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Industriellenvereinigung "expandiert" nach Ungarn

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Die Vereinigung Österreichischer Industrieller "expandiert" in Richtung Osten: Am 17. Juni wurde in Budapest eine Repräsentanz eröffnet, die österreichische Unternehmen bei ihren Aktivitäten in Ungarn unterstützen soll. So werdedas Büro der Industriellenvereinigung in Budapest bei Bedarf die notwendige Infrastruktur für den Aufbau von Geschäftsbeziehungen zur Verfügung stellen, einen geeigneten Rahmen für Verhandlungen und Gespräche bieten, darüber hinaus aber auch eine Beobachterfunktion der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Ungarn ausüben, erklärte der Präsident der Landesgruppe Wien der Industriellenvereinigung, Dkfm. R. Engelbert Wenckheim, anläßlich der Eröffnung vor österreichischen und ungarischen Journalisten in Budapest. Man wolle auch den freien ungarischen Unternehmerverbänden wie VOSZ, IPOSZ und GYOSZ Know-how zum Aufbau einer wirkungsvollen Interessenvertretung für die Anliegen der Industrie zur Verfügung stellen, ergänzte Wenckheim.

Als ersten Schritt in diese Richtung stellt die Industriellenvereinigung ungarischen Unternehmensvertretern für den Zeitraum eines Jahres ab Herbst 1991 jeweils einen Ausbildungsplatz in einer Reihe von Seminaren und Lehrgängen des Manage-mentinstjtutes der Industrie ("MDI") zur Vertagung. Monatlich soll außerdem im Budapester VÖl-Büro ein "Jour fixe" für ungarische Manager zu allgemeinen Fragen der Unternehmensführung stattfinden. Das Spracheninstitut der Industrie ("SPIDI") wird darüber hinaus 15 ungarischen Lehrern, die in Zukunft in Ungarn deutsche Sprachkurse abhalten sollen, einen mehrtägigen Ausbildungslehrgang anbieten.

Wenckheim betonte die große Aufmerksamkeit, die die österreichische Industrie dem Demokratisierungsprozeß, der in Ungarn ja viel früher eingesetzt hat als in den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks, bereits seit langem schenke. Schon frühzeitig sei deshalb der Gedanke aufgetaucht, besondere Aktivitäten zur Verbesserung der industriellen Kooperation beider Staaten zu setzen. Das Ergebnis dieser Überlegungen stelle nun die Eröffnung der Repräsentanz in Budapest dar.

Ungarn ist jenes Land des ehemaligen Ostblocks, das gegenwärtig die meisten und intensivsten Kontakte zu westlichen Unternehmen unterhält. So waren Ende Februar 1991 rund 4.500 Joint-Ventures mit westlichen Firmen registriert, 1.400 davon mit österreichischen Partnern. Obwohl noch keine genauen Daten vorliegen, dürfte die Zahl der Kooperationen nach Schätzungen des Ungarischen Statistischen Zentralbüros mittlerweile auf insgesamt 7.500 angestiegen sein. Allein 35 Prozent davon machen Joint-Ventures zwischen österreichischen und ungarischen Unternehmen aus. Österreich sei damit der mit Abstand wichtigste westliche Kooperationspartner für die ungarische Wirtschaft, betonte Wenckheim bei der Eröffnung.

Der Großteil der Partnerschaften weise ein relativ niedriges Investitionsvolumen auf, zwei der österreichisch-ungarischen Kooperationen rangierten ajierdings unter den zehn "größten" Joint-Ventures ungarischer Unternehmen mit westlichen Firmen, erklärte Wenckheim weiter. Die Ge-samtinvestitionssumme aller westlichen Partnerschaften in Ungarn beträgt derzeit rund 1 Mrd. US-Dollar, das ist etwa die Hälfte aller westlichen Investitionen in den Reformstaaten.

Mit der österreichischen Position gegenüber dem europäischen Integrationsprozeß sowie mit grundsätzlichen europapolitischen Fragen befaßte sich der Generalsekretär der Vereinigung Österreichischer Industrieller, Prof. Herbert Krejci. Krejci wies einleitend auf die Motorfunktion hin, die die Industriellenvereinigung in der EG-Diskussion in Österreich ausgeübt hat und noch ausübt. Ein im Mai 1987 verabschiedetes Memorandum der österreichischen Industrie sei der Startschuß für eine intensive Diskussion auf der Ebene der Regierung und der Sozialpartnerschaft gewesen. Diese habe erfreulicherweise im Juli 1989 zur Überreichung des offiziellen Beitrittsansuchens in Brüssel geführt. Krejci verwies in diesem Zusammenhang auf die wirtschaftliche Dynamik, die von der Schaffung des EG-Binnenmarktes ausgehen werde, und betonte, für Österreich, das bereits zwei Drittel seines Außenhandels mit den 12 Ländern der Europäischen Ge-meinschaften abwickelt, sei eine möglichst rasche Teilnahme an diesem Birinenmarkt unverzichtbar.

Der überraschende und so erfreuliche Demokratisierungsprozeß in den Ländern des ehemaligen Ostblocks sowie der de facto beendete Kalte Krieg in Europa stellten jedoch sowohl die Integrationspolitik als auch die Europapolitik generell mittelfristig vor neue Aufgaben. Österreich* werde selbstverständlich alle Länder, die sich schon derzeit in erfolgversprechenden wirtschaftlichen Reformprozessen in Richtung auf ein marktwirtschaftliches System befinden, bei deren Bemühen um eine Teilnahme an der europäischen Integration unterstützen. Mittel-und langfristig werden wohl auch Überlegungen über eine Politische Union Europas sowie über ein europäisches Sicherheitssystem notwendig sein. Darin werde selbstverständlich auch Österreich als westlicher Industriestaat im Herzen Europas eine klar definierte Rolle spielen rnüssen.

Die Vereinigung Österreichischer Industrieller sei zwar eine überparteiliche, aber keinesfalls unpolitische Organisation, betonte Dr. Heinz Kessler, Präsident der Industriellenvereinigung anläßlich der Eröffnung der Budapester Repräsentanz. Mit mehr als 2000 Mitgliedern sowohl aus der Produktionswirtschaft, aber auch aus den Bereichen Kreditwirtschaft und Versicherungswesen repräsentiere sie -gemessen an der Beschäftigtenzahl -rund 85 Prozent der Privatindustrie in Österreich.

Die Industriellenvereinigung habe es sich zur Aufgabe gestellt, die Anliegen der österreichischen Industrie im Zuge des wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskussionsprozesses zu vertreten, und verstehe sich darüber hinaus auch als Serviceorganisation für ihre Mitglieder. Die Schwerpunkte bei der Sacharbeit lägen in den Bereichen Industriepolitik, Sozialpolitik, Steuerpolitik und Bildungspolitik, wobei die Industriellenvereinigung auch sehr großes Augenmerk auf eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit lege, erklärte Kessler weiter.

Wichtigste Aufgabe des Verbandes sei es, die Rolle Österreichs als moderner Industriestaat zu festigen und auszubauen. Mit rund 33 Prozent Anteil am österreichischen Brutto-In-landsprodukt sei die Industrie der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig und Motor der konjunkturellen Entwicklung. Das industrielle Exportvolumen dürfte heuer knapp an die 500-Mrd.-S-Marke herankommen. Der reale Produktionszuwachs im Vorjahr bei 8 Prozent, betonte VÖl-Präsident Kessler.

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