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Industrie als Umweltschutz-Pionier

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Österreichs Industrieunternehmen haben als Prügelkna- ben des Umweltschutzes ausgedient: Mit neuen Techniken, Recyclingverfahren und hohen Investitionen in die Produk- tion setzen sie "grüne" Forderungen in die Praxis um. Dabei sind nicht wohlklingende Schlagworte, sondern exakte Pla- nung, technische Phantasie und Mut zum unternehmeri- schen Risiko gefragt.

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Österreichs Industrieunternehmen haben als Prügelkna- ben des Umweltschutzes ausgedient: Mit neuen Techniken, Recyclingverfahren und hohen Investitionen in die Produk- tion setzen sie "grüne" Forderungen in die Praxis um. Dabei sind nicht wohlklingende Schlagworte, sondern exakte Pla- nung, technische Phantasie und Mut zum unternehmeri- schen Risiko gefragt.

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Für die österreichische Industrie ist Umweltschutz längst eine Zielsetzung, die selbstverständlich in die langfristi- ge Unternehmensplanung integriert wird. Die Papierindustrie sammelt Altpapier, Zellstofferzeuger tragen Verbraucherwünschen nach chlorfrei- er Bleiche Rechung, und Kesseler- zeuger liefern Anlagen, deren Schad- stoffausstoß nur mehr einen Bruchteil der Werte ausmacht, die in den sieb- ziger Jahren gang und gäbe waren.

Die Erfolge sind nur zum Teil spek- takulär. In der Mehrzahl finden Tech- niker, Betriebswirte und Marketing- fachleute in hartem Ringen und mit hohen Investitionen Lösungen für jene Probleme, die der Gesellschaft Sorge bereiten: Weniger Schadstoffemissio- nen, klareres Wasser, weniger Müll, das sind die Devisen, die die Men- schen in der industrialisierten Welt heute fordern.

Die österreichische Industrie zählt im europäischen Vergleich durchaus zu den Spitzenreitern auf dem Gebiet des Umweltmanagements: So gaben kürzlich bei einer Umfrage der Indu- striellenvereinigung 92 Prozent der Unternehmen an, im Unternehmen eine Person speziell mit Umwelt- schutzfragen beauftragt zu haben. 60 Prozent der Unternehmen verfügen sogar über eine eigene Umweltschutz- stelle.

Auch die Investitionen können sich sehen lassen: In den vergangenen zwei Jahrzehnten wendeten Öster- reichs Industrieunternehmen mehr als 100 Mrd. Schilling für sauberes Was- ser, reinere Luft, optimale Verbren- nungsprozesse und die Wiederver- wertung von Altstoffen auf.

Daß diese Strategie greift, zeigen zwei weitere Zahlen: Im Zeitraum 1980 bis 1985 - also in nur fünf_Jahren - konnte der SÖ2-Ausstoß in Österreich um 56 Prozent reduziert werden. Die Bleiemissionen gingen sogar um zwei Drittel (65 Prozent) zurück. Und was den Energieeinsatz betrifft, ist die In- dustrie ein echter Sparmeister. Mit dem gleichen Energievolumen produ- ziert sie heute um die Hälfte mehr Güter als vor 15 Jahren.

Sicher, es wäre falsch, zu behaup- ten, daß alle Umweltprobleme im pro- duzierenden Sektor restlos gelöst sind. Doch die österreichische Industrie ist auf dem richtigen Weg. Die techni- sche Entwicklung gibt ihr dabei Schüt- zenhilfe. "Clean Technologies" sind neue Produktionstechniken, die Ko- sten sparen und Abfall reduzieren.

Schwachpunkt der Umweltoffensi- ve der Unternehmen ist allerdings viel- fach das Fehlen klarer gesetzlicher Rahmenbedingungen. Wenn keine Deponien gebaut werden, auf denen Restmüll gelagert werden kann, wenn Müllverbrennungsanlagen fehlen und Verantwortungen hin- und hergescho- ben werden, ist es auch für den Inve- stor, der sich den Umweltschutz auf die Fahnen schreibt, schwer, das Richtige zu tun. Der Zank um das Abfallwirtschaftsgesetz ist nur ein Beispiel dafür, wie notwendige Maß- nahmen des Gesetzgebers aus poli- tischen Gründen verzögert werden.

Vor allem ist es erforderlich, daß der Gesetzgeber eine klare Unterschei- dung zwischen "Abfall" und solchen Stoffen trifft, die als Sekundärrohstof- fe verarbeitet und wieder verwertet werden können. Recyclingfähige Materialien sollten also nicht - wie dies allerdings im Entwurf zu einem Abfallwirtschaftsgesetz vorgesehen ist - als "Abfall" bezeichnet und damit der staatlichen Abfallwirtschafts-Bü- rokratie unterworfen werden. Die Viel- zahl der möglichen Wiederverwer- tungsmöglichkeiten spricht dafür, auf dem Gebiet des Recycling möglichst viele marktwirtschaftliche und mög- lichst keine planungsbürokratischen Lösungen anzustreben. Auch die dauernde Veränderung der techni- schen Voraussetzungen macht Flexi- bilität und private Initiative erforder- lich. In der Abfallwirtschafts-Gesetz- gebung sollte daher nach dem Motto "Mehr privat, weniger Staat" vorge- gangen werden.

