erhoben: ein Peter ist kein Name wie ein jeder andere, auch wenn er in jedem Kalender steht, den uns wohlgesinnte Firmen, Fluggesellschaften und Verlagsanstalten zu Neujahr an den Hals schicken. Ein Peter ist ein Gattungsbegriff für eine Art von Lebewesen, die zwar in allen Ländern, Klassen und Völkern anzutreffen ist, jedoch sich außer am Namen noch an zahlreiche Wesensmerkmalen, die einem Nicht-Peter Geheimnisse bleiben, untereinander kenntlich machen, im geheimen Einverständnis nach und nach die ganze Welt zu petrifizie-ren.

19451960198020002020

Es muß einmal gesagt werden. Und zwar in aller Öffentlichkeit. Denn es geht über jede Hutschnur. Wir haben genug von den Petern. Man sollte von kompetenter Stelle geeignete Schritte unternehmen, um die Benennung Neugeborener auf andere Vorbilder zu richten. Doch mäßigen wir unseren gerechten Unmut und gehen den Fall mit Logik an, frontal und vehement, aber nach den löblichen Gesetzen kühlen, folgerichtigen Denkens. Was ist ein Peter? Die Behauptung sei erhoben: ein Peter ist kein Name wie ein jeder andere, auch wenn er in jedem Kalender steht, den uns wohlgesinnte Firmen, Fluggesellschaften und Verlagsanstalten zu Neujahr an den Hals schicken. Ein Peter ist ein Gattungsbegriff für eine Art von Lebewesen, die zwar in allen Ländern, Klassen und Völkern anzutreffen ist, jedoch sich außer am Namen noch an zahlreiche Wesensmerkmalen, die einem Nicht-Peter Geheimnisse bleiben, untereinander kenntlich machen, im geheimen Einverständnis nach und nach die ganze Welt zu petrifizie-ren.

Werbung
Werbung
Werbung

Diese Behauptung sei zuerst durch eine Anzahl von Beispielen aus dem täglichen Leben erläutert und begründet, ehe sie einer unwiderleglichen Beweisführung zugeführt wird. Der Schreiber dieser Zeilen kann ein Wort dazu sagen, denn seine männliche Bekanntschaft besteht zur guten Hälfte aus Petern. Den weiblichen Petern ist es ihm zu seinem Heile gelungen, trotz vielfältiger Schlingenlegungen und Fallen-stellereien bislang zu entgehen.

Als erstem sei der geschätzte Leser bekannt gemacht mit Peter, einem Eishockeyspieler, besser gesagt: mit einem Peter in Gestalt eines Eishockeyspielers.

Nach einem mörderischen Kampf auf dem Eise, dessen turbulenteste Szenen immer wieder von einem markerschütternden Aufschrei der Volksstimme auf den beiden nerventötenden Silben „Pe“ — „ter“ begleitet worden waren, trat ich zu ihm in die Kabine. Sie roch nach fleißigen Füßen und war in Streifen tapeziert. Ringsum waren Kleiderhaken an der Wand, doch die Kleider des Peter lagen auf den Holzbänken, Hockern und auf der Erde verteilt. In einer Ecke war ein Waschbecken, in der anderen ein Spucknapf. Der Peter selbst aber stand — wie denn auch nicht — in der Mitte des Raumes, krebsartig erhitzten Kopfes, glühend beinahe, auf Schlittschuhen wie ein Riese und ließ sich von einem weißgekleideten Wichtel-männlein entkleiden. Das war eine umständliche Sache, Gottlob!, denn er war über und über mit Panzern und Schienen bepflastert, die mit hundert kleinen Schleifchen an Rük-ken, Ellenbogen und Waden befestigt waren. Während das Wichtel-männlein von Schleife zu Schleife hüpfte, schlürfte der sieggewohnte Peter ein Peter mit Himbeersaft und spuckte es wieder in den Eimer in der Ecke, ohne es zu schlucken. Ich nützte eine kurze Schluckpause, drückte dem Peter die gepanzerte

Hand, murmelte etwas Unverständliches, das er für einen Glückwunsch nehmen konnte, und machte mich aus dem Staub.

Ein anderes Beispiel, ein anderer Peter. Ich ging mit ihm einen Hut kaufen. Schwarz sollte er sein, für das Begräbnis einer seiner zahlreichen Erbtanten. Wir gingen in mehrere Geschäfte. Es war August und durchaus kein Wetter für den Friedhof. Und nirgends war ein Hut für meinen Peter zu finden. Oft meinte man, einen in der Hand zu haben, der doch unmöglich zu knapp sein konnte, aber der Kopf des Peter blähte sich sichtlich auf, sobald man versuchte, ihm den Hut überzustülpen. Schließlich nannte uns einer der gequälten Verkäufer die Adresse eines Ladens für Übergrößen: Peter Groschenfuß und Sohn oder so ähnlich hieß die Firma, aber was besagt in solch einem Fall der Familienname? Ich bin sicher, dort fand sich etwas für jeden Peter. Aber ich selbst hatte nicht mehr die Kraft, den meinen dorthin zu begleiten.

