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Internatsleben im Kreuzfeuer

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Wenn wir in unserem Internatsleben Gelegenheit gehabt hätten, bedürftige Personen zu unterstützen, alten Menschen Hilfsdienste zu leisten oder Sammelaktionen für Katastrophenopfer durchzuführen, wäre die Kirche heute für mich . um einiges glaubwürdiger", stellt ein 25jähriger Ex-Seminarist fest. So aber bleibt in vielen Internatsschülern das negative Bild haften, daß zu viel über christliche Verhaltensregeln gesprochen, jedoch zu wenig für die Mitmenschen in Not getan wird.

Pater Jeremia Eisenbauer von Stift Melk, der als Erzieher seit zwölf Jahren Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen hat, bestätigt die Kritik mancher Zöglinge: „In vielen Internaten, vor allem in bischöflichen Seminaren, wird zu stark an religiösen Formen und Äußerlichkeiten festgehalten. Das soziale Engagement, die eigentlich sinngebende Aufgabe "des Christen in dieser Welt, kommt dabei zu kurz. Für so manchen Jugendlichen geht dadurch der Sinn seines religiösen Lebens verloren."

Am Erziehungsstil einiger Internate liegt es auch, wenn die Zöglinge oft keine Identifikation mit der Kirche mehr finden. Durch den starren PfMchtenrah-men und die aufgedrängten und vorgegebenen Meinungen, die „ein braver Christ haben sollte", werden junge Leute oft sehr abgeschreckt. Das kann so weit gehen, daß sie nach ihrer Internatszeit nichts mehr mit der Kirche zu tun haben wollen. Schuld trägt dabei wieder einmal nicht die Institution an sich, sondern die Menschen, die diese bilden — in diesem Fall ein Teil der Jugendbetreuer.

„Von den jungen Menschen wird oft gänzliche Einfügung und Unterordnung verlangt. Eigene Vorstellungen und Gedanken der Schüler können kaum geäußert und schon gar nicht verwirklicht werden. Häufig würde schon allein die Möglichkeit der Mitbestimmung viele Zöglinge versöhnen — egal, ob es um die Gestaltung eines einfachen Tischgebetes geht oder um den Ablauf eines Exerzitiums. Sobald sich der junge Mensch miteinbezogen fühlt und weiß, daß er mit seinem Einsatz etwas verändern kann, erscheint die Aufgabe für ihn loh-nenswert."

Zu dieser Erkenntnis kommt Pater Jeremia in seiner Dissertation, in der es um die Entwicklung von Jugendlichen in kirchlichen Internaten geht. Der Erzieher hat zu diesem Zweck über 500 Oberstufenschüler befragt. Das negative Ergebnis liegt auf der Hand:

• Vielen Burschen gelingt es nicht, ein natürliches Verhalten zur Frau zu finden. Denn in vielen kirchlichen Erziehungsstätten ist der Umgang, geschweige denn die Freundschaft mit einem Mädchen äußerst unerwünscht.

• Durch die Zurückgezogenheit im Seminar werden viele Zöglinge entmutigt, ihre Sprachgewandtheit zu erproben und zu schulen. Dies ist gerade für den Beruf eines Priesters sehr nachteilig.

• Zuletzt darf nicht außer acht gelassen werden, daß das Internat den Schüler seiner Familie entfremdet. In vielen kirchlichen Heimen ist es Brauch, die Insassen nur im 14-Tage-Rhythmus nach Hause fahren zu lassen.

So veryundert es kaum, daß 20 Prozent aller Internatsschüler dem Glauben zumindest vorübergehend ade sagen. Trotzdem haben fast vier Fünftel eine positive Einstellung zur Religiosität. Diese überraschende Feststellung ist der Fragebogenerhebung zu entnehmen, die Pater Jeremia im Rahmen seiner Untersuchung an fünf bischöflichen Seminaren, drei anderen kirchlichen Internaten und zwei Vergleichsgruppen externer Schüler durchführte. Dabei kam folgendes heraus: Den sonntäglichen Gottesdienst besuchen Jugendliche vorwiegend deswegen, weil ihre Eltern es wünschen (24,1 Prozent). Erst an - zweiter Stelle steht der Wunsch, mit Gott in Verbindung zu treten (20,1 Prozent) oder die Auffassung, als Christ zum Gottesdienst verpflichtet zu sein (20,1 Prozent).

Hingegen sind 73 Prozent überzeugt, daß Beten für sie persönlich wichtig ist, obwohl äußerst wenige Befragte von sich behaupten, sehr religiös zu sein. Und schließlich möchten auch viele von denen, die nicht entschieden für religiöse Riten eintreten, ihre Kinder einmal im Glauben erziehen.

Allein aus dieser Statistik wird ersichtlich, daß nicht alle Internate über einen Leisten gebogen werden dürfen.

Im Stift Melk werden beispielsweise viele Aktivitäten gesetzt, um das soziale Engagement in den Vordergrund zu rücken. So existieren eine Fastengruppe oder regelmäßige Alt- und Jung-Treffs. Das Ziel dieser Erziehungsarbeit faßt Pater Jeremia zusammen:

„Kritisch und selbstkritisch sollen unsere Kinder in die verschiedenen Bereiche ihrer Umwelt eindringen. Nur so kann ein mündiges, verantwortungsbewußtes und gemeinschaftsbezogenes, das heißt kirchliches, Christentum voll zum Tragen kommen."

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