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Intensivkost hilft bei Zuckerkrankheit

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Nicht so hoch wie bei Krebs, aber doch erschreckend, ist die Zahl der Sterbefälle an Diabetes, der Zuckerkrankheit. Allein mit rund 2000 Toten im Jahr in Österreich fordert dieses heimtückische Leiden mehr Opfer als der Straßenverkehr.

Doch was sind nun die Ursachen dieser Krankheit? Alle Organe und alle Zellen unseres Organismus erhalten ihre Energie durch die Glukose, den Blutzucker. Dieser wird vom Körper stufenweise abgebaut, bis zur Freisetzung von Kohlendioxyd und Wasser. Ähnlich einem Elektrogerät, welches eine bestimmte Spännung zum einwandfreien Betrieb benötigt, bedarf unser organischer Haushalt eines genauen Zuckerspiegels, um richtig zu „funktionieren“. Ist dieser Zuckerspiegel jedoch gestört, zu hoch oder niedrig, so kommt es durch diese ungenügende Energieversorgung zu Folgeerscheinungen wie aggressives Verhalten, Gewichtsabnahme, Kreislaufkollaps, Heißhunger oder Appetitverlust, Blindheit, Zuckerbrand (Amputation) bis zum Tod. ,

Unser Organismus verfügt aber über ein gut funktionierendes Meß- und Regelsystem. Die Hirnanhangdrüse als übergeordnete Zentrale kontrolliert fortwährend den Energiebedarf und die Blutzuckerkonzentration und gibt ihre Informationen an die Inselapparate der Bauchspeicheldrüse, die wiederum bei Bedarf Insulin abgibt. Dieses bewirkt im Blutkreislauf die Senkung des Zuckerspiegels und erhöht somit die Zuckerverwertung in den Zellen. Ist der Zuckerspiegel jedoch zu niedrig, wird das Hormon Glukagon produziert und zusammen mit dem „Streßhormon“ Adrenalin aus der Nebenniere in Blutzucker umgewandelt.

Der benötigte Zucker gelangt durch die tägliche Nahrungsaufnahme in den Organismus. Daß diese aber nicht mehr der natürlichen „Urnahrung“ entspricht, ist bekannt. In der Natur kommen Kohlehydrate (Zucker) nur in schwachen Konzentrationen vor, so in Obstfrüchten, wie Trauben, Erdbeeren, Zitrusfrüchten. Diese geringen Mengen reichen für unseren Organismus vollkommen aus; jede zusätzliche Zuckereinnahme löst im Körper einen Insulinstoß aus. Auch dieser hat Folgen; es tritt Unterzucker auf, was wiederum Zuckerverlangen hervorruft.

Eine logische Folgerung ist: der Zuckerkranke (und nicht nur dieser) soll mit seiner Nahrung so wenig wie möglich Kohlehydrate aufnehmen. Darauf beruht auch die heutige Diabetikerdiät: viel Eiweiß, wenig Kohlehydrate.

Nun galt bisher als Lehrmeinung, daß Eiweiß im Organismus nicht gespeichert werden kann, überschüssiges Eiweiß werde unter Erhöhung des Stoffwechselgrundumsatzes „verbrannt“. Der Frankfurter Internist Prof. Lothar Wendt entdeckte nun im menschlichen Organismus einen Eiweißspeicher, und zwar in der Basalmembran der Blutkapillaren, der Wand der kleinen Blutgefäße. Dieser Speicher hat die sinnvolle Aufgabe, die täglichen Schwankungen der Eiweißzufuhr auszugleichen.

Ein Schwarzwälder Zahnarzt, Dr. J. G. Schnitzer, berufsmäßig mit Karieserkrankungen und dadurch auch mit Ernährungsfragen konfrontiert, begann Untersuchungen, um der menschlichen Urnahrung auf die Spur zu kommen. Es stellte sich heraus, daß der Mensch ein Früchteesser ist. Dies bedeutet, daß die ursprüngliche Hauptgrundlage der menschlichen Ernährung Gräsersamen, Getreide, Wurzelknollen und Blattschößlinge bildeten. Auf Grund dieser Erkenntnis begann Schnitzer eine „zivilisierte Urnahrung“ zu entwickeln, die den heutigen Gewohnheiten und Ansprüchen angepaßt ist

Ein Zufall kam zu Hilfe: Im Herbst 1977 wurde einem Diabetiker nach langem Krankenhausaufenthalt erklärt, daß er in wenigen Tagen sterben müsse, wenn nicht sein vom Zuckerbrand befallenes Bein binnen 24 Stunden amputiert werde. Der Patient verweigerte die Amputation und begab sich zu Dr. Schnitzer, der mit Dr. Meixner (Villingen/Schwarzwald) die Behandlung mit Intensivkost aufnahm. Der Erfolg war verblüffend: Nach drei Tagen war sicher, daß das Bein gerettet war, die Blutzuckerwerte sanken so ab, daß die senkenden Mittel reduziert werden konnten.

Diese Behandlungsmethode, Diabeteserkrankte mit Hilfe der Intensivkost zu heilen, wurde nun erstmals in Österreich vorgestellt. Geplant sind Seminare für Ärzte, Diätassistenten und auch Diabetiker. Es wird allerdings lange Anläufe benötigen, um die organisatorischen Schwierigkeiten zu beseitigen -, aber auch die ersten Erfolge sind abzuwarten.

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