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In Slowenien herrscht große Skepsis

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Auf die Jubelrufe der EG-Emissäre, der Außenminister Italiens, Luxemburgs und der Niederlande, ihre zweite Reise nach Belgrad und Zagreb habe den Durchbruch in der Befriedung der blutigen Krise Jugoslawiens gebracht, reagieren Slowenen und Kroaten mit großer Skepsis.

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Auf die Jubelrufe der EG-Emissäre, der Außenminister Italiens, Luxemburgs und der Niederlande, ihre zweite Reise nach Belgrad und Zagreb habe den Durchbruch in der Befriedung der blutigen Krise Jugoslawiens gebracht, reagieren Slowenen und Kroaten mit großer Skepsis.

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Mit dem vereinbarten Rückzug der Truppen der 5. Distriktarmee aus Slowenien hapert es. In den Morgenstunden des 2. Juli gab es auf der Autobahn zwischen Novo Mesto und Zagreb ein Gefecht, weil die slowenische Territorialverteidigung die dort zusammengezogenen Panzer blok-kierte. Slowenien will nämlich die Soldaten der Volksarmee ohne Waffen in die Kasernen zurückschicken.

In der Nacht zum 2. Juli sind Kampfflugzeuge der Volksarmee im Tiefflug über das slowenische Kernkraftwerk Krsko geflogen. Man hat das AKW deswegen vorläufig abgeschaltet und gleichzeitig einen Protest an die internationale Öffentlichkeit gerichtet, daß es nicht hingenommen werden dürfe, wenn zivile Industrieanlagen bedroht würden.

Die territoriale Verteidigung Sloweniens hatte bis zum Vormittag des 1. Juli 1.277 Angehörige der jugoslawischen Volksarmee gefangengenommen. 782 davon - die meisten Slowenen - sind zurTerritorialvertei-digung übergewechselt. Slowenien setzt jetzt auf Waffenstillstandsverhandlungen, von Frieden könne aber noch keine Rede sein, ist aus Ljubl-jana/Laibach zu hören. Die Republik Slowenien verlangt von der internationalen Gemeinschaft die Entsendung von UNO-„Blauhelmen" oder wenigstens von zivilen Beobachtern, die den Rückzug der Volksarmee überwachen sollen. Man werde nicht mehr so dumm sein, sich ohne Garantien abspeisen zu lassen und der Volksarmee die Gelegenheit geben, Slowenien mit denselben Waffen erneut anzugreifen.

Die Unabhängigkeit bleibt

Der 56jährige Kroate Stjepan „Sti-pe" Mesic ist jetzt zwar unter Aufsicht Gianni de Michelis, Jacques F. Poos und Hans van den Broeks zum Vorsitzenden des Staatspräsidiums und damit zum 13. Staatspräsidenten Jugoslawiens gewählt worden, nachdem der serbische Block - Serbien, Montenegro sowie die von Serbien völlig abhängigen Provinzen Kosovo und Wojwodina - seine turnusmäßige Wahl seit 15. Mai verhindert und damit die heutige Staatskrise mit ihren blutigen Konsequenzen ausgelöst hatte. Diesem Vorgang wird von den westlichen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien, die sich seit 25. Juni - mit gewichtigen Differenzierungen den Folgen nach - als unabhängige Staaten verstehen, weniger Bedeutung beigemessen als der Interpretation jener vom Bund und den Präsidenten Sloweniens und Kroatiens, Milan Kucan und Franjo Tudjman, unterzeichneten Vereinbarung, die Verwirklichung der Unabhängigkeit für die Dauer von drei Monaten auszusetzen.

Der Generalkonsul der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in Klagenfurt, der slowenische Wirtschaftsexperte Marijan Majcen, erläutert gegenüber der FURCHE, daß es sich dabei auf keinen Fall um eine Rücknahme der Souveränitätserklärung Sloweniens handeln könne. Sloweniens Präsident Kucan habe sich am 1. Juli nur bereiterklärt, „die noch nicht in Kraft getretenen Bedingungen für die Verselbständigung der Republik Slowenien füreine Verhandlungsfrist von 90 Tagen zu akzeptieren". Der Präsident habe keine Vollmacht zur Rücknahme der Unabhängigkeitserklärung. Denn diese sei Volksauftrag gemäß dem Plebiszit vom 23. Dezember des Vorjahres, das der Regierung sechs Monate Zeit für Verhandlungen zur Bildung einer jugoslawischen Konföderation gegeben und im Falle des Mißlingens den Auftrag zur Erklärung der Souveränität Sloweniens erteilt habe.

„Slowenien hat vieles ja mit Fristen angeboten. Das ist heute allerdings nicht mehr aufrecht. Denn wir können nicht noch für eine Armee bezahlen, die unser Land okkupiert. Wenn schon Besetzung, dann kann man von uns nicht auch noch einen Obulus dazu verlangen", erklärt Majcen, der sich am Dienstag als offizieller Vertreter Jugoslawiens einer Demonstration in Klagenfurt gegen Gewaltanwendung in Slowenien stellen mußte, obwohl er „viel lieber auf der anderen Seite gestanden wäre".

EG soll Slowenien anerkennen

Für Majcen läge eine Lösung der Krise darin, daß „die EG-Mächte die Republik Slowenien anerkennen; damit würden alle Vorschriften der UNO in Kraft treten und der Aggression wäre ein Riegel vorgeschoben."

Der Armee bringt Majcen großes Mißtrauen entgegen. Er glaubt, daß sie mit ihren Verhandlungen mit den EG-Außenministem, der sogenannten EG-Troika, „nur Zeit herausschinden will". „Die Bundesarmee hat in Slowenien eine Lektion erteilt bekommen, ich befürchte aber, daß die Generäle nichts daraus gelernt haben. Zu meiner großen Enttäuschung sitzen in der Armee Leute, die mit dem, was Menschlichkeit bedeutet oder Anstand verlangt, am Ende des 20. Jahrhunderts nicht im geringsten vertraut sind." (Siehe auch Seite 4).

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