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Innere Schulreform stärker betonen

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Schulische Bildungsreformen sind ein Bestandteil der historischen Entwicklung, keinesfalls ein Spezifikum unserer Zeit. Um dies zu verdeutlichen, genügt ein Hinweis auf die letzten zweihundert Jahre: die breite Volksbildung setzte mit dem Maria-Theresianischen Reformwerk 1774 ein, für deren Entwicklung, Entfaltung und Vertiefung das Reichsvolksschulgesetz 1869, die Reformperiode der frühen Ersten Republik, die Landschulemeuerung nach 1945 und schließlich das Jahr der Schulgesetze 1962 wichtige Stationen waren. Alle poütischen Kräfte haben an schulischen Emeuerungs- bestrebungen teilgenommen.

Seit dem 10. Juli 1969 befinden wir uns in der laufenden Reformphase. Sie wurde von einem ÖVP-Unter- richtsminister eingeleitet - wie überhaupt von dieser Seite viel mehr Bewegung in die gesamte Bildungslandschaft getragen wird, als man vielerorts eingestehen möchte. Vielfach werden wir gerade von jenen als rückschrittlich bezeichnet, die ihrerseits einen schulischen Eintopf aus der Zwischenkriegszeit als optimales Kindermenü für das dritte Jahrtausend anbieten.

Der am 1. August 1969 eingerichteten Schulreformkommission ist es aufgetrageri, das gesamte Bildungswesen zu überdenken. Alles bedenken zu wollen, heißt aber nicht, alles reformieren zu müssen. Jede Reform steht im Spannungsfeld von Bewahren und Erneuern, sie ist nur evolutionär sinnvoll und möglich. Entscheidend bleibt dabei immer der Geist: ob er sich am bildungsbedürftigen Menschen in dessen Individual- und Sozialnatur orientiert oder ob bildungsfremde Ziele verfolgt werden.

Ich halte eine Grundübereinstimmung in der Bildungspolitik für bedeutsam und erstrebenswert. Die Konsensbereitschaft darf aber nicht vor das Problembewußtsein und/oder vor die bessere Alternative treten. Wer sich in der Anwaltschaft des Kindes befindet, wird nicht nur besser verstanden, sondern schließlich auch mit mehr Zustimmung bedacht werden. Wir haben also vom Wesen des Menschen auszugehen, seine in der Zeit sich stets verändernde Umwelt zu berücksichtigen und uns der historischen Bildungserfahrung zu bedienen.

Schulversuche sind keinesfalls das einzige, wohl aber ein wichtiges Mittel für den pädagogischen Fortschritt. Sie gehören modellgerecht durchgeführt, zahlenmäßig und zeit- lich begrenzt, wissenschaftlich kontrolliert und ausgewertet. Sie müssen zudem ergebnisorientiert sein, verbunden mit der Bereitschaft, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Unseriös wäre es, einen längst gefaßten bildungspolitischen Willen über Schulversuche mit dem Mäntelchen des vielfach Erprobten, Besseren und „wissenschaftlich” Belegten zu umhüllen, um auf diese Weise das politische Eigengewicht zu verstärken und über den Druck der öffentlichen Meinung zum Ziel zu gelangen.

Unseriös wäre es aber auch, über ein zahlenmäßiges und zeitliches Ausufem der Schulversuche nicht umkehrbare Zustände herstellen zu wollen, wodurch zwar das Gewollte, aber gewiß nicht immer das Bessere bleiben könnte. Diese kritischen Anmerkungen haben mittlerweile ihre Berechtigung erlangt, denn schon künden sozialdemokratische Bildungsexperten von der Güte wissenschaftlich abgesicherter Gesamtschulversuche in Österreich,’ohne daß es einen einzigen echten Gesamtschulversuch gibt.

Hier wird mit der Sprache manipuliert. Was als leistungsgegliederte Hauptschule erfreulicherweise erprobt wird, kann nicht als Gesamtschule angepriesen werden.

