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In Schönheit neugeboren

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Die äußere Erscheinung der Kirche Maria Stiegen (Maria am Gestade) an der ehemaligen Uferböschung des Donauarmes, dem heutigen Salzgries, und der Stephansdom, gleichsam als älterer großer Bruder, sind mit ihren himmelstrebenden Maßwerktürmen dem Wiener Stadtbild als einzige hochgotische Steinmetzarchitekturen eingeprägt. Die uns überkommene Gestalt ihrer Innenräume hat in beiden Fällen jedoch erst die spätdre Geschichte entscheidend mitbestimmt und geformt. Ihr in über fünf Jahrhunderten mehrfach gewandeltes Erscheinungsbild läßt sich erst durch kritische, vorurteilsfreie Bauanalyse und Bewertung aller Befunde und Quellen als gewordene Ganzheit begreifen.

Nicht selten gerät der historisch-künstlerische Rang von Baudenkmalen in Konflikt mit Ansprüchen aus gegenwärtigen Funktionen, subjektiven Umwertungen und Interpretationen oder auch modischen Experimenten. An Sakralbauten beeindruckt nicht allein ihr gestalterisch-formaler Reichtum im Wandel der Epochen, sondern sie offenbaren dem Kundigen auch die verzweigten Wurzeln des spirituellen Lebens in der Vielfalt zeitlicher Glaubens- und Frömmigkeitsweisen. Daher wird nach diesen Maximen eine Restaurierung nur dann gelingen und die genannten Werte bewahren, wenn sich technisch einwandfreie Baupflege mit der vorgegebenen Tradition konfliktfrei verbindet.

Der schmale und hohe, langgestreckte und am Choransatz geknickte Gewölberaum von Maria Stiegen interpretiert das hochgotische Architekturthema in der Instrumentation des frühen 19. Jahrhunderts, der Blütezeit romantischer Wiederentdeckung des Mittelalters als Triebfeder für eine erneuerte katholische Spiritualität. Mit der josefinischen Aufhebung des Passauer Diöze-sanpatronats der Kirche und ihrer Sperre nach 1786 ist Maria» Stiegen zwar der ersten Purifizie-rungswelle entgangen, doch wäre sie statt dessen beinahe gänzlich abgetragen worden. Denn nur weil dem Wiener Magistrat die Kosten zu hoch waren, ist die Demolierung von Kirche und Passauerhof damals unterblieben.

Erst die restaurative Kirchenpolitik Kaiser Franz I. brachte nach dem Wiener Kongreß die entscheidende Wende. Clemens Maria Hofbauer erreichte die Zulassung des Redemptoristenor-dens und dessen Übernahme der alten Marienkirche in seinem Todesjahr 1820. So wie im Geistigen kamen auch im Formalen der gleichzeitigen Innenrestaurierung der Jahre 1817-1824 die Impulse von außen. Sie bestimmte der aus dem norddeutschen Romantikerkreis um die Maler Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge kommende Konvertit Friedrich von Klinkowström, der in Wien vor allem als Kinderpädagoge gewirkt hat.

Das nach einem frühen Aquarell von Jakob Alt 1817 noch vorhandene sparsame spätbarocke Inventar eines baldachinüberwölbten Hochaltars mit den Gnadenbildern, einer weit in den Chorbogen vorkragenden Kanzel mit üppigem Volutenschmuck des Schalldeckels und geschweifter Gestühlwangen wurde damals in Etappen preisgegeben, die meisten Glasmalereien der Fenster kamen nach Laxenburg. Ein Aquarell von Rudolf Alt 1833 zeigt hinter der heutigen Kanzel hoch den alten Hochaltar mit neuer Aufschrift GLORIOSA REDEM-TIO. Gotisierende Hochaltarentwürfe des für den Stilsynkretismus der Franzensburg im Laxen-burger Park verantwortlichen Hofarchitekten und Sammlers gotischer Planrisse Franz Jäger wurden nicht ausgeführt.

