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Irreführende Zahlenspiele

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Das Wirtschaftsforschungsinstitut hat kürzlich die Kosten eines Medizinstudiums auf insgesamt 3J. Millionen Schilling geschätzt, von denen der Steuerzahler lj9 Millionen tragen soll. Die Ärztekammer wiederum schätzt, daß die Studienabbrecher der Medizinischen Fakultäten den Staat 84 Millionen an Steuermitteln kosten. Daher erklingt der Ruf: Noch weniger Medizinstudenten durch Einschaltung eines Einführungsjahres (FURCHE 49/1987). Dazu im folgenden eine Stellungnahme.

Der Beitrag „Herr Doktor, was kosten Sie uns?“ (FURCHE 49/ 1987) zeigt erschreckend, wie derzeit im Zusammenhang mit dem Problem der sogenannten Medizinerschwemme argumentiert wird. Es handelt sich um ein Problem, das mit gutem Willen gelöst werden kann, wenn gleichzeitig auch eine Reform des Medizinstudiums ermöglicht wird. Mit Milchmädchenrechnungen der Ärztekammer und des Wirtschaftsforschungsinstituts kann man sicher niemandem helfen.

Wenn man die Kosten für einen Medizinstudenten durch Dividieren des Bundesaufwandes für die medizinischen Fakultäten durch die Zahl der Studenten errechnet, dann ergibt sich eigentlich genau das Gegenteil von dem, was die Ärztekammer mit der berechneten Hausnummer ausdrücken möchte.

Klarerweise ist unter diesen Voraussetzungen das Studium pro Student umso billiger, je mehr Studenten Medizin studieren. (Ich vermute sogar, daß diese Überlegung seinerzeit, als das Medizinstudium von ministerieller Seite forciert wurde, eine gewichtige Rolle gespielt hat, sozusagen „im Dutzend billiger“!)

In der Milchmädchenrechnung wird weiter argumentiert, daß der „Ausfall an Staatseinnahmen“ durch den Verdienstentgang des Studenten den Kosten für das Studium hinzugerechnet werden muß. Diese unsinnige Annahme setzt voraus, daß ein Student, der vom Medizinstudium abgehalten wird, sofort als Maturant eine lukrative Arbeit findet.

Ferner: In dem Artikel wird mit Recht auf die unrealistisch lange durchschnittliche, effektive Studiendauer hingewiesen. Man hat in der letzten „Reform“ einfach noch mehr Stoff und Fächer in den Studienplan gestopft. Wenn aber nun gleichzeitig berichtet wird, daß auch noch ein zusätzliches propädeutisches (Einfüh-rungs-)Jahr gefordert wird, in dem übrigens in erster Linie die Unterlassungen der Mittelschule nachgepaukt werden sollen, dann greift man sich an den Kopf.

Solcher Unsinn ist längst von den zuständigen Studienkommissionen abgelehnt worden. Nur pfuschen leider derzeit gerade jene am heftigsten an Ideen für neue Studienpläne herum, die am wenigsten Erfahrung in Studium und Lehre haben, dafür aber die Möglichkeit haben, lauter zu agitieren.

So wichtig ein möglichst früher Kontakt der Studenten mit Patienten einzustufen ist, so hängt doch der Nutzen einer solchen

Maßnahme von deren Zielsetzung ab. Ich halte es für alle Betroffenen für eine Zumutung, als Eignungstest zum Medizinstudium Studenten versuchsweise auf Patienten loszulassen.

Und dann: Was für Prüfungen sollen über den definitiven Zugang zum Studium entscheiden? Etwa ein Multiple-Choice-An-kreuzlspiel? Ist das ein Weg, gute Ärzte zu rekrutieren? Was für einen Sinn haben Mittelschulstudium und Matura?

Was dringend nötig wäre, ist erstens eine Reform der Mittelschule, die ja eigentlich auf das Universitätsstudium vorbereiten sollte, und zweitens im Medizinstudium eine Betonung der praxisbezogenen Ausbildung, die auf die ärztliche Tätigkeit und auf den Umgang mit Menschen vorbereiten soll.

Es gibt — leider nur im Ausland —genügend und gut erprobte Vor- -bilder für einen wirklich auf das Ausbildungsziel eines praktisch tätigen Arztes ausgerichteten Studienablauf! Derzeit sieht ein tüchtiger österreichischer Medizinstudent, der sein Studium streng nach dem Studienplan und zeitgerecht absolviert, erst drei-und-ein-halb (!) Jahre nach Studienbeginn seinen ersten lebenden Patienten!

Der Autor ist Vorsitzender der Gesamt-österreichischen Studienkommission Medizin und Professor für Physiologie an der Universität Graz.

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