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Irlands verlorene Schafe

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Die neun Toten, die der bisher jüngste Anschlag der IRA in London forderte, sind — wie zu befürchten ist — noch nicht der letzte Meilenstein auf dem Weg der IRA von einer repräsentativen politischen Organisation zu einer Gruppierung isolierter Terroristen.

Die Frage, weshalb der Papst bei seinem Besuch in Irland im Herbst 1979 auf seinen Appell für Beendigung der Gewalt hin nicht mehr Gehör gefunden hat, geht von der falschen Voraussetzung aus, daß Papst und katholische Kirche für die IRA eine moralische Autorität bedeuten. Tatsächlich aber handelt es sich weder bei den republikanischen (katholischen) noch unionistischen (reformierten, protestantischen bzw. anglikanischen) Extremisten um praktizierende Christen.

„Wenn man die Position der republikanisch-extremistischen IRA in religiösen Begriffen umreißen wollte", konstatiert ein Irland-Fachmann im Vatikan, „kann man hur sagen: völlig indifferent und atheistisch. Politische Tendenz: marxistisch."

Ein katholischer Priester, der durch IRA-Verbindungen in seiner Familie gelegentlich Kontakt zu radikalen Terroristen hat, betonte, daß er sich von einer religiös durchsetzten Ideologie habe

überzeugen können, die historisch an die irischen Befreiungsbewegungen des letzten Jahrhunderts anzuknüpfen versuche, deren Blut- und Boden-Parolen die Untergrundkämpfer als irrationale (links)-faschistische Fanatiker ausweisen.

. Gegenüber der katholischen Kirche hegt die IRA ein seit den Tagen des Aufstandes von 1916 genährtes Mißtrauen. Damals hatte die Kirche die Träger des republikanischen Abenteuers exkommuniziert und die republikanische Freiheit Südirlands erst abgesegnet, als die Einrichtung eines irisch unabhängigen Parlaments sich als erfolgreich erwies.

Für die abstruse pseudo-kon-fessionelle Ideologie des extremistischen Unionisten-Flügels hingegen zeugt trefflich Pastor Jan Paisley, reformierter Parlamentsabgeordneter, der sein an der Macht befindliches „auserwähltes Volk" vor jeder Versuchung des Papsttums reinhalten möchte. Wie gering seine Einflußnahme

außerhalb seines unmittelbaren Wirkungskreises Nordirland ist, zeigten die eher lächerlichen Störversuche seiner Anhänger während des Papstbesuches in Großbritannien.

Wenn es auch seitens katholischer Priester gelegentlich zu unüberlegter Parteinahme für die republikanischen Extremisten kommt, sind derartige Stellungnahmen für die Haltung der „Amtskirche" ebensowenig repräsentativ wie die Proteste des Pastors Paisley für die reformierte Kirche. Im Gegenteil haben sich die führenden Vertreter der katholischen, anglikanischen und reformierten Kirche in den letzten Jahren wiederholt in gemeinsamen Erklärungen um die Einstellung der Bürgerkriegshandlungen bemüht und für eine friedliche Lösung plädiert.

Das ausgewogene Dokument der (gesamt-)irischen Bischofskonferenz zu den Hungerstreiks des vergangenen Jahres versuchte gleichfalls vergeblich, der

selbstzerstörerischen Radikalisierung Einhalt zu gebieten. Der katholische Bischof von Derry, Edward Daly, forderte vor einigen Wochen seine Gläubigen sogar dazu auf, jede Gewalttat unverzüglich anzuzeigen.

Beobachter bezweifeln jedoch, daß die Bemühungen der Kirchen, den Extremisten und Terroristen durch Aufklärungsarbeit das Wasser abzugraben, auch nur annähernd so erfolgreich sind wie die Spendenaktionen der in den USA lebenden 6,5 Millionen irischen Auswanderer. Die vermeintlich „für die notleidenden Familien in Ulster" gespendeten Dollars haben der IRA bereits zu respektablem Wohlstand verhol-fen. Die Terroropfer hingegen werden ohne Rücksicht auf konfessionelle und politische Zugehörigkeit von der britischen Regierung entschädigt, die auf diese Weise für die früheren Versäumnisse ihrer Nordirland-Politik bezahlen muß.

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