Daß Abfallvermeidung und die Wiederverwertung von Rohstoffen auf privatwirtschaftlicher Basis funktio- niert, zeigen die bisher- ohne gesetz- lichen Rahmen und auf freiwilliger Basis durchgeführten - Maßnahmen der Industrie: So werden Produktions- abfälle, die bei der Erzeugung von Verpackungen anfallen, zu 98 Pro- zent wiederverwertet. In der Kunst- stoffindustrie erreichen die Altstoff- einsatzquoten -je nach Sparte bis zu 100 Prozent. Wellpappe wird bis zu 80 Prozent aus Altpapier erzeugt, Karton sogar bis zu 100 Prozent. Bei der Glaserzeugung liegt die Altstoff- Einsatzquote zwischen 30 und 54 Pro- zent.

Auch im Produktdesign kommt der sparsame Umgang mit Rohmateria- lien zum Ausdruck: Noch 1983 wog ein Schwergutsack aus Kraftpapier 197 Gramm. Fünf Jahre später wurde - dank neuer Produktionstechniken - das Gewicht bis auf 165 Gramm redu- ziert. In der Glasindustrie ermöglichte ein neues Produktionsverfahren die Senkung des durchschnittlichen Gewichtes von Milchflaschen um über 20 Prozent. Das Gewicht von Joghurt- Bechern wurde auf die Hälfte verrin- gert. Bier- und Getränkedosen wie- gen heute weniger als die Hälfte als bei ihrer ursprünglichen Einführung in den fünziger Jahren.

Bei einer Umfrage der Industriellen- vereinigung bei 208 Unternehmen mit 170.000 Beschäftigten gaben, ge- wichtet nach der Zahl der Beschäftig- ten, 79 Prozent der Unternehmen an, ein Recyclingsystem innerhalb oder außerhalb des Unternehmens zu haben. Knapp die Hälfte der Unter- nehmen führt 25 Prozent der betrieb- lichen Abfälle einem Recyclingproze ß zu. 15 Prozent der Betriebe erreichen sogar eine Recyclingquote von 50 Prozent und 11 Prozent der Betriebe von 75 Prozent der betrieblichen Ab- fälle.

Im Mittelpunkt aktueller Umweltfor- derungen steht die Devise: Müll ver- werten statt entsorgen. Was unge- mein populär klingt, ist in der Praxis wesentlich diffiziler. Nicht jeder Alt- stoff ist wiederverwertbar, nicht jede Müllsammlung kann wirtschaftlich rentabel durchgeführt werden. Die Industrie stellt auf diesem Gebiet seit langem ihre Pionierrolle unter Beweis:

Die "Bundesabfallbörse" besteht seit 1974. Sie verhindert als Vermittlungs- zentrale, daß bei der Produktion zwangsläufig anfallende Rückstände zu Abfällen werden. Zur Zeit sind 450 Unternehmen, aber auch öffentliche Stellen und Institute bei der Bundes- abfallbörse erfaßt. Mehr als 2.000 Firmen mit 7.000 Angeboten und Nachfragen haben die Dienste dieser Institution seit ihrer Gründung in An- spruch genommen. Neben vielen Tau- senden Tonnen Altpapier, Pappe Holz, Glas und Metallen wurden 6.000 Tonnen Kunststoffabfälle, 200 Ton- nen Lösungsmittel und große Men- gen von Säuren und Laugen vermit- telt: Was in einem Unternehmen lästi- ger Abfall ist, kann im anderen viel- fach wiederverwertet werden.

Auch die Altstoffsammlung und -Wiederverwertung funktioniert fast perfekt. Der seit 1946 bestehende Verein Austria Recycling sammelt jährlich mehr als 200.000 Altstoffe, vorwiegend aus privaten Haushalten, in allen Bundesländern. Das bedeutet eine Entlastung des österreichischen Hausmülls um etwa ein Achtel und zugleich die Wiederverwertung von Rohstoffen wie Papier, Glas oder Alt- metallen in der Industrie.

Ein wesentlicher Teil der Altstoffe stammt aus privaten Haushalten. Die Austria Recycling Gesellschaft sam- melt in ihren Behältern jährlich 110.000 Tonnen Altpapier. Eine Steigerung auf 200.000 bis 250.000 Tonnen ist ge- plant. Daneben werten Österreichs Hausfrauen pro Jahr 90.000 Tonnen Glas in die Sammelbehälter und füh- ren es so einer geordneten Wieder- verwertung zu.

Unter anderem werden jährlich 270.000 Autowracks, 95.000 Tonnen Haushaltsschrott (Kühlschränke, Herde und Waschmaschinen) in der Industrie wiederverarbeitet: Rund 50 Prozent des Primäreinsatzes der österreichischen Stahlwerke und Gie- ßereien sind Schrott.

Die österreichische Papierindustrie setzt für ihre Produkte, je nach Papier- qualität, bis zu 95 Prozent Altpapier ein. Auch bei den vielgeschmähten PET-Flaschen ist eine ähnliche Orga- nisation im Aufbau.

Dennoch: Ein Rest an Müll bleibt, die "totale Entsorgung", bei der über- haupt von Abfällen nichts übrig bleibt, gibt es nicht. Bei allen Umweltgeset- zen sind daher drei Dinge wichtig: Ein vernünftiger Zeitplan, eine praxisge- rechte Gestaltung der Vorschriften und eine entsprechende Infrastruktur der öffentlichen Hand - Beispiel: Müllver- brennungsanlagen und Deponien.

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