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Iran im Rückspiegel

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Iran brennt. Der Pfauenthron wankt. Der Schah hat -für immer? - das Land verlassen. Wie ist es dazu gekommen? Der Vorstand des Instituts für Religionswissenschaft der Universität Graz, ein hervorragender Kenner des Islam und Iran, hat für die FURCHE einen zeitgeschichtlichen Überblick geschrieben.

Im Jahr 1890 wurde vom damaligen Schah den Engländern das Tabakmonopol für Persien zugebilligt. Andere Konzessionen an ausländische Mächte waren bereits vorausgegangen: Ausnutzung der Bodenschätze, Bau von Fabriken und Eisenbahnen, Errichtung von Kanälen und Bewässerungsanlagen, Holzverwertung, und schließlich das gesamte Bankwesen. Dies alles lag praktisch in den Händen von Ausländern, von „Fremden“.

Das Ende des vorigen Jahrhunderts kann man daher als den völligen Ausverkauf Persiens kennzeichnen. Als nun auch das Tabakmonopol vom Schah vergeben wurde, kam es zur ersten innenpolitischen Revolte Von Samara im heutigen Irak aus erließ ein Mudschtahid (das ist ein „kirchlicher“ Rechtsgelehrter, der bindende Entscheide treffen kann) einen Bescheid, wodurch den Gläubigen der Genuß von Tabak solange verboten wurde, bis der Schah die Tabakkonzession zurückgenommen habe.

Der Aufruf wurde von den Mullahs (wörtlich „Gelehrte“, übertragen: islamische Geistliche) in Persien begeistert aufgenommen. In den religiösen Zentren Schiraz, Isfahan und Täbris wurde die Revolution unter religiösen Vorzeichen durchgeprobt. Der Schah mußte das vergebene Tabakmonopol zurücknehmen. Die Pfeife konnte wieder angezündet werden. War es eine Friedenspfeife?

Um den Absolutismus zu brechen, gesellten sich zu den religiösen auch die nationalen Widerstandskräfte. Der Korruption in der Regierung, den sozialen Mißständen und vor allem der Fremdenherrschaft wurde der Kampf angesagt. Westliche Ideen drangen allmählich in die Intelligenz-Schichten ein.

Am 30. Dezember 1906 wurde die Verfassung promulgiert. Sie hatte nur eine kurze Lebensdauer. Abgesehen davon, daß sich die im Kampf gegen den Schah geeinten Kräfte im Parlament bald zerstritten, mischten auch außenpolitische Kräfte mit. Auf der 1907 getroffenen anglo-russi-schen Konvention wurde Persien in zwei Einflußsphären aufgeteilt. 1908 sah sich der Schah gezwungen, das Kriegsrecht über Teheran auszurufen und das Parlament aufzulösen.

Weniger bekannt dürfte sein, daß Persien im ersten Weltkrieg Kampffeld der Türken, Russen und Engländer war. Am Ende des Krieges glich das Land einem einzigen Chaos. In Gilan, der fruchtbaren Provinz am Kaspischen Meer, wurde sogar eine bolschewistische Republik ausgerufen. In dieser trostlosen Situation begann Reza Kan, Kommandant der Kosakenbrigade, sein Aufbauwerk mit dem Ziel, Iran in einen von Fremdmächten unabhängigen, national starken und modernen Staat umzuwandeln.

Er dachte zunächst daran, die Monarchie abzuschaffen und die Republik auszurufen. Doch diese Idee mußte er unter dem Druck der Opposition der schiitischen Culamas aufgeben. Ahmed, der letzte Schah der Kadscharendynastie, wurde abgesetzt, Reza Kan 1925 zum neuen Kaiser ausgerufen und 1926 gekrönt.

Die Reform unter Reza Schah

Vor dem Regierungsantritt Rezas war Persien ein islamisch-mittelalterlicher Staat. Wie konnte der Schritt in die Moderne gewagt werden? Vom Militär kommend, reorganisierte Reza die Armee und gab zwischen 1921 und 1941 ein Drittel des Budgets für den Ausbau des Militärs aus.

