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Iraks zerstreute Illusionen

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Das historische Siegeszeichen des britischen Premiers im Zweiten Weltkrieg auf dem Bagdader Tahrir (Freiheits-)Platz gibt heute zu verschiedenen Uber-legungen Anlaß.

Kann die Darstellung des Winston-Churchill-Grußes als Versöhnungsgeste an die angelsächsische Welt ausgelegt werden? Soll die Montage veranschaulichen, daß die irakische Baath-Partei Saddam Husseins darangeht, ihre persisch-zionistisch-syrischen Feinde zu überwinden?

Im Lande, das erst vor kurzem begonnen hat, sich gegenüber der westlichen und europäischen Welt zu öffnen, wird Englisch neuerdings wieder groß geschrieben. Englisch wird als erste Kommunikationssprache mit der Außenwelt schon deshalb studiert — und zwar in allen Unterrichtsstufen -, weil sich die Iraker nur auf diese Weise mit den 3,5 Millionen Gastarbeitern verständigen können, die" bei einer 14-Mülionen-Bevölkerung für die fieberhafte Aufbautätigkeit ins Land geholt worden sind. Malaysier, Pakistanis, Thais, Philippinos verstehen kein Arabisch wie die ebenfalls in Massen anwesenden Ägypter.

Ideologisch ist man „nicht auf Amerika, sondern auf die amerikanische Regierung solange böse, als sie fortfährt, die regionale Zio-nisten-Politik diplomatisch, finanziell und militärisch bedingungslos und uneingeschränkt zu unterstützen", erklärt der Informationsminister Lateef Naseef Jassim.

Anläßlich seiner jüngsten Nahostreise hatte US-Außenminister Alexander Haig — ebenso wie schon zuvor — Fühler nach Bagdad ausgestreckt. Ergebnislos.

Was den bislang nun schon 18 Monate lang dauernden Krieg mit dem Iran betrifft, erstellte ein irakisches Armeecommunique für die Perser folgende Verlustbilanz: 80.000 Tote, 4000 vernichtete beziehungsweise erbeutete Militärfahrzeuge, 2900 Panzer, 1400 Material- und Munitionsdepots, 765 Flugzeuge und 638 Truppentransportfahrzeuge.

Die Kontrolle beiderseitiger Kriegsberichte ist schwer möglich. Immerhin gestattet der Irak den Besuch verschiedener heiß umkämpfter Frontabschnitte und persischer Kriegsgefangener im Irak.

Das Artilleriefeuer des beiderseitigen Stellungskrieges im Raum von AI Ahwaz geht anhaltend über die bislang ungeborgenen Leichen hinweg: durch das Fernglas klar erkennbare Kindergesichter, oft auf dem Rücken liegend, mit offenen Augen zum Himmel gerichtet. Der Abschnittkommandant, ein Oberst, erklärt nüchtern: „Immer mehr Jahrgänge 1965 und danach."

Uber 2000 Straßenkilometer in der Nord-Süd-Achse des Irak erwecken heute den Eindruck, daß die iranische Luftwaffe bereits ausgefallen ist: Die Verdunklungsmaßnahmen sind maßgeblich gelockert. Die schwere Perser-Artillerie scheint auch nicht mehr viel zu bestellen zu haben.

Gesprächsweise meinen irakische Frontoffiziere zuversichtlich, daß Teheran bald die Puste ausgehe und daß sich Bagdad sodann dem Geschehen in und um Palästina zuwenden werde: Wohl nur ein frommer Wunsch — angesichts jüngst berichteter iranischer Erfolge an der Front.

Im Kriege gegen Persien hat das Saddam Hussein-Regime letzthin panarabische sowie auch türkische Schützenhilfe bekommen. Freiwillige aus elf Moslem-Staaten kämpfen im Verband der irakischen Armee, und der Türken-Premier Uluzu hat soeben in Bagdad eine enge Allianz unterzeichnet. Sie öffnet dem Irak den freien Land-, Luft- und Seeweg nach dem Westen hin, während Kuweit dasselbe in Richtung Arabischer Golf gewährleistet.

Am Anfang seines 14jährigen Bestandes neigte das irakische Regime zum revolutionären Drang, zum Ostblock-Sozialismus und zum Antikolonialismus der Dritten Welt. Neuerdings ist es ein Herz und eine Seele mit den Monarchien Marokkos, Jordaniens und Saudi-Arabiens. Es stellt die kommunistische Zellenbildung und die sowjetischen Unterwanderungsversuche der Armee (1979) bloß und huldigt dem Anti-Kolonialismus nicht mehr in dem Maße.

Daß der Kreml über Nordkorea den Iranern Schützenhilfe bot, vergrämte den Irak ganz besonders und zerstreute die noch verbliebenen Illusionen hinsichtlich der Kreml-Brüderlichkeit.

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