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Insel der Seligen seligen Gedenkens

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Die traditionellen Fronten der österreichischen Wirtschaftspolitik mit Weißmachern auf der einen und Schwarzmalern auf der anderen Seite beginnen sich, aufzulösen. Die Diskussion war bis zum Sommer 1977 von der SPÖ dazu benutzt worden, um mit Hinweisen auf Wachstum (5,2 Prozent real im Jahre 1976, für heuer prognostiziert 4,5 Prozent), Vollbeschäftigung (Arbeitslosenrate 1976: 2 Prozent, Prognose 1977 1,8 Prozent) und Preisentwicklung (Inflationsrate 1976: 7,3 Prozent, Prognose 1977: 5,75 Prozent) darzutun, daß es in Österreich eben anders als in vielen anderen Ländern sei (seht nur die deutschen Arbeitslosen, die englischen Streiks und die italienische Inflationsrate!).

Die Opposition wurde nicht müde, anhand der Budget- und Zahlungsbilanzziffem (Anstieg der Staatsverschuldüng von 47,1 Milliarden im Jahre 1970 auf 133,8 im Jahre 1977, wachsende Budgetdefizite, Leistungsbilanzdefizit 1976: 27 Milliarden) das Menetekel an die Wand zu malen.

Seit dem Abschluß der Budgetvorschau des Beirates für Wirtschaftsund Sozialfragen stehen einige harte Wahrheiten unbestritten im Raum: die Bruttodefizite des Bundeshaushaltes werden von 44 Milliarden im Jahre 1976 auf 58 bis 85 Milliarden (1980) - je nach Annahme - ansteigen, die Finanzschuld des Bundes wird 1980 zwischen 207 und 305 Milliarden liegen,

die mangelnde Flexibilität des Budgets wird eher noch größer (steigender Anteil des Personal- und Sozialaufwandes).

Die laufend publizierten Zahlen über die Entwicklung der Handelsund Zahlungsbilanz gehen allmählich auch den unverwüstlichen Optimisten unter die Haut. Im ersten Halbjahr 1977 stieg das Leistungsbilanzdefizit gegenüber der gleichen Vorjahrsperiode um 8,3 Milliarden auf 21 Milliarden, das Handelsbilanzdefizit vergrößerte sich auf 31,7 Milliarden. Das Ergebnis der Dienstleistungsbilanz (-10,7 Milliarden) verschlechterte sich um 0,8 Milliarden, weil die Steigerung der Eingänge aus dem Fremdenverkehr weniger ausmachte als die Zinsenmehrzahlungen an das Ausland. Sogar das in seinen Formulierungen äußerst vorsichtige Institut für Wirtschaftsforschung spricht in seinem August bericht von einer sehr angespannten Situation der Leistungsbilanz. Der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen arbeitet derzeit an einer Studie, die Auswege aus der Zahlungsbilanzproblema- tik aufzeigen soll.

Bei dieser Sachlage hat es politisch wenig Sinn, den Kopf weiter in den Sand zu stecken. Der Finanzminister beginnt, allen Möglichkeiten von Einnahmesteigerungen und - mit etwas weniger Courage - von Ausgabenreduktionen nachzuspüren. Versuchsballone in alle Richtungen steigen auf: Entwurf eines Abgabenänderungsgesetzes, Autosteuer, Ankündigung einer Transitsteuer, Abbau agrarischer Stützungen usw. Funktionäre von Arbeiterkammertag und Gewerkschaftsbund versuchen, wirtschaftspolitische Kehrtwendungen in der Öffentlichkeit und damit indirekt bei den Mitgliedern abzutesten: Verlängerung der Laufzeiten der Kollektivverträge, Verschiebung des Termins der Einkommenssteuersenkung, Begrenzung der Einkommenszuwächse.

Die Steuerhinterziehungsdiskussion, die allmählich auch die heilige Kuh Pfuscherei mitzuerfassen be ginnt, ist nur eine nervöse Begleiterscheinung eines schmerzlichen Prozesses der Umorientierung. Der Traum, alle Probleme böten eine einfache Patentlösung, verfliegt nur langsam. Die drei Großprojekte Austro-Porsche, Zellstoffabrik und Ölmühle verlieren von Tag zu Tag an Attraktivität: Österreich hat einen industriellen Standard erreicht, in dem man nicht wie in einem Entwicklungsland oder in den Zeiten des seligen Merkantilismus Großprojekte verwirklicht, zoll- schützt und wartet, ob und bis sich, der Erfolg einstellt.

Tatsache ist, daß trendbekämpfende Maßnahmen um so härter ausfallen müssende länger man mit ihnen zuwartet. Vor der Setzung der Maßnahmen muß aber auch noch von einigen Illusionen Abschied genommen werden:

Der Fremdenverkehr wird längerfristig nicht in der Lage sein, die Defizite der Handelsbilanz auszugleichen. Das Nettoergebnis aus dem Fremdenverkehr hat 1975 das Handelsbilanzdefizit zu 86 Prozent abgedeckt, 1976 nur mehr zur Hälfte. Kapazitätsgrenzen und steigende Reiselust der Österreicher ins Ausland machen eine Trendumkehr fraglich.

Maßnahmen der eher technischen Exportförderung (Kredite, Marketing etc.) können kaum mehr etwas bringen. Das Problem unserer Exportwirtschaft ist, daß österreichische Produkte einfach sehr teuer geworden sind. Sicher liegt das zum

Teil in den geänderten Währungsrelationen (Aufwertung des Schillings zwischen 1972 und August 1977: gegenüber US-Dollar 29 Prozent, bri- tischem Pfund 48,5 Prozent, italienischer Lira 53 Prozent und französischem Franc 26 Prozent), aber auch daran, daß sich die Arbeitskostenposition Österreichs zunehmend verschlechtert. Eine Abwertung des Schillings allein brächte überhaupt keinen Vorteil.

Die internationale Konjunktur wird uns auch nicht wesentlich helfen. Das Wachstum in den OECD- Ländem verlangsamt sich (1977: OECD insgesamt - 4 Prozent, europäische Länder"-3 Prozent), die Zuwachsrate des Welthandels wird sich in diesem Jahr von 11 auf7Pro- zent verringern.

Was Österreichs Wirtschaft braucht, ist eine Kur, die aus einer Fülle von Maßnahmen besteht:

Einengung des Budgetdefizites, Aktivierung der heimischen Produktion in Bereichen, in denen ohne technologische Notwendigkeit das Importprodukt die heimische Erzeugung verdrängt bzw. Nachfrageverschiebungen eine heimische Produktion rechtfertigen, Einbremsung des Kostenanstieges, für den nicht nur die Gewerkschaften verantwortlich zeichnen (KV-Löhne werden von der Arbeitgeberseite mitausgehandelt und die Sozialpolitik zeichnet für viele Lohnnebenkosten, verantwortlich), preisliche Zurückhaltung der Unternehmen (für welche im Augenblick Konjunktursituation und Wettbewerb vornehmlich verantwortlich zeichnen).

Die anstehenden Probleme sind kurzfristig nicht lösbar, ihre Bewältigungszeit reicht sicher weit in die nächste Legislaturperiode hinein. Über die Schuldfrage an der derzeitigen Situation mögen die Österreicher unterschiedlicher Auffassung sein, entscheiden können sie darüber in spätestens zwei Jahren, einig sollte man sich jedoch darüber sein, daß das goldene Verteilungsund Umverteilungszeitalter zumindest unterbrochen werden muß.

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