Obwohl Reza nicht der intellektuelle Typ eines Atatürk war, schlug er aus praktischem Verstand ähnliche Wege ein. Das bislang geltende islamische Recht der Scharia genügte den Anforderungen einer modernen Gesellschaft nicht mehr. Daher

wurde 1928 nach Westlichen Vorbildern das neue Zivilrecht promulgiert und der Einfluß des Islam aus Rechtssprechung und Verwaltung ausgeschaltet.

Um eine neue geistige Elite heranzubilden, wurde 1935 die Universität in Teheran gegründet. Auf wirtschaftlichem Gebiet wurde der Einfluß der Ausländer schrittweise zurückgedrängt. Da Reza diese Reformen beim ständigen Widerstand der reaktionären Kräfte unmöglich über ein Parlament hätte durchführen können, wurde seine Regierungsform immer despotischer. Da er schließlich im Zweiten Weltkrieg auf die Karte Deutschlands gesetzt hatte, marschierten sowjetische und britische Einheiten in Persien ein.

Der Schah mußte am 25. August 1941 abdanken. Er begab sich nach Johannesburg ins Exil, wo er 1944 starb.

Die Unfähigkeit der Parteien

Der junge Schah Muhammad Reza befand sich bei seinem Regierungsantritt in einer wenig beneidenswerten Lage. Wegen der zentralistischen und absolutistischen Regierungsweise seines Vaters fehlte die gebildete Mittelschicht, die eine Reform hätte tragen können. Dazu erwachte der religiöse Widerstand mit neuer Kraft.

1942 gründete Ajat-Allah-Kashani die Bewegung der Fida' ijjan-i-Islam, der „Erlöser des Islam“, eine extrem religiöse Gruppe, die auch vor Terror nicht zurückschreckte. Dazu kam seit 1942 die linksextreme kommuni-

stisch ausgerichtete Tudeh-Partei, die mehr an Kommunismus als an Persien dachte. Unter ihrer Führung wurden 1945 die Provinzen Azarbajd-schan und Kurdistan als autonome Volksrepubliken ausgerufen. Sie konnten sich aber nur bis zum Abzug der russischen und englischen Truppen 1946 halten.

Die Tudeh-Partei erholte sich jedoch rasch von dieser Schlappe und verstärkte ihre Angriffspolitik gegen den Schah und das bestehende System. Doch als 1949 ein Mitglied dieser Partei ein Attentat auf den Schah verübte, wurde sie aufgelöst und das Kriegsrecht verhängt.

Mit der Gründung der „Nationalen Front“ durch Dr. Muhamed Mussadik kam ein neues Ferment in die Innenpolitik Irans. Diese Partei war ein Konglomerat voll innerer Gegensätze. Die Nationale Front erfaßte die im Ruf des Neofaschismus stehende Sumka ebenso wie die radikalen „Erlöser des Islam“, dazu auch den konservativen Bürgerblock und die radikalen Intelligenzschichten. Das einzige Bindemittel war: Fremdenhaß und Angst vor einer neuen Diktatur.

Der junge Schah ließ 1950 die der Krone gehörenden Ländereien an selbständige Bauern verteilen, doch die anderen Großgrundbesitzer und auch die Schiitische „Kirche“ waren nicht gewillt, diesem Beispiel zu folgen. Der Premierminister Ali Raz-mara wurde 1951 von einem Mitglied der Fida'ijjan ermordet.

Nun schien die Stunde für Dr. Mussadik gekommen, der am 19. April 1951 zum Ministerpräsidenten ernannt wurde. Sein erster Angriff galt der Herrschaft der Fremden: Verstaatlichung der ölproduktion, Beschlagnahme der Anglo-Iranian Oil Company. Aber da hörten die Ein-

nahmen aus dem 01 praktisch zu fließen auf und die Staatskassen leerten sich. Das „negative Gleichgewicht“ der nationalen Front geriet ins Schwanken, sobald Mussadik die Agrarreform durchführen wollte.

