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Inflation der Innerlichkeit
Es drückt, „Das Gewicht der Welt”, es bedrückt den Dichter Peter Handke, es belastet ihn auf der Flucht in den Elfenbeinturm, stört seine beschauliche Traurigkeit. Der Außenwelt kann der Autor nicht entgehen, er kann vielleicht über sie schreiben, er kann ein „Journal verfassen”. Das Gewicht der Welt kann er nicht abschütteln, mit keinem noch so gewichtigen Buch.
Es drückt, „Das Gewicht der Welt”, es bedrückt den Dichter Peter Handke, es belastet ihn auf der Flucht in den Elfenbeinturm, stört seine beschauliche Traurigkeit. Der Außenwelt kann der Autor nicht entgehen, er kann vielleicht über sie schreiben, er kann ein „Journal verfassen”. Das Gewicht der Welt kann er nicht abschütteln, mit keinem noch so gewichtigen Buch.
„Für den, den’s angeht” steht gewissermaßen als Warnung für den Handke-feindlichen Leser am Anfang des Buches. Wen geht es eigentlich an, dieses „Protokoll täglicher Wahrnehmungen”?
Peter Handke, der Presseliebling, ist seiner stilistischen und politischen Linie treu geblieben, was heißt: Abkehr von der Außenwelt, Flucht in die Innenwelt, in die reine Individualität. Innerlichkeit ist für Handke nichts als ein Reflex der Außenwirklichkeit, ein Spiegel der Konflikte, die sich im täglichen Leben manifestieren. Deshalb schreibt er auch vorwiegend über sich selbst, um in der „radikalen Subjektivität” die gesellschaftliche Wahrheit - wenn auch verzerrt und gefiltert - zu erfassen. Das klingt noch ehrlich und akzeptabel. Denn zu leicht gleiten sogenannte gesellschaftskritische und realistische Schriftsteller in die So- zialkolportage und in eine Realismus- fetischierung ab, zu schnell abstrahieren sie von der eigenen Problematik. Ihr scheinbares Engagement verkommt dann zur undifferenzierten Agitation und zur Wirklichkeitsverfälschung.
Doch auch die „subjektive Radikalität” der Innerlichkeitsautoren kann zu Lug und Trug werden, wenn die Selbstkritik aufgegeben wird zugunsten eines narzistischen Sich-bewei- nen und Sich-bespiegeln. Genau dieser Gefahr erliegt Peter Handke. Er hat aufgehört, sich noch in Frage zu stellen, verabsolutiert sich und seine Gefühle, Wahrnehmungen und Denkstrukturen. Er genügt sich selbst. Der einleitende Satz des Journals „Für den, den’s angeht” wird damit zum Alibi, denn eigentlich geht alles nur den Autor selbst an.
Handke hat aus seinem Wahrnehmungsmaterial keine literarische Form geschaffen, er läßt es roh, unge- formt, setzt es nicht um. Er nennt das „die unmittelbar, simultan festgehaltene Reportage von einem Bewußtsein”. Welches Bewußtsein sich da manifestieren sollte, verrät Handke nicht. Man erfährt es auch nicht durch die Lektüre des Buches.
Das Journal besteht aus kurzen Beobachtungen, Wiedergaben von Gesprächen, Erinnerungsfetzen, Fragmenten von Begegnungen. Die durchwegs kurzen Passagen sind kommentarlos, ohne inneren Zusammenhang aneinandergereiht. Die einzige Klammer ist die Chronologie, der tagebuchartige Ablauf. Die Sätze selbst sind von geschraubter, fast krampfhafter Einfachheit. Man hat den Eindruck, als wolle Handke Aphorismen über die eigene Person festhal- ten.
Doch was will der Autor damit? Will er seine Denkstrukturen mitteilen, will er seine Widersprüchlichkeit und Gespaltenheit einem Leser vermitteln, oder hält er es einfach für äußerst interessant, wie er von 1975 bis 1977 in Paris gelebt hat? Oder geht es Handke um Selbstbeweihräucherung? Will er zeigen, wie ein sensibler Mensch handeln und denken soll? Will er Traurigkeit und Selbstmiüeid vorexerzieren, sozusagen das Ideal des schöpferischen Menschen, der am „Gewicht der Welt” langsam zugrundegeht, mit dem nicht ausgesprochenen Nachsatz: Zum Nachahmen empfohlen? Stilisiert sich da einer mit selbstgefälliger Lust am Pessimismus zum Genie der Tristesse? Man hat den Eindruck, als solle einem staunenden Leser Ehrfurcht und Demut vor einem Denkmal •eingeflößt werden, das hohl zu werden beginnt.
Versucht man, inhaltliche Komplexe in Handkes Buch aufzuspüren, stößt man auf drei dominierende Themenkreise: Sexualität, Existenzangst und Tod. Um diese Blöcke kreisen Handkes Gedanken, treffen manchmal, erstarren aber meistens zur Pose, zum Konstrukt. Nie stellt sich der Autor dabei in Frage, nie versucht er, Hintergründe aufzuspüren, den Ängsten auf den Grund zu gehen. Er schreibt sie nieder, doch ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dabei nicht viel Ehrlichkeit und Problembewußtsein im Spiel ist. Handke leidet an der Oberfläche und gefallt sich darin, schaut sich zu. Leiden und Melancholie als gestelztes Lebensprinzip. Das hat nichts mehr mit radikaler Subjektivität zu tun, das ist die äußere Schale einer Pose. Manierismus bis zum Exzeß. Handke als Dogma seiner selbst.
Damit verliert auch jede seiner Äußerungen an Funktion und Authentizität. Literatur verlangt nun einmal nach Gestaltung und Form. Beides negiert Handke, ohne eine echte Alternative anzubieten. Er will weder verarbeiten noch formen, sondern verabsolutiert sich selbst als Kunstwerk - mit einer reichlich bemessenen Dosis Arroganz und Präpotenz. Handke kann sich gut verkaufen, das ist gewiß. Was er allerdings als „Protokoll eines Bewußtseins” anbietet, ist nur das Protokoll nicht verarbeiteter Eitelkeit, nicht Bewußtsein, sondern der Schein eines B ewußtseins. Das ist auch keine Innerlichkeitsliteratur mehr, sondern veräußerlichte, gut verpackte Selbstbespiegelung.
DAS GEWICHT DER WELT, von Peter Handke, Residenz-Verlag, Salzburg 1977, 325 Seiten, öS. 182,50
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