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Irland ohne IRA?

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Noch immer knallen in Irland die Schüsse, fallen Katholiken und Protestanten den Kugeln anonymer Fememörder zum Opfer, die man niemals erwischt, aber die Meldungen über solche Vorfälle habeil in drn letzten Tagen das- Bild der Lage eher verdeckt als gekennzeichnet, denn tatsächlich hat sich einiges geändert.

Bekanntlich hat die EWG nun zwei neue Mitglieder, Großbritannien und Irland. Diese beiden neuen EWG-Mitglieder, das kleine, wirtschaftlich schwache Irland, das auf eine seltsame Weise zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern rangiert, und das große, trotz seiner wirtschaftlichen Probleme ein gewaltiges Industriepotential repräsentierende England, werden aber nicht nur unweigerlich die EWG verändern, den Gemeinsamen Markt der Sechs, der nun ein Markt der Neun ist, in einen nicht wieder rückgängig zu machenden Entwicklungsprozeß stoßen. Die Mitgliedschaft in der EWG scheint — zusammenwirkend mit anderen Faktoren — auch das Verhältnis der beiden Neumitglieder zueinander zu verändern.

Denn die Schüsse, die nach wie vor in Nordirland fallen, werden zwar in unseren Breiten stärker zur Kenntnis genommen als die Verhaftung zahlreicher, der Zusammenarbeit mit der IRA verdächtiger Personen in der Republik Irland, aber diese Verhaftungen sind zweifellos das wichtigere, folgenreichere, daher auch interessantere Ereignis. De facto wurde damit erstmals eine Zusammenarbeit zwischen Irland und England in Gang gesetzt, noch dazu auf politischem Gebiet, auf hochbrisantem politischem Gebiet sogar.

Die negativen Seiten der Anti-IRA-Ermächtigungsgesetze, die

zweifellos den irischen Rechtsstaat partiell außer Kraft setzen und eines Tages ohne weiteres auch gefährliche Rückwirkungen auf Irlands Demokratie haben könnten, wurden am 16. Dezember vergangenen Jahres ausführlich in der FURCHE (sie!) kommentiert, und es bleibt die Frage, ob ein wirksameres Vorgehen gegen die IRA nicht auch möglich gewesen wäre, ohne so viel grundlegende rechtsstaatliche Substanz preiszugeben. Doch die Tatsache, daß sich Irland bereitgefunden hat, in einer nicht direkt ausgesprochenen, aber sehr fühlbaren Weise mit England im Versuch, Nordirland zu befrieden, zusammenzuarbeiten, kann nur positiv gewertet werden. Wenn es für Ulster noch eine Chance auf friedliche Entwicklung im United Kingdom gibt, eine Chance, zum Frieden seiner beiden großen Bevölkerungsgruppen und damit zu sich selbst zu. finden, ohne seine Eigenstaatlichkeit sofort aufzugeben, dann kann sie nur mit Duldung der Republik und in Zusammenarbeit mit dieser, aber nicht in einer gegenseitigen Frontstellung wahrgenommen werden.

Es geht darum, die IRA zu isolieren, wobei alle Beteiligten mit einer Reihe unbekannter Größen operieren. Irlands Premierminister Lynch konnte die schärfere Gangart gegen die IRA erst in einem Augenblick riskieren, in dem der Konflikt soweit eskaliert war, daß er auch die südirische Bevölkerung zu tangieren begann — erst in dieser Stunde der Wahrheit zeigte sich nämlich, wieviel von der emotiellen Stellungnahme eines großen Teiles der Bevölkerung in der Republik romantische Illusion war, und der blutigen Probe aufs Exempel, der Belastung durch nun auch in Dublin explodierende Bomben (egal, wer sie gelegt hat), nacht standhalten konnte. Je näher die Front den Bürgern der Republik kam, desto mehr schwanden ihre Sympathien für die Bombenleger und Heckenschützen.

Aber niemand kann heute mit Sicherheit angeben, wie stark der Rückhalt der IRA in der katholischen Bevölkerung Nordirlands tatsächlich noch ist — und über welche Möglichkeiten sie verfügt, um die Schwankenden bei der Stange zu halten.

Denn dabei spielt nicht nur die Skrupellosigkeit und der Terror der IRA eine Rolle, sondern auch der Druck, der auf der katholischen Bevölkerung Nordirlands lastet, der von der protestantischen Mehrheit auf sie ausgeübt wird. Und da dieser Druck, obwohl oder gerade weil er so lange von oben gefördert wurde,nunmehr von unten kommt, das heißt von der protestantischen Unterschicht ausgeht und sich gegen die katholische Unterschicht richtet, kann er kaum von heute auf morgen abgebaut werden.

Die Befriedung Nordirlands könnte eines nahen Tages von den militärischen Protestanten torpediert werden — und zwar in jenem Moment, in dem sich die IRA bereit zeigen könnte, einzulenken. Denn eine Befriedung Nordirlands wird mit großer Wahrscheinlichkeit einen historischen Prozeß der Annäherung der beiden Irland in Gang setzen. Und diese Annäherung wäre heute so wenig im Sinne der protestantischen Ultras wie vor einem halben Jahrhundert, damals haben bekanntlich die nordirischen Unionisten, jene Iren, die britischer dachten als die Briten, eine Lösung vereitelt, die auf eine Vereinigung Ulsters mit der Republik zielte.

Bestimmte Maßnahmen des südirischen Premiers Lynch sind ein deutliches Zeichen dafür, was er (und was vielleicht auch sein britischer Gesprächspartner?) im Sinne hat. Denn die Bekämpfung der IRA ging Hand in Hand mit Gesetzesbeschlüssen, die zwar Irland nicht gerade zum laizistischen Staat machen werden, aber die Republik für Protestanten annehmbarer machen sollen.

Ein Protestant hat zwar in der Republik ungleich größere Aufstiegschancen als ein Katholik in Ulster, er kann vor allem unangefochten unter seinen katholischen Mitbürgern leben, aber von einer vollen Gleichberechtigung der beiden christlichen Konfessionen und damit ihrer Gläubigen konnte doch noch keine Rede sein. Lynch scheint diesen Zustand ändern zu wollen.

Die Zukunft wird lehren, ob diese Rechnung aufgeht — oder ob alle die Rechnung ohne den Wirt namens IRA gemacht haben.

Österreich ist wieder zum interessanten Boden für ausländische Hochschullehrer geworden. Im Jahre 1972 kam ein Drittel aller bestellten Ordinarien aus dem Ausland — der Großteil aus der Bundesrepublik.

Zwar hat sich das Besoldungssystem in Österreich verbessert, aber der 7,ugang an Österreichs Hochschulen hat doch einen ganz anderen, tieferen Hintergrund. Denn die meisten der neuansässigen Hochschullehrer sind Flüchtlinge vor Hochschulreformen, die ihnen nicht mehr Möglichkeit und Sicherheit freier Lehre und Forschung geboten haben. Gleichzeitig bereitet auch Österreicli seine Reform vor und flicht in den Ministerialentwurf die gleichen Fehler ein, vor denen anderswo Hochschullehrer flüchten.

Aber vielleicht besinnt man sich noch? Vor allem auch innerhalb der Regierungspartei? Unter den eingewanderten Professoren sind einige, die der SPÖ nahestehen. Vielleicht kann man sich da Informationen holen, was derzeit etwa in Stuttgart, Berlin oder Heidelberg geschieht?

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