Der Widerstand kam aus seiner eigenen Partei. Um sich trotzdem an der Macht zu halten, löste er 1952 den Senat (Oberhaus) und ein Jahr darauf auch das Parlament auf. Als der Schah Mussadik absetzte, nahm dieser seine Absetzung überhaupt nicht zur Kenntnis; vielmehr mußte der Schah das Land verlassen. Die verbotene kommunistische Tudeh-Partei konnte sich wieder in Teheran installieren.

Nach seiner Rückkehr aus dem Exil im November 1953 traf Schah Mohammed Reza Pahlevi eine verworrene Lage an. Außenpolitisch gelangen ini einige Erfolge: der ölstreit wurde 1954 in einer für Iran günstigen Weise beigelegt. 1955 trat der Iran dem westlichen CENTO-Pakt bei. Innenpolitisch war der Schah entschlossen, die Zügel der Regierung fester als in der Zeit vor Mussadik in die Hand zu nehmen.

Nach sieben Jahren verhältnismäßiger innerer Ruhe versuchte der Schah eine Repolitisierung des öffentlichen Lebens. Die „Nationale Front“ konnte sich neu formieren; doch der Traum von einer kontrollierten Demokratie zerrann bald in nichts. Die Wahlen 1960 und 1961 waren mit derartigen Ausschreitungen verbunden, daß der Schah das Parlament wieder auflöste. Mehr als zwei Jahre regierte er nur durch Dekret.

Schließlich wurde auf seine Anregung die Nationale Einheitspartei gegründet. Trotz der schweren Unruhen im Juni 1963 schrieb der Schah im September Neuwahlen aus, die

die Nationale Front boykottierte. Die Neue Einheitspartei errang einen überwältigenden Sieg, nicht zuletzt wegen des neu eingeführten Frauenwahlrechtes. Zum erstenmal in der Geschichte des Iran zogen sechs Frauen ins Parlament ein - für die extremen Schiiten ein öffentlicher Skandal! Daher hörten die Gewaltakte von dieser Seite nicht auf. 1964 wurde wieder ein Attentat auf den Schah verübt, 1965 Premierminister Hasan Ali Mansur von einem Mudschtahid ermordet.

Die „Weiße Revolution'

ein Fehlschlag?

„Solange die Ausbeutung von Menschen durch Menschen besteht, sind Hunger, Armut und Unwissenheit und eine Vielzahl anderer Übel nicht auszurotten.“

„Es sind die Schwachen und Hilflosen, auf deren Rechten man herumtrampelt. Dem müssen wir ein Ende machen!“

„Ich sah Millionen guter Menschen bei harter Arbeit und habe mitansehen müssen, wie der Lohn für ihre Mühe in die ausgestreckten Hände von Parasiten fiel.“

Diese und ähnliche Sätze konnte man im iranischen Rundfunk ungestört hören. Von wem gesprochen? Vom unversöhnlichen Untergrund? Keineswegs! Es wteren Worte des Schah selbst, der sich als Revolutionär auf dem Thron betrachtete. Wie schaut die „Weiße Revolution“ im Rückspiegel aus?

1958 gründete der Schah den Pah-lavi-Fonds, um die Gnanzielle Basis für die Reformen zu schaffen. Diesem

Fonds überließ er die kaiserlichen Anteile aus dem ölgeschäft, und, wie man sagt, fast den gesamten von seinem Vater ererbten Privatbesitz.

Das Programm der „Weißen Revolution“ wurde nach dem Volksentscheid 1963 in Angriff genommen. Mehr als die Hälfte des nutzbaren Bodens gehörte damals Großgrundbesitzern, Feudalherren, Stammesfürsten, etwa 20 Prozent dem islamischen „Religionsfonds“.

Der Staat entschädigte die enteigneten.Besitzer und verteilte den Boden an landlose Bauernfamilien. Was bedeuten aber 15 Jahre für eine solche Radikalkur? Die „Enteigneten“ leben noch. Sie dürften keine Freunde des Schah geworden sein. Dieser „Reprivatisierung“ steht die Verstaatlichung aller Wälder und Weideflächen mit dem Ziel einer geplanten Aufforstung gegenüber.

