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Inflationskarussell oder Big Bargain?

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In Großbritannien wollen die Arbeiter der verstaatlichten Kohlenminen gegen eine konservative Regierung streiken, in .Deutschland die Staatsbediensteten gegen eine sozialistische Regierung. In beiden Fällen ist der Grund der Konfliktsituation der gleiche: Die Forderungen haben ein Ausmaß erreicht, daß — würden sie (was nach Gewährung wahrscheinlich wäre) zur allgemeinen Direktive — jede Stabilisierungspolitik, speziell jene zaghaften Versuche, die man heute euphemistisch als solche bezeichnet, vollkommen illusorisch würden.

Wird es in Österreich zur gleichen Konfrontation kommen, wird die Regierung allen eventuellen Konflikten aus dem Weg gehen und den Schwarzen Peter der Wirtschaft zuschieben, oder wird das vielgerühmte gute Sozialklima in Österreich dafür sorgen, daß die Forderungen von Gewerkschaftsseite im Rahmen des Gerechtfertigten bleiben?

Zugegeben, wenn wir die Situation in Österreich mit der in diversen anderen Staaten — beispielsweise in Italien oder Großbritannien — vergleichen, dann sind unsere Gewerkschaften zweifellos maßvoll. Fassen wir allerdings das stabilitäts- und konjunkturpolitisch tatsächlich Notwendige ins Auge, dann ist auch mit der österreichischen Lohnpolitik kein Staat zu machen.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut berichtet nämlich, daß das Tariflohnniveau im Dezember 1973 um 13 Prozent über dem Vorjahresstand lag, die Mindestlöhne in der Industrie sogar um 15,5 Prozent höher waren. Daraus resultiert, daß im Vorjahr trotz Inflation ein Reallohnanstieg um mehr als 5 beziehungsweise 8 Prozent durchgesetzt wurde.

Nun wird Gewerkschaftspräsident Benya nicht müde, zu betonen, er denke langfristig an eine dreipro-zentige Reallohnsteigerung pro Jahr. Das aber hieße, daß die Löhne einmal über dieser Leitlinie liegen — wie dies in der letzten Dekade zumeist der Fall war —, und in anderen Jahren dafür wieder darunter bleiben würden. In der Praxis der Lohnpolitik wird aber diese Leitlinie als ein Minimum angesehen, welches nach Möglichkeit jedes Jahr überschritten werden müsse.

Wir können aber das Faktum nicht wegeskamottieren, daß Lohnerhöhungen, die über ein gewisses, je nach Situation verschiedenes Maß hinausgehen, ein potenter Inflationsmotor sind. Dies beweist allein schon die Tatsache, daß zwar einerseits die gewerblich-industriellen Preise „nur“ um 6 Prozent im Verlauf des abgelaufenen Jahres, anderseits aber diejenigen für die lohnintensiven Dienstleistungen um nicht weniger als 13,5 Prozent, jene für Hotelaufenthalte sogar um über 20 Prozent gestiegen sind.

Besonders trist sieht die Situation bei dem gleichfalls lohnintensiven Wohnhaus- und Siedlungsbau aus, dessen Preise im Verlauf eines Jahres um 20,5 Prozent gestiegen sind. In den Bauhilfsgewerben ist die Situation zum Teil noch ärger. Installateurarbeiten wurden sogar um 30 Prozent teurer.

Nunmehr heißt es, daß die Baugewerkschaft in diesem Jahr schon wieder eine saftige, zweistellige Lohnforderung stellt, durch die automatisch ein neuer Preisraketensatz gezündet werden wird. Die Bauunternehmer, die dank einer Ö-Norm-Bestimmung die erhöhten Lohnkosten sofort auf die Preise überwälzen dürfen, sind davon am wenigsten betroffen. 1

Dabei wäre angesichts der. schon jetzt gefährlich hohen Inflationsraten größte Zurückhaltung in der Lohnpolitik erforderlich. Das Argument, die Stabilisierungspolitik dürfe nicht auf Kosten der Arbeiter und Angestellten gehen, verfängt nicht. Die Inflation kostet sie noch viel mehr.

Es wäre endlich Zeit, vom Inflationskarussell abzuspringen und durch ein „Big Bargain“ den Arbeitnehmern Lohn- und den Unternehmern Preisdisziplin aufzuerlegen. Dabei sollten konkrete Vereinbarungen getroffen werden und nicht durch unverbindliche Absichtserklärungen das Ganze nur eine Show ohne Substanz bleiben.

Da langfristig gewiß nicht mehr als 3 Prozent Reallohnerhöhung „drin sind“, wir sogar froh sein müssen, wenn wir diese halten können, wäre es keine Zumutung — in Anbetracht der hohen Steigerungsraten bisher —, in nächster Zeit auf rein kalkulatorische, letzten Endes nur inflationstreibende Reallohnerhöhungen- zu verzichten, um die Stabilisierung voranzutreiben. Nur unter diesen Umständen kann auch Preisdisziplin durchgesetzt werden, die sonst immer wieder unter Berufung auf die Lohnentwicklung durchlöchert wird.

Aber nicht nur die Lohnkosten treiben die Preise. Die auf diese Weise hervorgerufene Geldschwemme macht Preiserhöhungen nur allzu leicht durchsetzbar, da der Konsument — infolge der schon erhaltenen und in Erwartung einer neuen Lohnsteigerung — auch zu erhöhten Preisen zwar murrend, deswegen aber nicht weniger willig, kauft. Dies führt zu einem besonders delikaten Problem: In der aktuellen Situation wäre es nämlich wünschenswert, etwas Kaufkraft „vom Markt zu nehmen“.

Der bekannte Wirtschaftspublizist Horst Knapp vertrat daher dieser Tage im Fernsehen die Ansicht, daß es ja der Hauptzweck der Preiserhöhungen bei Erdölderivaten und Elektrizität wäre, die Nachfrage zu verringern, das Publikum zur Zurückhaltung zu veranlassen.

Diese Intention wird aber zunichte gemacht, wenn die Preissteigerungen kompensiert, ja überkompensiert werden. Dann gibt es nämlich nur eine Verlagerung der Gewichte im Haushaltsbudget, aber keine Verbrauchsrestriktion.

Aus diesem Grund plädierte vor kurzem der sozialistische Generaldirektor der Nationalbank, Kienzl — der noch dazu selbst aus der Gewerkschaftsbewegung kommt und somit ein unverdächtiger Zeuge sein dürfte —, dafür, daß die Preissteigerungen auf dem Energiesektor lohnseitig nicht abgegolten werden. Dies aber bedeutet, daß dann die Abgeltung auch unter keinem anderen Titel erfolgen dürfte.

Eine zurückhaltende Lohnpolitik liegt in der aktuellen Wirtschaftssituation im Interesse der Gesamtbevölkerung, zuletzt auch der Arbeitnehmer. Werden die Gewerkschaften den Mut und das Verantwortungsbewußtsein dazu aufbringen oder werden sie den Weg des geringsten Widerstands ohne Rücksicht auf Verluste — die selbstverständlich alle treffen würden — gehen? Die Verantwortung liegt jetzt weitgehend bei ihnen.

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