Aber das ist noch lange nicht alles. Einige meiner wertvollsten Bücher verschwanden leihweise bei einem Peter; der Bruder meiner ersten Freundin hieß Peter; ein Schulkamerad, der mir immer das Pausenbrot wegfraß, hieß Peter; ein Kerl, den ich immer Milch holen sehe, heißt Peter. Einer dieser Peter erschien vor Zeiten wöchentlich zweimal bei meiner Großmutter, sah sie mit verquollenen Augen an, als fordere er ein Almosen und wenn man ihm ein Butterbrot hinstellte, verdrückte er sich wie ein gekränkter Schoßhund.

Ist es noch nötig, zu erwähnen, daß auch mein Religionslehrer Peter hieß? Daß ich nie mehr tanzen gehe, seit ich einmal den Namen Peter eingenäht fand in einen Frack, den ich für den Bürgerball ausgeliehen hatte? Daß es ein Peter ist, der im Fernsehen die schamlose Reklame für eine leider viel zu bekannte Knö-

delspeise macht? Endlose Aufzählung! Uberfülle der Beispiele! Es nimmt kein Ende mit den Petern! Schlagen wir also einen anderen Weg der Beweisführung ein.

Das Wort Peter, ehe es zu dem wurde, was es heute ist, bedeutete einmal: der Fels. Heute allerdings haben wir soviele „Felsen“, daß wir längst verkarstet sein müßten, hätte sich die Bedeutung dieses ominösen Wortes nicht gewandelt. Der Fels ist zum Schotter geworden, zum Geröll, zum Kies. Es knirscht förmlich im Gefüge der Gesellschaft. Kirchenväter und Päpste haben diesen Namen sehr bald als ungeeignet erkannt und beiseite gelegt. Undenkbar ein Papst oder Kaiser mit Namen Peter, ein König bestenfalls in Jugoslawien oder in einer Operette. Ein Präsident, ein Minister, unmöglich! Aber dann kommen bald schon die Domänen der Petriden oder Pe-trosen: ein Bauernführer etwa, ein Kaufmannssohn, ein Koch, ein Tanzlehrer, ein Bademeister, ein Kindergärtner, ein Fischhändler, ein Fleischträger in der Großmarkthalle, ein Buchprüfer, ein Oberpostrat oder auch ein Pferdehändler. Die Peter haben an Gewicht verloren, an Menge aber zugenommen. Dos ersieht man auch daraus, daß Peter sich vorzüglich zum Kindernamen eignet. Ja, wäre eben dies nicht der Fall, die Peter hätten die erträglichen Grenzen nie überschritten. Wer erinnerte sich nicht, wenn er das Unglück hatte, es zu erleben, wie eine einschmeichelnde Altstimme in den Tagen des Weltunterganges, ganz als wäre nichts weiter sonst im Gange, aus dem Radio fragte: Peterle, Peterle, was hast du heute nacht aus mir gemacht? Man denkt an eine üppige ältere Dame in schwarzer Unterwäsche und einen 14jährigen Knaben mit schmalen Schultern und großem hochrotem Kopf und dreht das Licht ab. Zuviel davon und doch noch lange nicht alles!

Sobald eines dieser unseligen Geschöpfe in die Jahre der Pubertät eintritt, das heißt von der Natur hineingetreten wird, beginnt er das peinlich Zutreffende, die klebrige Genauigkeit dieses Verdikts als Namen zu spüren, unbewußt von sich selbst belästigt und den anderen mehr und mehr befremdlich. Was im Sandkasten ein Name war, wird in der Schulbank eine Art zu sein, schleicht sich aus dem Taufschein unter die Haut, verwandelt und bestimmt. Zu des Peters eigenem Erstaunen wird dieses unsichtbare Merkmal jedoch nicht abgelegt wie Mumps oder Masern, sondern haftet. Er versucht nun, sich vor dem wachsenden Bann zu befreien, indem er sich für eine Zeit nicht mehr offen einfach Peter nennt. Pierre, Peer, Pero, Pietro, Petar, Pitt oder gar Petruschka unterschreibt er seine ersten Liebesbriefe und läßt sich von seinen Schlafsaalkameraden rufen, ohne dem Verhängnis ausweichen zu können, wenn ihn etwa der Mathe-mathikprofessor vertraulich anerkennend Peter nennt, weil es ihm gelungen ist, eine schwierige Wurzel zu ziehen. Sehamglühend steht er vor seinen Klassenkameraden, denen sich die Allergie erstmals über die Haut schleicht: ein Peter.

Zu Ende aber ist es mit dieser Scham, sobald er einmal in den Ernst des Lebens hinausgetreten ist. Denn dort fühlt er sich zu Hause, als erfolgreicher Gemüsehändler, als Inspektor, als Mittelstürmer, als Aufsichtsratsvorsitzender, als Primarius, als Mann mit den größten Kartoffeln. Als Kellner, Friseur oder Seiltänzer wäre er gänzlich fehl am Platz. Unweigerlich würde ihm die Suppe überschwappen, das Messer ausgleiten oder das Gleichgewicht verloren gehen. Ein Peter ist immer der Gast, nie der Kellner, immer der Mann mit dem Stiefel, nie der Schuhputzer, immer der Glatzkopf, nie der Barbier, immer der Mann, der das Seil einseift, nie der abgestürzte Artist.