Um auch an der Basis Gesellschaftsveränderung zu bewirken, wurden verschiedene „Armeen“ gebildet: die „Armee des Wissens“ für den Ausbau des Schulwesens, die „Armee der Gesundheit“, die „Armee der Entwicklung“ zur Einschulung der Bauern in die neue Wirtschaftsform.

Um den für eine Industrialisierung notwendigen Strom zu erhalten, wurden die großen Kraftwerke am Karadsch- und am Safidfluß im Elbursgebirge und am Dizfluß im Zagrosgebirge gebaut. Analog dazu entstanden große Industrieunternehmungen.

Es besteht also kein Zweifel darüber, daß die „Weiße Revolution“ greifbare Früchte getragen hat. Iran hat in dieser kurzen Zeit, übertrieben ausgedrückt, den Schritt vom Mittelalter in die Neuzeit getan. Ist das Ergebnis ein Zusammenbruch?

Religion war stärker

Aus dem „Blick in den Rückspiegel“ ist leicht zu erkennen, daß die Unruhen im Iran kein neues politisches Phänomen sind, daß aber der Umwandlungs- und Gärungsprozeß in unseren Tagen ein beunruhigendes Ausmaß angenommen hat. Wir stehen den turbulenten Ereignissen noch zu nahe, um ein sicheres Urteil fällen zu können. Daher beschränken wir unsere Diagnose auf Vermutungen.

Zunächst scheint der Schah die

Macht der Religion zu gering eingeschätzt zu haben. Sein Ideal stammt nicht aus der Zeit der islamischen Herrscher im Iran, sondern aus jener der altpersischen Achämeniden. Im Zug der Modernisierung wurde das „Kirchenrecht“, die Scharia, abgeschafft und so der Einfluß der muslimischen Geistlichkeit auf Schule, Eherecht und Strafrecht ausgeschaltet i

Die Schia hat sidh unter dem Schah-Regime propagandistisch gewandelt. Ihre Programmschriften für Freiheit, Fortschritt und Menschenrechte klingen (auch in bezug auf Frauenrecht!) durchaus modern. Dazu wird die Zusammengehörigkeit mit dem sunnitischen Islam, also eine muslimische Ökumene, stark betont.

Es darf nicht vergessen werden, daß ein Ajat-Allah eine sakrale, mystische Persönlichkeit ist. Das Wort bedeutet „Zeichen“ oder „Sohn Gottes“, da sich in ihm göttliche Funken inkarnieren. Seine Entscheide - man denke an Khumeini - haben daher göttliche Autorität, vor der die Autorität eines Schah in Nichts zerrinnt, Solche Anschauungen werden in 15 oder mehr Jahren Reform nicht aus der Welt geschafft, vielmehr nur verdrängt, und kommen dann um so stärker zum Durchbruch.

Ob sich die Millionen iranischer Frauen, die durch den Schah das Wahlrecht und die öffentliche Rechtsstellung erhielten, noch unter das Joch der Schia beugen werden, ist zweifelhaft. Genauso zweifelhaft ist auch, ob die Iranier hinter die schon gewonnenen wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften zurück wollen.

Die „Weiße Revolution von oben“ benötigte zur Durchführung ihrer Ziele einen großangelegten Apparat. Dazu gehört unter anderem der berüchtigte SAVAK, die Organisation für Nationale Sicherheit, die, wie in Altpersien, „Auge und Ohr des Königs der Könige“ sein sollte und sich weidlich unbeliebt machte.

Die großen Pläne des Schah sind wohl im Apparat erstickt. Leider wird meist auch Kritik im Keim erstickt. Der gutgeplante Pahlavi-Fonds hat sich laut Zeitungsmeldungen zu einem Pfuhl der Korruption entwickelt. Die Hilfsmittel erreichten nicht die Menschen „unten“, für die sie gedacht waren.

Wird es den Machthabern des neuen Regierungssystems gelingen, mit diesem großen Problemstau fer-tigzuwerden?

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