Erst zwischen 1840 und 1850 wurde der erhaltene, aus byzantinischen und gotischen Stilquellen schöpfende, mächtige Hochaltarbaldachin des Fraters Thomas Marzik errichtet, in dessen Zentrum die alten Gnadenbilder von Kruzifix und Madonna mit neuer Fassung und in Goldgloriolen über kostbaren, feuervergoldeten Schmuckfronten von Altartisch und Tabernakel schweben. Der monumentale Aufbau aus Holz zeigte ursprünglich eine kräftig moosgrüne Fassung zu vergoldetem Ornamentschmuck und ebensolchen Skulpturen von Gottvater, der über Engeln und

Landespatronen thront. Der effektvolle Farbkontrast ist durch spätere Uberstriche heute allerdings stark reduziert.

Durch die Klosterplünderung während der Revolution von 1848 sind leider die Archivalien verlorengegangen, so daß die kirchen-und kunstgeschichtliche Motivation und Diskussion dieser Unternehmen sich der Forschung weitgehend entzieht. Den Chorpfeilern wurden übrigens Steinfiguren der Apostel neu eingestellt, während im Schiff die gotischen Pfeilerstatuen verblieben sind.

Die feingliedrige Steinarchitektur von Pfeilern, Profilen, Nischen und Baldachinen hat man aber leider so radikal überarbei-tet-daß dabei nicht nur alle Werk-, spuren und Steinmetzzeichen der Erbauungszeit getilgt worden sind, sondern auch nur mehr fragmentarisch alle historischen Bemalungen von Stein- und Putzflächen des 15. bis 18. Jahrhunderts dokumentiert werden können. Zum Materialpluralismus der von der Romantik als „edel“ und ursprünglich mißverstandenen Steinsichtigkeit der Pfeiler und Gewölberippen und zu den kahlen weißen Wänden bildeten der grün-goldene Hochaltar, die einfache Kanzel und die stumpfbunt gefaßten Seitenaltäre sowie der auf Blechplatten vom Führichschüler Georg Kautzner 1861 gemalte Kreuzweg einfache, aber wirkungsvolle Kontraste.

Der größte Kunstschatz der Kirche, die gotischen Glasmalereien der Apsisfenster und des

Langhauses, wurde jedoch erst 1898 durch Rückführung der Bestände aus Laxenburg wieder zum größten in Wien erhaltenen Bildfensterzyklus vereinigt. Trotz Einbußen sind sie einschließlich der mit Schwarzlot ausgeführten Binnenzeichnung sehr gut erhalten und faszinieren bei Nahsicht durch Reichtum und Qualität ihrer Details. Auch wenn diese den Augen weit entrückt blieben, haben sie den Gläubigen des Mittelalters eine Ahnung von himmlischer Schönheit und Vollkommenheit nahegebracht.

Der zuletzt 1907 restaurierte Innenraum wurde, nachdem Kriegsschäden auf einfachste Art behoben waren, in den letzten Jahrzehnten durch eine bei den riesigen Chorfenstern unzureichende Umluftheizung ohne Filterung stark verschmutzt und verrußt. Daher boten die klimatische Sanierung der Fenster, mit Außen-schutzverglasung der Bildfenster, Fußbodendrainage und Reinigung von Architektur und Einrichtung sowie Ausbesserung lokaler Schäden den denkmalpfle-gerisch lapidaren Ansatz für die im Herbst 1985 eingeleitete Innenrestaurierung. Damit wird eine liturgische Neugestaltung des Presbyteriums für einen Volksaltar unter Vorziehung der mittleren Altarraumstufen derart verbunden, daß die gotische Wandschichtenarchitektur nicht gestört wird.

Ebenso werden alle Elemente der romantisch-historistischen Erneuerung als den Raum prägende Substanz respektiert und wiederhergestellt. Steingerechte

Ausbesserung der Bündelpfeiler, Kalkfärbelung der Wandfassung sowie materialgerechte Konservierung der gefaßten Holz- und Metalleinrichtung erfolgen in koordinierter Aufteilung durch Bau- und Kunstgewerbefirmen sowie Künstler-Restauratoren im Konsens von Redemptoristenor-den, Diözesanbauamt und Bun-desdenkmalamt. Nach Abschluß der Restaurierung des Chorraumes im Frühjahr 1986 wird bis 1987 mit der zweiten Etappe auch das Langhaus in gleicher Weise erfaßt werden. Dann wird sich für die nächsten Jahrzehnte einer der kunstwürdigsten und spirituellsten Kirchenräume Wiens jedem dafür empfänglichen Besucher von neuem erschließen.

Der Autor ist Leiter der Abteilung für Restaurierung im Bundesdenkmalamt und lehrt an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

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