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Innovationen an der Nebenfront

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Auch diesmal war die amerikanische Uberpräsenz an Filmen für den Wettbewerb nicht zu übersehen. Der obligatorische neue Beitrag Woody Aliens („Eine andere Frau“), der außer Konkurrenz lief, gehörte ebenso zum Repertoire der Festspiele wie der gekonnt gemachte neueste Film von Jonathan Kaplan, „Angeklagt“. Trotz der großartigen schauspielerischen Leistung von Jodie Foster ist es mit dem Film gelungen, ein wichtiges Thema — nämlich ei-

ne Vergewaltigung — professionell zu verniedlichen.

Berlin wäre nicht Berlin, gäbe es nicht auch eine starke Präsenz des sowjetischen Films. Und dabei sind Veränderungen zu bemerken. Die Regale der Zensurbehörden sind allmählich leergeräumt, zu sehen waren fast ausschließlich Filme, die im letzten Jahr entstanden sind. Eine gewisse Unsicherheit, mit der neu entstandenen Freiheit umzugehen, ist manchen Regisseuren anzusehen, vor allem den nicht ganz jungen.

Vadim Abdraschitov konnte mit seinem Film „Der Diener“ sehr überraschen. Nicht nur die Thematik des Films - das Abhängigkeitsverhältnis eines Chauffeurs zu seinem politisch hochgestellten Herrn, ein gewagtes Aufgreifen eines Tabuthemas — hebt den Film aus dem übrigen Mittelmaß vor, es ist vielmehr das raffinierte Spiel des Regisseurs mit dem Genre und den Zuschauererwartungen, das besticht. Repräsentativ für einen ganz neuen Stil sowjetischer Filmkunst sind aber die Filme einer jüngeren Generation.

Nicht die Auseinandersetzung mit Geschichte, mit der jeweiligen Nationalität steht bei ihnen im Vordergrund, sondern die Gegenwart. Vasilij Picüls Erstlingsfilm „Die kleine Vera“ zum Beispiel hatte mit den Behörden große Probleme, weil er das in der Sowjetunion bestehende Tabu durchbrochen hat, Sexualität zu zeigen. Der Film wurde von den zuständigen Behörden bis auf diese Szenen sogar wegen seiner Realitätsnähe gelobt.

Große Aufmerksamkeit wurde auch heuer wieder Alexander So- kurow geschenkt, diesem sehr eigenwilligen Leningrader Regisseur, von dem Andrej Tarkowskj meinte, er sei unter den jungen Regisseuren der Sowjetunion die größte Hoffnung. Sokurow hatte bisher auch alle möglichen Formen der Behinderung seiner Arbeit erlebt. Seine Filme sind sehr verschlüsselte, von Emotionen getragene Arbeiten, die es dem westlichen Zuschauer nicht leicht machen, in diese Welt vorzudringen.

Wie so oft bei den großen Filmfestivals sind die wirklich innovativen Kräfte an den Nebenfronten zu finden. „Eine philosophische Komödie“ nennt Jon Jost seinen Film „Rembrandt lacht“, die Geschichte von Claire und Martin, die — trotz Trennung — enge Freunde geblieben sind. Sie sind zu sehen in Momentaufnahmen ihres Alltags, bestechend sind die Dialoge, die Jon Jost mit den Darstellern größtenteils „improvisiert“.

„Wien ist anders: 50 Jahre nach dem Anschluß“ nennt die in Wien und New York auf gewachsene

Regisseurin Susan Korda ihr Porträt Österreichs 50 Jahre danach. „Was heißt es heute, Österreicher zu sein?“, darüber sprach die Regisseurin unter anderem mit Kurt Waldheim, Erwin Ringel, Niki List und mit einem jungen Neonazi. Was durch diese Gespräche entsteht, ist ein facettenreiches Bild einer Nation, die eine differenziertere Sicht in der internationalen Meinung dringend nötig hat. Der Film könnte ein Beitrag dazu sein.

Filme, die sich mit religiösen Fragestellungen beschäftigen, haben auch diesmal in Berlin nicht gefehlt, auch wenn sie eher enttäuschtem „Jesus Christus in Seoul“ nennt Son U Wang ihren ersten Kinofilm. Ein selbsternannter Jesus entkommt der psychiatrischen Anstalt und taucht in Seoul unter, besessen von der Vorstellung, durch die Bekehrung einer schönen Frau die Hauptstadt vor der Vernichtung durch Gott zu retten. Die Gesuchte wird gefunden, Jesus wieder in die Anstalt gesteckt; später, wieder ausgebrochen, versucht er erneut, Seelen zu retten. Um diesen Film hat es in Korea schon heftige Auseinandersetzungen gegeben, die südkoreanischen Bischöfe forderten, wenigstens den ihrer Meinung nach irreführenden Titel zu ändern. Dieser Jesus in Seoul ist ein Bild für die aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen, mehr ein sozialkritischer Film, dem das Etikett Jesus gar nicht gut tut.

Mit großen Ambitionen versuchte sich der spanische Starregisseur Carlos Saura in JDie dunkle Nacht“ mit dem christlichen Mystiker Johannes vom Kreuz auseinanderzusetzen. Dabei ging es Saura weniger um den historischen Heiligen, sondern um die Darstellung eines ganz bestimmten Charakters, den er in Johannes vom Kreuz entdeckt habe: als Vermittler zwischen Gott und dem Menschen, eingespannt in ein Netz von Intrigen, durch das er für neun Monate sogar von seinen eigenen Ordensleuten in den Kerker geworfen wird. Saura bleibt in diesem Film fast alles schuldig, was er sich zu zeigen vorgenommen hat.

Der „Goldene Bär“ 1989 ging an Barry Levinsons „Rain Man“ mit Dustin Hoffman und Tom Cruise in den Hauptrollen. Mit „Abendglocken“ (Regie: Wu Zinin), der den Spezialpreis der Jury erhielt, wurde wieder dem chinesischen Filmschaffen große Aufmerksamkeit geschenkt. Die Internationale Katholische Film-Jury (OCIC) vergab ihren Preis an Paul Greengrass* „Auferstanden“.

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