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In Venezuela verbünden sich sogar die Erzfeinde

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Bis zum Ende des Kalten Krieges gab es klare Rollen: Als Verbündete der Vereinigten Staaten halfen die lateinamerikanischen Streitkräfte die Sicherheit der westlichen Hemisphäre abschirmen. Für eine externe Bedrohung fehlte es der Sowjetunion an strategischen Möglichkeiten, sodaß Lateinamerika, im Gegensatz zu Afrika, in dieser Rolle nie wirklich gefordert worden ist. Wohl aber gab es ansatzweise eine interne Bedrohung durch Guerilleros und marxistisch-maoistische Subversive, gegen die Lateinamerikas Uniformträger, abgesichert von der US-Doktrin des „internal war”, mit Gegenkampf vorging.

Gelegentlich war es nach der besonderen Logik dieser Vorgangsweise sogar notwendig, bei schwachen Zivilregierungen die Amtsgewalt zu übernehmen, was - Modellfall Brasilien! -die Militärregierungen auf dem Subkontinent während der sechziger und siebziger Jahre erklärt. Im Rahmen solcher antikommunistischer Containment-Politik haben die Offiziere ihre Schuldigkeit getan.

Die heutigen Widersprüche liegen aber nicht nur im Ende des Kalten Krieges, sondern auch im wirtschaftspolitischen Denken der Nachkriegszeit: Lateinamerika versuchte seinen Modernisierungssprung nach den Leitlinien der von Raul Prebisch aufgebauten cepalinischen Entwicklungstheorie (UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika) der importsubstituierenden Industrialisierung, die dem Staat eine entscheidende Rolle zuordnete.

Hier brauten sich die heutigen Widersprüche zusammen: Obschon schroff antikommunistisch und auf die Werte der USA eingeschworen, verstanden sich viele Offiziere immer nachdrücklicher als Garanten eines wirtschaftlichen Nationalismus, der den cepalinischen Entwicklungsweg einfaßte.

Diese Rolle der lateinamerikanischen Offiziere wird seit 1989 im Rahmen des neoliberalen Umbaus von den demokratisch gewählten Zivilregierungen liquidiert. Jetzt sind Staatsbetriebe zur Privatisierung ausgeschrieben. Die nationalistische Xenophobie muß dem kordialen Internationalismus weichen. Private Direktinvestitionen, früher aus strategischen

Bereichen (Stahl, Telekommunikation, Fluglinien, Energieversorgung, Erdöl) ausgeschlossen, erhalten heute bevorzugte Sonderkonditionen.

Und gleichzeitig mit diesem Umbau verarmten und verarmen weite Teile der unteren Bevölkerungsschichten, aus denen sich Lateinamerikas Uniformträger rekrutieren.

Die Ratlosigkeit unter den Offizieren ist so groß, daß sie sich zum Beispiel in Venezuela sogar mit ihren alten Erzfeinden, der inzwischen ins bürgerliche Leben zurückgekehrten linken Guerilla, zusammentun!

Ein weiterer Punkt der Verunsicherung für die Offiziere ist finanzieller Natur. Die jetzigen Zivilregierungen sind zu arm für ordentliche Militärbudgets. Sie können den Heeren als Alternative lediglich die von den USA befehligte Drogenfahndung zuteilen - was die Militärs als „schmutzige Polizeiarbeit” denunzieren und entrüstet ablehnen. Dazu kommt noch, daß die kommende Clinton-Administration in Washington die Militärhilfe für die lateinamerikanischen Staaten drastisch kürzen wird.

Alle diese Widersprüche verkörpert am dichtesten Venezuelas Präsident Carlos Andrez Perez, der in den siebziger Jahren als Staatschef ein nationalistischer Feuerbrand gewesen ist, der aber heute im Rahmen seiner zweiten Präsidentschaft, einen kompromißlosen Neoliberalen abgibt. Dementsprechend gilt er derzeit als meistgehaßte Persönlichkeit Lateinamerikas.

1992 entkam er zweimal mit Glück dem militärischen Staatsstreich, dessen nationalistischen Verfechter erklärtermaßen mit Perez' Blut die „nationale Schande” des neoliberalen Umbaus wegwaschen wollen.

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