Am Ende dieses Reformjahrzehnts stehen wir vor recht erheblichen Problemen. So hat sich etwa das Reformbemühen auf einige schulorganisatorische Fragen verkürzt. Die SPÖ versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob nur über eine integrierte Ganztagsgesamtschulorganisation ein echter Fortschritt zu erreichen wäre, während die Jusos deutlich erkennen lassen, daß es gar nicht um eine bessere Schule, sondern um gesellschafts- und ordnungspolitische Veränderungen geht.

Eine totale Verschulung des Menschen, verbunden mit einer Vergesellschaftung des Schülers, brächte einen verhängnisvollen Verlust an Freiheit. Bildung benötigt aber Freiheit im Rahmen eines werthaften Normengefüges. Eine Perfektionierung schulischer Einrichtungen würde zudem die für das demokratische Leben notwendige Mündigkeit des Bürgers verhindern und der manipulativen Machbarkeit die Tore öffnen.

Zu bemerken ist ferner ein zunehmender Verlust pädagogisch wichtiger Trivialitäten mit andauernder Geltung. Im Erziehungsprozeß erreichten Tugenden wie Rücksichtnahme, Gehorsam, Disziplin, Ehrfurcht, Hilfsbereitschaft, Anstrengung un’d Liebe bleibende Bedeutung. Wer diese als Merkmale einer Untertanenmentalität verleumdet, verstößt gegen grundlegende Kategorien erzieherischen Tuns.

Wir leiden auch unter einer falsch verstandenen Chancengleichheit. Die ÖVP bekennt sich im Salzburger Programm zum Recht auf Bildung und zum Grundsatz gleicher Bildungschancen, wobei regionale und soziale Benachteiligungen durch gezielte Maßnahmen zu beseitigen sind. Mit Hermann Lübbe muß aber deutlich darauf aufmerksam gemacht werden, daß rechtlich garantierte und institutionell realisierte Gleichheit der Chancen die Menschen sozial nicht gleich macht. Vielmehr haben die Menschen immer unaufhebbar unterschiedliche Möglichkeiten,’ diese Chancen zu nützen.

Es ist auch hoch an der Zeit, die sprachlichen Hemmnisse einer oft recht unverständlichen pädagogischen Ausdrucksweise zwischen den

Bildungspartnem abzubauen. Vater und Mutter verstehen uns häufig nicht mehr, wenn wir dauernd „integrieren”, „selektieren”, „differenzieren”, „setting” und „Streaming” betreiben, „evaluieren” und solcherart lediglich Mißtrauen „produzieren”.

Die innere Schulreform muß wieder stärker gesehen werden. Der Blick soll auf eine solche „Gesamtschule” gerichtet werden, die den gesamten Menschen, sein Hirn, seine Hand und sein Herz, erfaßt. Lehrpläne, Unterrichtsmethoden und Unterrichtsmittel sind laufend zu verbessern, der Unterrichtsstil soll partnerschaftlicher ausgerichtet werden, die Leistungsfeststellung kennt Schwächen.

Immer wichtiger wird die Gesundheit unserer Schüler, die schulische Krisenvorsorge, die Schulwegsicherung, der Schülertransport, die Festigung der Schuldemokratie, die Einbeziehung der Eltern in das schulische Leben und vieles mehr.

Am Beginn des zweiten Reformjahrzehnts, da es um die „Bildung für die achtziger” geht, wird es darauf ankommen, die österreichische Schule als europaweit anerkannte Einrichtung strukturell zu erhalten, sie aber organisatorisch und über vielfältige innere Reformmaßnahmen im Lichte anthropologischer Erkenntnisse und gesellschaftlicher Erfordernisse anzureichern.

Wir werden ein umfassendes, verständliches und tolerantes Bildungs-, gespräch neu mit dem Ziele zu eröffnen haben: eine pädagogisch eingerichtete und menschlich ausgerichtete Schule in Freiheit, Verantwortung und Leistungsbereitschaft noch besser zu erreichen. Auf dieser Grundlage wird die ÖVP zu jeder Zusammenarbeit bereit sein.

Schulpolitik muß im Detail flexibel sein, im Grundsätzlichen aber an feste Zielvorstellungen gebunden bleiben. Christliche und demokratische Bildungspolitik war immer offen. Es ist ihr aber nicht zuzumuten, in marxistische Dienerschaft zu geraten.

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