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Ins nächste Wellental

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Nach so vielen wirtschaftlichen Hiobsbotschaften, nach dem nervenaufreibenden Europa-Wahlkampf und der darauffolgenden emotionellen Ermattung brachte das vergangene Wochenende den abgekämpften Briten eine Botschaft, die ihnen wie eine Belohnung für ihr Bekenntnis zu Europa vorgekommen sein muß: die Handelsziffern nämlich für den Monat Mai. Zum erstenmal seit über drei Jahren ist die britische Außenhandelsbilanz aus den roten Zahlen herausgekommen und zeigt einen beachtlichen Uberschuß von 104 Millionen Pfund Sterling, ein Ergebnis, das selbst die größten Optimisten in der Londoner City nicht erwartet hatten.

Wenn diese Meldung auch cum grano salis zu verstehen ist — das starke Absinken der Importe ist eine Folge der wirtschaftlichen Rezession, die hoffentlich nicht ewig währen wird — so zeigt diese Entwicklung doch auch bei näherer Betrachtung viele höchst erfreuliche Aspekte.

Nicht nur halben die britischen Exporte im Mai eine neue Kekordziffer von über 1,58 Milliarden Pfund erreicht, wodurch das wieder erwachende Selbstvertrauen der britischen Industrie bestätigt wird, sondern es ist auch ein für Großbritannien enorm wichtiger Markt, auf dem diese Exporte besonders erfolgreich waren. Allein in den letzten drei Monaten sind nämlich die britischen Ausführen in die arabischen Erdölländer um nicht weniger als 34 Prozent gestiegen, und diese Tatsache stellt ein dringend nötiges Gegengewicht zu den Befürchtungen dar, die in den letzten Tagen über die Zukunft des in Großbritannien investierten arabischen Kapitals laut geworden sind.

Die Araber haben bekanntlich einen bedeutenden Anteil ihrer enormen Erdölprofite in Großbritannien angelegt, teils in Form von Bargelddepots in britischen Banken, teils in verschiedenen kommerziellen und industriellen Investitionen. Diese Maßnahme allein hat es Großbritannien ermöglicht, die unerhörte wirtschaftliche Belastung der erhöhten Erdölpreise einigermaßen zu verkraften. Der erneute Kurssturz des Pfundes in den letzten Wochen — der Tiefpunkt war am vergangenen Donnerstag mit einer Entwertung von r26,2 Prozent gegenüber dem Stand

vom Dezember 1971 erreicht worden — hatte zu Spekulationen geführt, wonach die arabischen Staaten ihre britischen Investitionen als unprofitabel betrachten und aus dem Lande abziehen könnten, was sofortige und verheerende Folgen für die britische Wirtschaft bedeuten würde. Nun, die ausländischen Devisenbörsen haben bereits vorteilhaft auf die jüngsten britischen Handelsziffern reagiert, mit einem vorläufigen Kursanstieg des Sterling am Wochenende von fast 100 Punkten oder beinahe einem Prozent und mit dieser Tendenz sowie mit dem stark erhöhten britisch-arabischen Handel scheint die Zukunft der arabischen Investitionen in Großbritannien zunächst wieder gesichert zu sein.

Daß trotz alledem natürlich noch lange nicht eitel Sonnenschein in der britischen Wirtschaft herrscht, braucht kaum gesagt zu werden. Zu-

sammen mit der Meldung über die günstigen Handelsziffern wurde bekanntgegeben, daß die Detailverkaufspreise im Mai um 4,2 Prozent angestiegen sind, was einen Rekordanstieg der Inflationskurve darstellt. Der Kampf der Regierung Wilson gegen die galoppierende Inflation wird erschwert durch die Haltung des linken Flügels der Lafoourpartei und mancher extremer Gewerkschaftsführer, die sich nach ihrer schweren Niederlage im Referendum nun als äußerst schlechte Verlierer erweisen. Verlorenes Terrain soll um jeden Preis wettgemacht werden, und dazu gehören direkte Kampfansagen an die Regierung und maßlose Lohnforderungen. Wilsons verständliche Maßnahmen gegen die lautstarksten EG-Gegner, die Versetzung von Tony Wedgwood-Benn vom Industrie- ins Energieministerium und

die Amtsenthebung der Ministerin für Übersee-Entwicklung, Judith Hart, haben die Labour-Linke zur Weißglut gebracht, und die Tritoune-Group hat den Premienninister beschuldigt, alle sozialistischen Wahlmanifeste vergessen und sich dem „Diktat von Kapitalismus und Industrie“ unterworfen zu haben. Harold Wilson gab in einem kühlen Antwortschreiben an die Tribune-Refoellen seinem Bedauern über den „hysterischen Ton und die unrichtigen Feststellungen“ dieser Anklage Ausdruck, und es scheint nicht, daß der gewiegte Parteistratege über diesen Aufstand allzu beunruhigt ist.

Nach dem Wellenkaiwm des Europa-Referendums gibt es auf der politischen und wirtschaftlichen Szene Großbritanniens zweifellos noch viele Wellentäler zu überwinden, aber viele Anzeichen deuten darauf hin, daß man auf dem richtigen Weg ist.

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