In künstlerischen Berufen trifft man auf ihn nur selten, und dann auch nur, wenn man die abgekürzten Vornamen genauer untersucht. H. P. steht dann für Hans-Peter, P. P. für Peter-Paul, K. P. für Klaus-Peter, O. P. für Onofrius-Peter und W. P. für Wunibald-Peter, wobei für H. und K. auch Hinz und Kunz stehen können, für P. aber immer nur Peter. Denn was hätte ein Paris, ein Paulus, ein Pankratius zu verbergen, abzukürzen?

Gehen wir aber, um nicht einer beschränkten Beweisführung bezichtigt zu werden, das Problem von einer dritten Seite am, die uns das parasitäre Grundverhalten der Peter mit einem Schlag enthüllt.

Peter ist der einzige männliche Vorname, der sich mit allen nur erdenklichen Finten in die weiblichen Register einzuschmuggeln sucht. Er hat sich derart darin verfilzt, daß er kaum jemals von unvoreingenommenen, desinfizierten Gelehrtenhänden- oder -pinzetten herausgelöst werden kann. Nehmen wir Petra, zum Beispiel. Das ist ja noch plump und offenkundig. Petronella hat schon einen Geruch nach Fliederseife. Petrina ist eine bemalte Tasse mit Ohren. Pierrette hat eine schweinchenrosa Schleife um den Bauch. Petrica hat nasse rote Stiefelchen an. Aber was soll man sagen zu Pero, Pier oder Petula? Wissen Sie's selbst, die armen Geschöpfe?

Doch nun, nach all diesen ethymo-logisehen, philologischen und sozialogischen Beweisen, die jeden möglichen Widerspruch unausgesprochen ersticken, ausgesprochen aber zur Lächerlichkeit verurteilen, nun aber, nach diesem Triumph der Logik, überlassen wir uns doch einmal dem Taumel der freien Assoziation.

Legen wir alle persönlichen Erfahrungen, Uberzeugungen und Zeugnisse beiseite und lassen wir uns von der seltsamen Musik dieses Wortes verführen!

Peter... Pater... Puter... Pie-ter... Potter... Pjotr... Beter ... Bäder... Bieder... Py-ton... Pretre... Potiphar... Putana ... Potenz... Pitralon... Petersburg ... Pittsburgh... Pizzi-kato ... Pizza ... Piazza ... Piaristen ... Pierrot... Pirouette ... Pyromane... Piranha ... Pirat... Pietät... Piedestal... Pedal... PetStion ... Petersilie ... Päde-rast... Petain ... Petroleum ... Trompeter... Salpeter... Ziegenpeter!

Genug! Wohin treibt uns die Phantasie mit Schreckensbildern! Verlassen wir diesen Weg der Schlingpflanzen und Schlangen. Ein letztes Sohauden erinnert uns, daß petard auf Französisch sowohl die Rakete meint als aber auch eine plötzlich in Freiheit tretende schmerzhafte Blähung, einen unanständigen Wind, kurz, ein Wort das man vermeidet wie die Sache, es sei denn, man benötigt es zur wirksamen Unterstreichung eines abgeschlossenen Beweises. Es wird somit Zeit für unser Urteil:

Ein Peter ist also ein Gattungsbegriff für einen parasitären Eindringling im Fleisch der Gesellschaft, ein Meltau der Taschenkalender, ein Zeck im Fell der Gemeinschaft, ein Kuckucksei im Nest der Nomenklatur, ein Alptraum aller Taufpaten, eine Klette in allen herbeigezogenen Haaren, eine Zwangsvorstellung im Hirn von werdenden Müttern, ein grassierendes, ansteckendes Übel und seine Erfindung war Jesu Christi einziger Fehler.

Aus allen den genannten und ein oder zwei ungenannten Gründen wird darum drtingendst nahegelegt und empfohlen:

1.Die vorhandenen Peter ausfindig zu machen in allen Verkleidungen und unter allen Schminken. Sie sodann zu isolieren, unter Quarantäne zu stellen und wirkungsvoll zu entkeimen.

2.Die möglichen zukünftigen Peter aber vor ihrer Geburt zu vereiteln. Dies geschieht am besten dadurch, daß petrogene Personon schon in der ersten Tanzstunde auf die möglichen Folgen eine Zuwiderhandelns aufmerksam gemacht werden und notfalls durch Gewalt daran gehindert werden, einem neuen Peter den Weg in die Welt zu zeigen. Nur breiteste Aufklärung kann uns nämlich vor der drohenden Petrifikation bewahren.

3.Alle Nicht-Peter aber seien dringendst davor gewarnt, sich unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand verpetern zu lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung