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Digital In Arbeit

Intellektueller Zündstoff als Folge der politischen Machtaskese

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In die Reihe der Grundsatz-Diskutanten fugt sich nun auch der österreichische Carteilverband (CV) ein: Die traditionsreiche Wiener Verbindung „Norica“, die im heurigen Studienjahr den sogenannten „Vorort“ und damit auch das Amt des CV-Präsidenten innehat, legte ein 60 Seiten umfassendes Elaborat vor, das als Diskussionsgrundlage für die für ein volles Jahr anberaumte Beratungsphase dienen soll. Wie das Redaktionskomitee selbst zugesteht, handelt es sich bei dieser Diskussionsgrundlage um einen Entwurf, der verschiedene Lücken aufweist, der in manchen Gebieten fast zu ausführlich erscheint, in anderen Passagen aber wieder nach konsequenterer Überarbeitung verlangt.

Die Notwendigkeit eines CV- Grundsatzprogrammes unterstreichen die Autoren (Dr. Karl Aiginger, Johann Kreuzeder, Dr. Michael Metzler, Peter Putz und Klaus Vogler) mit drei Argumenten: Erstens habe der CV durch die SP-Regierungsüber- nahme 1970 den wesentlichsten Pfeiler seines politischen Selbstverständnisses verloren (womit leider der Meinung jener Kritiker Vorschub geleistet wird, die eine bereits evidente Neuformierung des Verbandes in den letzten Jahren hartnäckig leugnen). Zweitens erschienen die vier Prinzipien des CV für eine „positive konkrete Darstellung seiner gesellschaftspolitischen Ziele“ als unzulänglich. Schließlich heißt es, dem geschlossenen sozialistischen Gesellschaftsgebäude würden von nichtsozialistischer Seite nur fragmentarische Interessen und Grundsätze gegenübergestellt, womit sich die Autoren, ohne dies im eigentlichen Programmvorschlag nur annähernd weiterzuverfolgen, als Sozialismus-Geg- nerrklar deklarieren. KOK»Ä SWM« J

Versucht man, nach .«ingehender Lektüre den Programmvorschlag einer tendenzmäßigen Wertung zu unterziehen, ist man sich nicht ganz im klaren, ob hier ein neuer Links-Uber- holversuch im Gange ist. Dafür sprechen manche Formulierungen zu den Themen Gleichheit, Einkommensverteilung oder auch Gesundheit. Möglicherweise sind die Dinge aber auch ganz bewußt recht „heiß“ formuliert, um so die Diskutierfreude in CV-Kreisen anzuspomen. Recht in teressant mutet die Aufgliederung des Diskussions Vorschlages an, der sich in zwei Teilen präsentiert. Den ersten Teil bildet die Darstellung der Wertvorstellungen mit den traditionellen Spannungsfeldem Gleichheit und Freiheit an der Spitze und daran anschließenden Ausführungen über „Transzendenz“ und „Ethik des Lebens“, wie ja insgesamt eine sehr starke transzendentale Komponente aufscheint.

Der zweite, eher operationale Teil steht unter dem Titel „Bedürfnisse“, die von der Gesundheit bis zur Gestaltung der Arbeits welt und zur Versorgung mit materiellen Gütern führen. Bezüglich dieses zweiten Teiles lehnen die Autoren das Postulat des „absoluten Wissens ob der gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse“ ab, der zusammengestellte Bedürfniskatalog entspreche vielmehr den „subjektiven Anschauungen“ breitester Schichten.

Nun ein paar Diskussionspunkte:

• Gleichheit: Einserseits wird hierein auffallend leistungsbezogener

Gleichheitsbegriff vertreten, zumal die angeborenen Fähigkeiten des einzelnen sowie seine Leistungsbereitschaft als Maßstab für die ihm zukommenden Lebenschancen angesehen werden. Dieses Gleichheitsprin- zip gelte nicht nur für die Lösung sozialer Konflikte, sondern auch für den Süd-Nord-Dialog. Eine Seite weiter heißt es jedoch, Entwicklungshilfe dürfe nicht als Hilfe für die eigene Wirtschaft mißverstanden werden, sie müsse vielmehr selbstlos die ei- genstandigę Entwicklung der betroffenen Länder fördern.

• Sozialpolitik: Zuerst wird das Gießkannenprinzip abgelehnt, Sozialleistungen müßten auf spezifische Bedarfssituationen abgestellt sein. Dann kommt es aber recht provokant: ,Die staatliche Unterstützung soll nur dort und nur insoweit eingreifen, als es der einzelne nötig hat.“ Gemeint ist mit dieser Formulierung, daß etwa Gratisschulfahrten, Gratisschulbücher oder auch Heiratsbeihilfen npr denjenigen zustehen sollen, „die sich diese Dinge aus eigener Kraft nicht leisten können“. Als Argument, daß ab einer gewissen Einkommensgrenze auf diese Sozialleistungen kein Anspruch mehr bestehe, dient das Subsidiaritätsprinzip. Kein Zweifel, das dürfte jene Formulierung sein, mit der man im CV am wenigsten Freude haben wird, zumal damit die Gefahr besteht, daß jede Leistungsbereitschaft ins Gegenteil pervertiert wird.

• Freiheit: Der Mensch wird als Geschöpf Gottes und damit diesem und seinem Mitmenschen für sein Leben verantwortlich begriffen. Stichwort: Verantwortete Freiheit. Als Voraussetzung für den Freiheitsbegriff wird die Gleichheit angesehen. Problematisch werden die Thesen zur Freiheit allerdings dort, wo es heißt, der Staat müsse die Freiheit respektieren, er dürfe nur dort eingreifen, „wo sich der einzelne bereits asozial verhält, und nicht schon dort, wo er sich asozial verhalten könnte“.

Unter einem anderen Aspekt ist von der materiellen Güterversorgung und vom „lieben Geld“ die Rede. Hier heißt es, die Grenzen privater Güterakkumulation müßten bei der eigenen Benützungsmöglichkeit liegen. Eine These, die sicherlich auch auf lebhaften Widerspruch stößt.

• Mitbestimmung: Hier scheinen die Formulierungen durchaus auf der Linie der programmatischen Aussagen des Arbeitnehmerflügels der ÖVP zu liegen. Im Vordergrund steht die funktionelle Mitbestimmung, die nach der Betroffenheit und nicht etwa nach der Befähigung zum sachlichen Urteil bemessen werden soll.

• Demokratie: Hier tauchen einige recht bemerkenswerte Vorschläge auf: Offenbar auf Grund der Erfahrungen mit dem Volksbegehren der Aktion Leben soll das Volksbegehren gestärkt werden, ab einer gewissen Unterschriftenanzahl sollte das Parlament den Gesetzesantrag nur mehr annehmen oder mit qualifizierter Mehrheit ablehnen können. Das herrschende Verhältniswahlrecht erscheint den Autoren zu starr, weshalb ein Persönlichkeitswahlrecht vorgeschlagen wird, das dem erfolgreichen Abgeordneten gegenüber seiner Partei eine stärkere Position verleihen würde. Schließlich wird noch eine verbindliche Vorwahl verlangt.

Im Bedürfnis-Katalog der Diskussionsgrundlage mutet das Verlangen nach partnerschaftlichem Zusammenwirken zwischen Patienten, Ärzten und Pflegepersonal etwas utopisch an, ein klares Bekenntnis zur Familie entspricht durchaus den Er-

• Wartungen, was wiederum, von den Vorschlägen über die Neueinstufung des Arbeitswertes unter Berücksichtigung der Befriedigung durch den Arbeitsprozeß (SPÖ-Programmvor- schlag: Umkehr der Entlohnungspyramide) gar nicht behauptet werden kann.

Gesamteindruck: Ein provokanter, wirklich diskutierenswerter Diskussionsvorschlag, der die Preisgabe mancher Tabus und viel Zündstoff mit sich bringt.

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