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Integration behinderter Kinder in der Schule

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Meine Tochter hat das Glück, daß es in ihrer Kindergartengruppe drei behinderte Kinder gibt. Und ich bin ganz begeistert, wenn ich sehe, wie große Fortschritte die behinderten Kinder gemacht haben und wie schnell die anderen Kinder gelernt haben, das Anderssein dieser Kinder als „normal” zu akzeptieren.

Da ich überzeugt bin, daß nicht Konkurrenzdenken, sondern soziales Verhalten, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und die Erkenntnis, daß jeder seine - jeweils anderen - Mängel hat, deshalb aber nicht minderwertig ist und nicht ausgegrenzt werden darf, das menschliche Leben bestimmen sollten, bin ich sehr froh, daß meine Tochter diese Werte nicht nur zu Hause, sondern auch durch ihre „öffentliche” Erziehung vermittelt bekommt.

Angeregt durch den Artikel von Helmuth A. Niederle über Integrationsklassen an Volksschulen (FURCHE 9/1991) rief ich also im zuständigen Schulinspektorat an und fragte, an welchen Schulen des Bezirkes Integrationsklassen geführt werden beziehungsweise in nächster Zukunft eingerichtet werden sollen. Die ebenso kurze wie eindeutige Antwort war: Nirgends.

Und das im 21. Bezirk, einem der größten Wiener Bezirke, der, laut Stadtrat Svoboda, auch weiterhin „von der Stadterweiterung besonders betroffen” sein, also auch bevölkerungsmäßig sehr stark wachsen wird.

Doch weil ich sicher bin, daß Raumprobleme - guten Willen vorausgesetzt - sich lösen lassen und -bei entsprechender Unterstützung durch die Vorgesetzten - sich auch engagierte Lehrer und Lehrerinnen finden werden, die diese schwierige Aufgabe als Herausforderung betrachten und sich ihr stellen werden, hoffe ich, daß dieses „Nirgends” nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist und die Floridsdorfer Kinder nicht auf die Dauer benachteiligt bleiben.

Ich danke jedenfalls Herrn Niederle und der FURCHE, daß sie dieses Thema aufgegriffen haben.

Mag. Maria Eisenreich 1210 Wien, Jedleseerstr. 8/4

Ein rundum begrüßenswerter Bericht - nur entspricht die hier gebotene Theorie nicht der Praxis, aus der Sicht zweier Sonderschullehrerinnen. Was uns auffiel:

• „Normale Kinder” brachten beim gemeinsamen handlungsorientier-ten Lernen im dritten Jahr noch wenig Geduld auf, ließen sehr wohl das Gefühl der Bevormundung aufkommen.

• Ein ordentlicher Befehlston „normaler” Kinder, auf den hinauf behinderte Kinder Hilfsdienste (Schalter und so weiter) tätigen durften. Selbstbewußtseinsbildung?!

• Zeichnungen, Werkstücke der behinderten Schüler waren keine zu sehen, Arbeiten der Nicht-Behinderten dagegen im Übermaß: Individuelle Anerkennung? Solidarische Menschen?

Was uns fehlt: Ein Gedanke an jene Kinder, die einfach nicht so integrierbar sind, zum Beispiel ein schwerer Autist, der so viele Menschen wie in einer Schulklasse nicht erträgt. Wohin dann? Solidarität?

An unserer Schule (Wien 19) gibt es Kinder, die erst während mehrerer Jahre lernen, sauber zu sein und sich anziehen zu können. Es gibt auch Schüler, die nach Beendigung der Allgemeinen Sonderschule den Hauptschulabschluß mit gutem Erfolg nachmachen. Was die Schule für diese Kinder leisten kann, leistet sie da: auch zwischen diesen Kindern geschieht Integration, auf die wir für die „schwächeren” unserer Kinder nicht verzichten wollen - um der Glaubwürdigkeit der Integration willen.

Natürlich kann sich schulische Integration noch sehr gut weiterentwickeln. An sinnvolle Integrationsbemühungen vor allem in der Freizeit sollte man auch denken. Und wer dabei bemerkt, wie verplant die Zeit von Kindern heute ist (wie wenig Frei-Zeit es noch gibt), kommt hoffentlich zu tieferem kritischen Nachdenken. Genau das hat aber in jenem Artikel gefehlt.

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