6928372-1982_20_04.jpg
Digital In Arbeit

Initiative mit Folgen

19451960198020002020

Volksbegehren sind Ausdruck der politischen Verantwortung von Nichtpoliti-kern. Müßten solche Initiativen- des Bundesvolkes nicht auch rechtliche Folgen haben?

19451960198020002020

Volksbegehren sind Ausdruck der politischen Verantwortung von Nichtpoliti-kern. Müßten solche Initiativen- des Bundesvolkes nicht auch rechtliche Folgen haben?

Werbung
Werbung
Werbung

Das 1964 von der unabhängigen Presse initiierte Volksbegehren über die Rundfunkreform war eine Premiere der direkten Demokratie in Österreich. Totes Verfassungsrecht wurde lebendig, ein Vorgang, der 1978 hinsichtlich der Volksabstimmung stattfand. Zwar haben 1964 viele Politiker von „politischem Dilettantismus” und von „Demagogie des Volkes” gesprochen. Parteipresse und das offizielle Blatt der Republik haben das Volksbegehren damals ignoriert.

Deshalb und auch im Hinblick auf die stiefmütterliche Behandlung der Einrichtungen der direkten Demokratie durch die Verfassung schrieb der Verfasser 1964 in der FURCHE von der „großen Illusion”. Man dürfe sich vom Volksbegehren nicht die erwünschte Reform erwarten, da es ja vom Nationalrat nur geschäftsordnungsmäßig behandelt, nicht einmal aber abgestimmt oder gar angenommen werden muß. Das gilt noch heute.

Aber das Ja zur Reform war 1964 von 833.389 Bürgern getragen und konnte nicht ignoriert werden. Im Ergebnis war dieses Volksbegehren ein Mißtrauensvotum von Aktivbürgern gegenüber dem Regierungskartell der großen Koalition, Ausdruck der politischen Verantwortung der Nichtpolitiker.

Auch das Volksbegehren betreffend die Einsparung des zusätzlichen Konferenzzentrums bei der UNO-City wird nicht ohne Wirkungen bleiben. Vor allem wird es nicht die Derniere der direkten Demokratie sein. Aber es wird ähnlich wie das Volksbegehren zur Erlassung eines Bundesgesetzes betreffend den Schutz des menschlichen Lebens, das 1975 die bisher höchste Unterstützung eines Volksbegehrens erreichte, bewußtmachen, daß eine Initiative des Bundesvolkes rechtlich keine Konsequenzen nach sich zieht und daran erinnern, wer die letzten Wahlen gewonnen hat.

Vielleicht könnte das Volksbegehren über das Konferenzzentrum aber auch ein Anlaß sein, darüber nachzudenken, ob und wie verfassungspolitische Konsequenzen nach einer solchen Initiative gezogen werden sollen. Sollten nicht mit der Initiative des Bundesvolkes auch rechtliche Folgen verbunden sein? Könnte man sich nicht verschiedene Konsequenzen je nach der Zahl der gültigen Eintragungen vorstellen?

Von der Einbindung der Gesetzgebungsinitiative des Bundesvolkes in die Einrichtungen und Verfahren der repräsentativen Demokratie wird man wohl nicht abgehen können. Derzeit ist diese Einbindung dergestalt durchgeführt, daß das Volksbegehren vom Nationalrat nur geschäftsordnungsmäßig behandelt, nicht aber verhandelt oder gar abgestimmt, geschweige denn angenommen werden muß. Deshalb sollte man eine Änderung der Verfassung dahingehend herbeiführen, daß über jedes Volksbegehren, das ja „in Form eines Gesetzentwurfes gestellt werden” (Art 41 Abs 2 B-VG) muß, vom Nationalrat auch förmlich abgestimmt werden muß.

Weiters sollte es einer Minderheit des Nationalrates (einem Drittel) möglich sein, eine Volksabstimmung über den initiierten Gesetzesentwurf verlangen zu können, wenn das Volksbegehren besonders unterstützt worden ist (z. B. über eine Million gültige Eintragungen). Schließlich könnte eine Änderung der Verfassung diskutiert werden, wonach eine

Volksabstimmung einzuleiten ist, wenn ein besonders unterstütztes Volksbegehren (z. B. über 1,5 Millionen) nicht innerhalb einer bestimmten Frist vom Nationalrat als Bundesgesetz beschlossen wird. Die an die Initiative des Volkes geknüpften rechtlichen Konsequenzen sollten also nach dem Ergebnis des Volksbegehrens differenziert gestaltet werden.

Überdies wäre nach Bundesländer-Vorbild die Einführung von Volksbefragungen zu empfehlen. Die Erfahrung lehrt, daß die Wähler nicht so zwischen den verschiedenen Einrichtungen der direkten Demokratie unterscheiden, wie es die Verfassung tut. Da Volksbegehren und Volksabstimmung nach dem B-VG sehr formalisiert sind, insbesondere nur auf das Gesetz abgestellt sind, sind alle anderen Fragen und Formen ausgeklammert. Die Anwendung ist daher sehr beschränkt.

Die Erfahrung lehrt im übrigen, daß auch die Politiker nicht so genau unterscheiden wie die Bun-des-Verfassung. Daher werden die Formen der direkten Demokratie in den „politischen Fällen” dergestalt eingesetzt, daß man den Fall in die Form geradezu hineinzwängt und hineinzwingt, auch wenn sie eigentlich nicht paßt. Diesen Umgang mit der Bundes-Verfassung könnte man vermeiden, wenn das Volk über jede Frage seinen Willen kundtun könnte.

Freilich wären das alles Änderungen des Verfassungsgefüges, die keine „stiefmütterliche”, sondern geradezu eine „mütterliche” Behandlung der Institutionen aus dem Ideenkreis der unmittelbaren Demokratie bedeuten würden. Aber solche formellen Gegengewichte und Korrekturen sind zweckmäßig, um eine neue Gewaltenteilung zwischen den repräsentativen und den direktdemokratischen Elementen der Verfassung herbeizuführen und neue checks and balances einzuführen.

Verfassungspolitisch haben alle diese Einrichtungen auch die Aufgabe, den im Repräsentativsystem nicht oder zu wenig repräsentierten Gruppen und Fragen politische Repräsentanz zu ermöglichen. Mehr Mitwirkungsmöglichkeiten für neue und andere Interessen öffnen ein festgeformtes System, das von auf Dauer organisierten Interessen von gestern aufgebaut ist, einem neuen Pluralismus.

Univ.-Prof. Manfned Welan ist Ordinarius für Rechtslehre und Prorektor an der Wiener Universität für Bodenkultur.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung