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Informatiker im Streik

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In Wien herrscht krasser Mangel an Übungsplätzen für die 5000 Informatikstudenten. Das führte zum nun schon wochenlangen Tauziehen mit dem Wissenschaftsministerium.

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In Wien herrscht krasser Mangel an Übungsplätzen für die 5000 Informatikstudenten. Das führte zum nun schon wochenlangen Tauziehen mit dem Wissenschaftsministerium.

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Mittwoch 27. 11. 1985, Hörsaal fünf, Hauptgebäude der Technischen Universität. Hier sollten 800 Studenten ihre Ubungsprogram-me zur Vorlesung „Einführung in das Programmieren“ an 33 Kleinrechnern eingeben und testen. Wo sonst von früh bis spät abends dichtes Gedränge herrscht, ist Stille. Nur die Putzfrau steht vor der verschlossenen Türe und wundert sich.

Seit über sechs Wochen streiken die Informatiker, weil das Wissenschaftsministerium die sich seit Jahren abzeichnende Misere ihres Studiums offenbar unterschätzt hat und ein Weiterwurschteln nicht mehr möglich ist.

Die bereits seit 1977 stark steigende Zahl der Informatikstudenten — 441 im Wintersemester 1974/75, 2009 im Wintersemester 1984/85 - macht bei kaum wachsenden Mitteln eine geregelte Ausbildung unmöglich.

1980 von Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg unter Hinweis auf den noch lange nicht gedeckten Softwarebedarf empfohlen, mauserte sich das anfangs kaum beachtete Informatikstudium zum Modestudium der Technischen Universität.

Im Bereich der Computer-Wissenschaf ten — dazu gehören Inf or-matik, Betriebs- und Wirtschaftsinformatik sowie das Kurzstudium Datentechnik — sind in Wien insgesamt über 5000 Studenten inskribiert, also mehr als an jeder Fakultät der TU Wien. Diesen Studenten stehen an der Universität Wien und an der TU Wien 140 Geräte zur Verfügung. Um einen Übungsplatz ringen also 35 Studenten.

Nicht selten übernachten Studenten in den Ubungsräumen, um am Morgen einen der begehrten Übungsplätze zu ergattern. Im Sommersemester 1985 mußte eine Übung für 800 Studenten ohne Computer abgehalten werden, obwohl diese Anlagen die Voraussetzung gewesen wären.

Die Personalsituation ist katastrophal: Das Verhältnis Professoren zu Studenten beträgt 1:350, das aller Lehrenden zu Studenten 1:64, was weit schlechter ist als der gesamtösterreichische Durchschnitt von 1:80 beziehungsweise 1:20.

Die Personalaufstockung dieser jungen Studienrichtung erfolgt äußerst schleppend und nur dann, wenn die Studenten demonstrieren. Die 1974 geforderte Planstelle eines Professors wurde erst acht Jahre später, 1982, eingerichtet!

Die Raumsituation ist besonders triste: Die Informatiker sind auf acht verschiedene Standorte aufgeteilt und zumeist in Privatwohnungen untergebracht.

In dieser Situation boten sich drei Lösungsansätze an:

• Mangelhafte Ausbildung bei minimaler Forschung - die Fortsetzung des bisherigen Weges.

• Studienbeschränkungen: Bessere Ausbildung, aber der Bedarf an Informatikern kann nicht gedeckt werden.

• Ausbauplan: Trotz mehrjähriger Bemühungen — der erste Plan wurde 1975 vorgelegt - konnte kein verbindlicher Plan für die Ausbildung von damals geschätzten 4000 Studenten erreicht werden.

In der Sitzung der Fachgruppe am 1. Oktober wurde einstimmig beschlossen, daß die Übungen am Computer des ersten bis sechsten Semesters solange ausgesetzt werden, bis ein geeigneter Ausbauplan und Sofortmaßnahmen zugesichert werden.

Obwohl vier Monate zuvor auf die prekäre Lage hingewiesen wurde, zeigte sich Minister Heinz Fischer verwundert.

„Wir fallen nicht um!“

Es folgte eine Demonstration zum Wissenschaftsministerium, an der sich Assistenten und Professoren geschlossen beteiligten. Bei der Verhandlung mit dem Ministerium traten Studenten, Assistenten und Professoren geeint auf und ließen nicht locker: Sie bestanden auf einer klaren und verbindlichen Zusage über den Ausbau der Informatik.

Die Kosten eines solchen Ausbaus würden 35 Millionen Schilling betragen, was sehr gering ist im Vergleich zu den geplanten sechs Milliarden Schilling für das OKI-Werk in der Steiermark.

Das Ministerium ließ durchblicken, keine zusätzlichen Mittel bereitstellen zu können, also zogen die Demonstranten eine Woche später zum Bundeskanzleramt, um ein Sonderförderungsprogramm, ähnlich jenen in der Bundesrepublik Deutschland oder in England, zu fordern.

Am 22. Oktober besetzten Studenten das zu drei Vierteln leerstehende „Porr-Hau^“, das dem OGB gehört, um auf die schleppenden Verhandlungen über dessen Ankauf für die Technische Universität aufmerksam zu machen.

Konkrete Zusagen konnten bisher nicht erreicht werden, lediglich die eher unverbindliche Zusage, die Ausstattung der Informatik bis etwa 1990 an den Durchschnitt der technischen Studienrichtungen heranzuführen.

Die groß angekündigten Übungsplätze im Arsenal haben sich inzwischen als Bluff erwiesen, abgesehen davon, daß das Arsenal zu weit weg ist, um einen sinnvollen Ubungsbetrieb aufzunehmen.

Die Informatiker wollen solange nicht nachgeben, bis konkrete und ausreichende Maßnahmen ergriffen werden. Professor Helmut Kopetz vom Institut für praktische Informatik gibt sich selbstbewußt: „Wir fallen sicher nicht um!“

Die Studenten fordern nicht nur eine materielle Besserstellung, sondern auch eine inhaltliche und organisatorische Verbesserung des Studiums durch eine grundlegende Studienreform. Verlangt werden mehr Möglichkeiten zum selbständigen Arbeiten, etwa durch Projektstudium, durch interdisziplinäre Forschung und Lehre sowie durch Einbeziehung gesellschaftlicher Fragen, insbesondere über die Auswirkungen der neuen Technologien.

Da derzeit aber nicht einmal ein schlechtes und verschultes Studium möglich ist, stehen diese Fragen im Hintergrund.

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