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Intransparente Transparenz?

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In der amtlichen „Wiener Zeitung“ erschien eine „Kundmachung des ORF“, welche „Richtlinien für Berichtigungen“ in Kraft setzt, die ab

1. Juli 1971 „für alle Bereiche des ORF Gültigkeit haben“ und daher „der Öffentlichkeit mitgeteilt werden“.

In fünf Abschnitten wird eine Begriffsbestimmung samt den üblichen Modalitäten dargeboten, alles in recht gesetzgeberischem Ton und auf den ersten Blick hin auch recht einleuchtend.

Der zweite Blick stimmt dann schon kritischer. Denn da werden Begriffe beschrieben und Voraussetzungen hergestellt, die dem ohnedies sehr freizügig arbeitenden Medium alle jene Entscheidungs- und Ermessensfreiheiten garantieren, die es für andere Massenmedien nicht gibt. So, wenn eine „Tatsachenbehauptung“ des ORF nur berichtigt werden kann (und muß), wenn sie sich als „objektiv unrichtig“ erweist. Doch wer entscheidet über diese „objektive Unrichtigkeit“? Natürlich der ORF selbst. Er wird also zum Richter in eigener Sache’.

Die Berichtigung kann auch nur für „objektiv feststellbare Tatsachenbehauptungen“ begehrt werden, „die auch andere Personen als der Berichtigungswerber objektiv zu überprüfen vermögen“, ein krauser Satz, der gewissenhaften Juristen angesichts der Tatsache, daß auch diese Causa nicht von einem Richter, sondern vom ORF entschieden wird, die Haare zu Berge stehen lassen muß. Schließlich muß der Antragsteller ein „berechtigtes Interesse“ nach- weisen können, das nur dann zieht, wenn auch eine „wesentliche negative Beeinflussung der Intimsphäre des Berichtigungswerbers herbeigeführt wurde“. Alles reichlich Kautschuk! Und alles der eininstanz- lichen Entscheidung des ORF überlassen. Daß der „ORF berechtigt ist, die Berichtigung entsprechend (?) zu redigieren“, versteht sich da fast schon von selbst, Berufungsinstanz gibt es keine. Und natürlich hat sich der ORF von dem Unsinn befreit, der pressegesetzlich darin besteht, daß etwa Zeitungen immer noch Behauptungen berichtigen müssen, die nicht sie aufgestellt haben, sondern zum Beispiel Parlamentsabgeordnete in einer öffentlichen Haussitzung usw.

Der Rundfunk ist eines der gewaltigen Massenmedien unserer Zeit, auch dann noch, wenn er sich darin andauernd überschätzt oder überschätzt wird! Es ist daher eine arge

Groteske, wenn es für weit weniger wirksame Medien tatsächlich un- gemein veraltete, zensurartige und schikanöse Gesetze gibt, für den Rundfunk aber keine. Aus unerklärlichen Gründen hat sich der gesetzgeberische Eifer, der sich aller Pressegesetze bemächtigt hat und der jüngst sogar zwei äußerst umstrittene „Transparenz“-Novellen ausspie, mit dem Einbau des ORF in diese Gesetzesmaterie noch immer nicht beschäftigt.

Die „Transparenz“-Novellen sollen die Zeitungen und Verlage zwingen, auch ihr wirtschaftlich und organisatorisch „Innerstes“ vor aller Augen freizulegen. Sie engen die Rechte der Verlage und Herausgeber bewußt ein, vergrößern aber deren Pflichten und Verantwortlichkeiten; sie geben den Redakteuren und Journalisten vermehrte Rechte, wälzen aber die daraus erwachsenden Verantwortlichkeiten, Pflichten und einen Großteil möglicher Folgen wiederum auf Herausgeber und Verleger ab. Zudem enthalten sie Bestimmungen über wirtschaftliche „Offenlegungen“, die sich mit Sicherheit negativ auswirken werden. Novellen. wie sie tagespolitische Ereignisse der Justiz abgefordert haben, emotionsgetränkt und daher zu pessimistischen Überlegungen anreizend.

Aufreizend ist, daß der ORF in all diesen Fragen quasi ex lex lebt — und sich, der öffentlichen Schamhaftigkeit wegen, seine „Gesetze“ selbst machen darf. Gut, er müßte nicht einmal das tun — bestünde nicht viel Grund zu der Annahme, daß er es in stillem Einverständnis allein zu dem Zweck (und seinem Vorteil wahrend) getan hat, die Ex- lex-Situation sorgsam zu bemänteln.

Über die Notwendigkeit der „Transparenz“-Gesetze dürften deren geistige Väter — die nicht im Justizministerium wirken! — bei einigermaßen vernünftigem Nachdenken heute bereits anderer Meinung sein als in jenen stürmischen „Express“-, „Pressehaus“-, „Kronen- Zeitung“- und Olah-Tagen, da man sie gleichsam als Blitzableiter herbeizauberte. Hingegen weiß der Kenner, daß bezüglich einer tatsächlichen Neufassung der Presse- und Journalistengesetze im Justizministerium durchaus positive Bemühungen im Gange sind. Freilich solche, denen einmal von da, dann wieder von dort seit mehr als zehn Jahren in den Arm gefallen wird. So ergibt sich ein gewisses „Dschungelklima“, in welchem dann „Kundmachungen“ sui generis aufblühen können, die einer in eigener Sache erläßt.

Das mag sehr vielen Bürgern relativ unwichtig erscheinen. Sie mögen sich auch damit zufriedengeben, daß der ORF sich sozusagen freiwillig Richtlinien unterwirft, die er allerdings selbst aufgestellt hat. In der Tat aber ist ein Gemeinwesen allerhand Gefahren ausgesetzt, wenn es just jene Kommunikationsmaschinerie legistisch sich selbst überläßt, von der allgemein behauptet wird, sie sei die wichtigste und wirksamste. Wenn dann diese Apparatur auch noch Monopol auf den Äther besitzt und dieses Monopol dem Staat gehört, also wesentlich ein Staatsmonopol ist, dann beschleicht einen Unruhe. Diese Unruhe ist auch schon deswegen am Platz, weil ja das Staats-Äther-Monopol mit einer „gesetzlichen Grundlage sui generis“ und einem ursächlich parteipolitischen Aufsichtsstatut zugleich die gefährliche Konkurrenz der privaten Medien ist, ob diese nun unabhängig oder politisch richtungsgebunden wirken.

Im Lichte solcher Zustände weckt die Initiative, der jene „Richtlinien- Kundmachung“ zu danken ist, nicht Befriedigung, sondern Mißbehagen. Weil aber in Österreich nichts länger lebt als die schlampigsten Improvisationen, besteht die Gefahr, daß hier eine „Dauerlösung“ geschaffen wird, die alsbald, wenn auch außerhalb der geltenden Gesetze stehend und mit dem Grundsatz aufräumend, daß niemand Richter in eigener Sache sein soll, zu einem „geltenden Recht besonderer Art“ wird. Das aber diente weder der vielbesprochenen „Transparenz“ noch der so hochgelobten „Demokratisierung“ und schon gar nicht der reihzuhaltenden „Rechtsstaatlichkeit“, sondern bestenfalls der Macht der jeweiligen Gruppe, die das Monopol im Griff hat und es „managt“.

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