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Ins Getto des Kasinos

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144, Seuchenkatastrophe, Schulraummangel, Subventionspolitik in der Landwirtschaft — kaum ein Ressort der Regierung Kreisky, das nicht Schlagzeilen macht. Erst so bemerkt man die tödliche Stille, die in Sachen Landesverteidigung herrscht. Zwar führt der freiheitliche Parteiobmann Peter den Verteidigungsminister noch immer an prominenter Stelle seiner Liste von Rücktrittskandidaten, konkrete Vorwürfe sind aber Von Seiten der kleinen Oppositionspartei nicht zu hören.

Mißt man das Bundesheer an der Kritik der Volkspartei, so müßte im Heer alles zum Besten bestellt sein. Nachdem selbst die sonst üblichen betriebsinternen Pannen, wie Lawinenunglücke, Verkehrsunfälle, Handgranatenexplosionen ausblieben, reduziert sich die negative Publicity auf die Anti-Bundesheer-Ausfälle in Schüler- und Studentenzeitschriften und in Nennings neuestem Organ. Der politische Fahrplan entspricht völlig diesem Bild. Seit dem Jänner hat sich der Landesverteidigungsrat auf unbestimmte Zeit vertagt, als hätte er eben eine Fülle von Beschlüssen gefaßt und könne sich nun diese Ruhepause getrost gönnen.

Licht in dieses unkritische Dunkel bringt erst eine Meldung, wonach sich in der diesjährigen Stellungskampagne unter der wehrfähigen Jugend tausend Interessenten für den Dienst in der — angeblich — vor der Schaffung stehenden Bereit-

schaftstruppe gemeldet hätten. Die Stellungstätigkeit ist aber noch nicht beendet und mußte in den östlichen Landesteilen, bedingt durch die Seuchenkatastrophe, vorerst eingestellt werden.

Nachdem es noch überaus schwer ist, diese Zahl mit der gebührenden Sorgfalt statistisch auszuwerten, versagt sie sich auch dem Vergleich mit anderen Werten. Dennoch bleiben uns und dem Heer Zahlen nicht erspart.

15.000 Mann Bereitschaftstruppe: das war die Zahl, auf die sich die Experten in der Bundesheerreform einigten. Diese Höhe wurde auch von den beiden Generalen, die in die Politik hinüberwechselten, als Ziel betrachtet.

Der Gedanke an eine Bereitschaftstruppe, eine Art von „Neutralitätsfeuerwehr“, konzipiert auf der Basis der Freiwilligkeit des Dienstes, findet natürlich Anklang. Hat man sich dinnerlich langsam von der Armee im Westentaschenformat getrennt, soll sie unter anderen Vorzeichen neu entstehen. Und dabei ohne' den täglichen Ärger mit den unwilligen Wehrpflichtigen. Die „schimmernde Wehr“, Paraden, Einsätze auf Knopfdruck und so manche alte Schlagworte erhalten neuen Glanz.

Darum ist auch der Milizgedanke so unpopulär. Man hat einfach Angst davor, sich mit dieser Truppe im Verborgenen keine Lorbeeren mehr verdienen zu können. Denn sie ist nicht

zum Herzeigen geschaffen. So bastelt man denn unverdrossen an Entwürfen, die im Grunde genommen die alte Armee mit neuem Schild an der Türe bedeuten.

So klebt man denn auch an den Sesseln, weil man etwas aufhalten will, was man ablehnt. Noch immer steht nicht fest, wer in knapp einem Monat die Armee führen soll.

General Reichel, obwohl ein halbes Jahr vor der Altersgrenze stehend, denkt nicht daran, an seiner Nachfolge aktiv mitzuarbeiten. Seine Haltung ist charakteristisch für viele seiner Kameraden — frei nach dem Motto: nach mir können sie es ja anders machen.

So lange aber die Ministerialbüro-kratie dem Armeekommando die Kompetenzen neidet, man in der Miliz bloß ein Landwehrausbildungsheer sieht, man den „Kommiß“ nicht

gründlich austreibt, bleibt die Arbeit der Werber vergeblich. Denn die Armee ist nur so gut, wie sie sich dem jungen Rekruten schließlich in der Realität präsentiert. Derzeit hat man leider das Gefühl, daß der Prospekt der Bereitschaftstruppe für etwas wirbt, was es nicht gibt — für die entstaubte Armee.

Inzwischen gibt man's billiger. General Spannocchi, noch immer seinen Aufstellungsstab zur Eile mahnend, hofft auf „nicht ganz die Hälfte“.

Wer hat sich also geirrt? Die Experten? In der Mehrzahl waren es Männer, die vor wie nach der Reform an den entscheidenden Positionen im Heer saßen; der Minister-Brigadier nicht ausgenommen. Oder hat das Heer doch jenen Substanzverlust erlitten, den man nicht zugeben will?

Für die Militärs spielen diese Überlegungen eher eine untergeordnete Rolle. Lange genug haben sie die Wehrgesetzänderung des Sommers 1971 verteufelt, statt zu versuchen, mit diesem Gesetz zu leben.

So verpaßt man die einmalige Chance, mit einem gleichgesinnten

Fachmann an der Spitze unbeschwert von politischen Zwängen eine Reform einzuleiten. Unweigerlich drängt sich die Frage auf, ob man eigentlich eine Reform wollte.

Zwar hat, durch einige Alterspensionierungen ausgelöst, ein begrenztes Revirement an der Heeresspitze stattgefunden, doch Anciennität und Beamtenschema blockierten frische Blutzufuhr auf dem Weg zu den Schalthebeln. So kocht man weiter im alten Saft. Persönlichkeiten mit Reformermut, wie sie etwa die Bundeswehr in den Namen Maiziere, Bau-dissin oder Schmückle fand, sind hierzulande nie in Erscheinung getreten. So regiert nach wie vor die Mentalität des Berufes sui generis, des Mottos, aus dem jungen Rekruten einen „anständigen Menschen“ erziehen zu müssen. Die Gesellschaft wird nach wie vor einzig aus der Schützengrabenperspektive gesehen; aus langen Haaren wird noch immer eine Weltanschauung gemacht. Aber je mehr sich in der zivilen Umwelt die Klassengrenzen auflösen, desto mehr flieht man in das Getto der Dienstwohnungen und Kasinos ...

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