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In verschiedene Häfen

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Hans Manfred Mayrzedt und Hans Christoph Binswanger, zwei Experten auf dem Gebiet der europäischen Integration, veröffentlichten kürzlich einen interessanten Beitrag über die europäische Integration. Diesmal unter dem Titel „Europapolitik der Rest-EFTA-Staaten“. Die Autoren sind unter anderem schon durch die Herausgabe einer umfassenden Darstellung der europäischen Integrationspolitik („Die Neutralen in der europäischen Integration“, 1969) bekannt.

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Hans Manfred Mayrzedt und Hans Christoph Binswanger, zwei Experten auf dem Gebiet der europäischen Integration, veröffentlichten kürzlich einen interessanten Beitrag über die europäische Integration. Diesmal unter dem Titel „Europapolitik der Rest-EFTA-Staaten“. Die Autoren sind unter anderem schon durch die Herausgabe einer umfassenden Darstellung der europäischen Integrationspolitik („Die Neutralen in der europäischen Integration“, 1969) bekannt.

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Die jetzige Pubilkation — im Umfang wesentlich geringer als die erste — umfaßt zu ungefähr gleichen Teilen eine Beschreibung der gegenwärtigen Bedingungen der Integrationspolitik der Rest-EFTA-Staaten und den Versuch, Vorschläge für ein Integrationskonzept der Rest-EFTA-Staaten während der siebziger Jahre zu erstellen. Der erste Teil basiert logischerweise auf vorhandenem Dokumentenmaterial, das allerdings im wesentlichen als bekannt vorausgesetzt wird. Ein umfangreicherer und genauerer Quellennachweis wäre wünschenswert gewesen. Deutlich schlägt in diesem Kapitel auch die harte Position der EWG-Seite durch, in dem das gegenwärtige, sehr bescheidene Angebot der EWG an die drei Neutralen in seinen Auswirkungen, aber auch in seiner Dürftigkeit dargestellt wird. Das verleitet die Autoren manchmal auch zu Analysen, denen nicht unbedingt beigepflichtet werden darf. So wenn etwa behauptet wird, daß von Seite der EWG auf kurze Sicht nur ein freier industrieller Warenverkehr mit den Rest-EFTA-Staaten ins Auge gefaßt wird und der erste Grund für die Bescheidenheit dieses Integrationsprogramms „zeitlicher Natur“ sein soll. Das von Brüssel gewünschte, gleichzeitige Wirksamwerden der Abkommen mit den Rest-EFTA-Staaten gestatte nach Meinung der Autoren nur ein Minimum an Inhalt, weil ein weitergehendes Harmonisierungskonzept in kurzer Zeit nicht realisiert werden könne. Diese Auffassung ist offensichtlich zu optimistisch. Die Europäischen Gemeinschaften sind im Augenblick aus sachlichen und nicht aus zeitlichen Gründen nicht bereit, mehr anzubieten. Auch ein größeres Konzept könnte, wenn man wollte, in der gleichen Zeit abgehandelt werden. Aber man will eben gegenwärtig in Brüssel nicht!

Erfreulich ist die Feststellung, daß „für die Teilnahme der Rest-EFTA-Staaten in einer Zollunion mit der Gemeinschaft“ zahlreiche wirtschaftliche und methodische Gründe sprechen würden, weil durch die in den letzten zehn Jahren eingetretenen Zollsenkungen, insbesondere durch die Kennedy-Runde, der Unterschied zwischen dem Zollniveau der EWG und dem der einzelnen Rest-EFTA-Staaten wesentlich kleiner geworden ist. Ebenso wichtig ist der Hinweis auf die ständig sinkende Bedeutung der Zölle für die allgemeine Handelspolitik. Damit steht allerdings die im gleichen Kapitel gemachte Feststellung in Widerspruch, daß den politischen Problemen einer Zollunionslösung durch eine Freihandelszonenkonstruktion Rechnung getragen würde. Niemand kann nämlich die neutralen Staaten daran hindern, in autonomer Weise ihre Zölle denen der EWG anzugleichen, womit jede politische Problemstellung wegfallen würde. Das gleiche gilt im übrigen auch für den Agrarsektor, der automatisch eine Einbeziehung der Landwirtschaft in die Verträge mit den Rest-EFTA-Staaten bringen würde, wenn diese bereit wären, ihre Agrar-marktordnung in autonomer Weise der EWG anzupassen, was freilich zur Folge hätte, daß dieser Anpassungsvorgang nicht nur einmal vollzogen, sondern bei Änderungen der Agrarmarktordnung der EWG ständig nachvollzogen werden müßte. Aber was könnte die Rest-EFTA-Staaten daran hindern, so vorzugehen, wenn sie die Einbeziehung des Agrarsektors wünschen, was vor allem für die österreichische Integrationspolitik von eminenter Bedeutung wäre';

Im zweiten Teil über die Perspektiven für die siebziger Jahre erfreut hingegen vor allem die ausführliche Behandlung der Frage, ob auch neutrale Staaten Mitglieder der EWG werden können. Diese Frage wurde schon in der Schrift von 1969, wenn auch mit vielen Vorbehalten und Bedingungen, im Grundsatz bejaht, wird nun aber offensichtlich unter Rücksichtnahme auf das schwedische Integrationskonzept sehr ausführlich dargestellt. Auch hier muß allerdings auf einen Widerspruch aufmerksam gemacht werden, wenn an anderer Stelle zu lesen ist, daß die Unterschiede der integrationspolitischen Situation der drei Neutralen oftmals überbewertet würden. Gerade die Erfahrung der jüngsten Zeit zeigt nämlich, daß nach wie vor die Integrationskonzepte der drei Neutralen sehr unterschiedlich sind. Diese Unterschiede haben politische und wirtschaftliche Gründe. Von den politischen sei z. B. auf die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten der Schweiz verwiesen, wo die Realisierung eines Integrationskonzepts, das über ein paar Zollregelungen hinausgeht, einer Volksabstimmung unterworfen werden muß. Die wirtschaftlichen Unterschiede der drei

Neutralen liegen auf der Hand. Österreich hat den relativ stärksten Außenhandel mit den EWG-Staaten (40 Prozent Export, 58 Prozent Import), während der Schweizer Außenhandel ziemlich gleichmäßig über die ganze Welt verteilt ist und die schwedischen Handelsbeziehungen mit der EWG durch wenige, aber sehr hohe Branchenquoten gekennzeichnet sind. Gar nicht aber läßt sich das schwedische Integrationskonzept mit dem Österreichs und der Schweiz vereinbaren, was im übrigen auch der schwedische Ministerpräsident bei seinem Besuch in Wien zu Beginn dieses Jahres offenherzig zugegeben hat, nämlich, da Schweden nur den ersten Integrationsschritt mit den beiden anderen Neutralen unternehmen wolle, dann aber seine eigenen Wege zur Errichtung einer Zollunion beschreiten werde. Ein Konzept, das im übrigen von Österreich in seinen seinerzeitigen Verhandlungen 1965/66 vertreten wurde. So gesehen sitzen also die drei Neutralen zunächst in einem Boot, dessen Insassen aber verschiedene Häfen ansteuern.

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