7066889-1992_08_01.jpg
Digital In Arbeit

„In Polen nur keinen Schaden anrichten!"

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Polens Präsident Lech Walesa hat in seiner Rede vor dem Europarat mit Kritik am Westen nicht gespart...

TADEUSZ MAZOWIECKI: Ja, unser Präsident hat vielleicht etwas übertrieben, besonders wenn er dem Westen vorwirft, am Umbruch im Osten verdient zu haben und jetzt kein Interesse mehr zu zeigen. Er wollte den Westen wachrütteln, denn angesichts der immensen Veränderungen nach dem Fall des Kommunismus ist die bisherige Hilfe des Westens sicher ungenügend.

FURCHE: Aber wie soll der Westen helfen?

MAZOWIECKI: Vor allem durch aktive wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das ist jetzt das wichtigste.

FURCHE: Bei dem parteipolitischen Wirrwarr in Polen weiß man aber nicht, mit wem man zusammenarbeiten soll. Wird Polen aus dem politischen Chaos herausfinden?

MAZOWIECKI: Wir brauchen eine Allianz zum Schutz der Reformen. Der Reformprozeß ist irreversibel und muß politisch vorangetrieben werden. Bei allen sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkkeiten dieses Prozesses, der ja auch eine Frage der Zeit ist, dürfen wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Demokratie und freie Marktwirtschaft. Jede populistische Politik gefährdet diesen Weg. Deshalb brauchen wir eine Allianz der besonnenen politischen Kräfte, deren Kern die Demokratische Union, der Kongreß der Liberalen und die Zentrumspartei sein könnten. Diese Allianz wird keine Regierungskoalition sein, aber sie wird zur politischen Konsolidierung beitragen.

FURCHE: Welche Hoffnungen darf die dermaßen konsolidierte Politik den Polen machen, die ja ziemlich politikverdrossen sind?

MAZOWIECKI: Da gibt es in der Medizin den Grundsatz „primum non nocere". Zunächst sollen die Politiker also keinen Schaden anrichten. Sie sollen auch nicht den Eindruck erwecken, daß sie sich dauernd in unwesentlichen Fragen herumstreiten und nichts weiterbringen. Und sie sollen keine falschen Hoffnungen wecken, wie das die Populisten tun, die alles mögliche versprechen und nichts davon einlösen können. Das deprimiert die Leute. Wir brauchen Politiker, die den Sinn der großen Umbruchbewegung besonders im wirtschaftlichen Bereich sichtbar machen können. Und wir müssen die Leute für eine aktive politische Mitarbeit an diesem Reformprozeß gewinnen. Es gibt da keine große Losung, die alle verpflichten würde, aber es gibt Hunderte kleine Chancen und Möglichkeiten, die Menschen zum Mitmachen einzuladen.

FURCHE: Soll die Kirche auch in der Politik mitmachen?

MAZOWIECKI: Da muß man unterscheiden zwischen Präsenz der Kirche im öffentlichen Leben und politischer Einflußnahme. Als katholischer Publizist und Politiker ist es mir selbstverständlich ein Anliegen, daß die Kirche öffentlich präsent ist. Ein direktes Eingreifen der Kirche in die Politik halte ich aber nicht für richtig. Wir wollen keinen laizistischen, aber auch keinen konfessionellen Staat. Wir wollen eine pluralistische Demokratie.

Die polnischen Bischöfe haben in einem sehr gut durchdachten Hirtenbrief die Rolle der Kirche im politischen Leben beschrieben. Darin verlangen sie ohne jegliche Empfehlung einer Partei von den Katholiken, daß sie sich nach den christlichen Grundwerten in der Politik engagieren. In der Praxis hat es bei den Wahlen dann so ausgesehen, daß Kirchenleute konkrete Wahlempfehlungen gegeben haben. Das hat im Endeffekt der Kirche sehr geschadet, weil sie dadurch Partei wurde und jetzt nicht mehr die Rolle einer überpolitischen moralischen Instanz für die Gesellschaft hat.

FURCHE: Wie wird es weitergehen in Polen?

MAZOWIECKI: Das kann ich erst dann genau sagen, wenn ich wieder in der Regierung bin. Trotz allem bin ich optimistisch.

Mit Tadeusz Mazowiecki sprach Rembert J. Schleicher.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung