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Irrungen, Wirrungen

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Die ideologischen Plänkeleien zwischen den beiden Großparteien werden fortgesetzt. Noch haben sie nicht jenes Maß an Intensität und geistigem Tiefgang erreicht, daß eine breite Öffentlichkeit davon erfaßt und eine intellektuelle Minorität davon auch unmittelbar angesprochen wäre, doch schon zeigen sich erste und ernste Wirkungen auf die Parteilager. Die Volkspartei versucht in der Öffentlichkeit Mißtrauen gegen den wild wuchernden Sozialismus in Österreich zu wecken, traf damit zuerst auf Unverständnis, dann auch auf Ablehnung, zuletzt aber doch auf ein gewisses Interesse. Vorläufig aber bleibt als wichtigster Effekt der von ihr entfachten Ideologiediskussion die Solidarisierung ihrer Bünde, die nun plötzlich zu entdek-ken scheinen, daß es in der Politik ■mehr gibt als die Frage nach der Urlaubsdauer, den Streit um die Mitbestimmung und die Auseinandersetzung um Links und Rechts in einer Partei, deren Funktionäre und Mitglieder grundsätzlich für ein demokratisch und marktwirtschaftlich verfaßtes Gemeinwesen eintreten.

Es ist nicht allein die Situation in Österreich, die derlei Erkenntnisse wesentlich beeinflußte. Zu ernst war und ist die Gefahr des Kommunismus im Nachbarland Italien, zu undurchsichtig die Entwicklung des Nachbarn Jugoslawien nach dem Abtritt Titos, zu deutlich auch die Signale aus der Bundesrepublik Deutschland, wo der Wahlkampfslogan der CDU „Freiheit statt Sozialismus“ vor allem auf den Widerstand aller Linkskräfte trifft. Der SPD macht die Anti-Sozialismus-Kampagne, die nun alle Übel der Welt mit dem Etikett „Sozialismus“ beklebt, schwer zu schaffen. Und es gibt nun einmal in Europa eine tiefsitzende Antipathie gegen den Sozialismus, die die bundesdeutschen Sozialdemokraten seinerzeit mit dem Godesberger Programm und die österreichischen Sozialisten mit dem zum Programm stilisierten Bruno Kreisky erfolgreich überwanden.

Nun aber scheint es, als hätten da wie dort regierungspolitische Praktiken wieder die Ursachen dieser Antipathie gegen den Sozialismus freigelegt. Egalisierungstendenzen sind unübersehbar, der langsame Verfall von politischer Moral und bislang tabuisierter Sittlichkeit unverkennbar, schließlich aber der allmähliche Übergang demokratischer Spielregeln in formal- oder scheindemokratische Zustände leicht rekonstruierbar. Das alles mochte einige Zeit mit den Schlagworten „progressiv und fortschrittlich“ verdeckt werden, nun aber zwingen die Widersprüche zwischen utopischer Idee und gesellschaftlicher Wirklichkeit zum Nachdenken. Am Ende, so hoffen Helmut Kohl in Deutschland, Giscard d'Estaing in Frankreich, Margaret Thatcher in England und Josef Taus in Österreich, werde es zu einer Rückbesinnung auf bürgerliche Tugenden, Haltungen und Werte und damit zu entscheidenden Wahlerfolgen konservativer Parteien kommen. Die Richtigkeit dieser Überlegungen ist noch nicht bewiesen, aber die politische Entwicklung in den demokratischen Staaten von Mittel- und Westeuropa spricht jedenfalls nicht dagegen.

Wie immer bei der Wahl langfristiger politischer Strategien, geht es auch bei der Sozialismusdiskussion, denn darauf wollen die Herausforderer in ganz Europa, die Ideologiedebatte konzentriert wissen, um die

„Besetzung“ von Begriffen. So hat es seinerzeit, Mitte der sechziger Jahre, auch mit dem Durchbruch des Sozialismus in Europa begonnen. Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, mittelfristige Planung, politische Stabilität waren plötzlich zu Vokabeln des linken Sprachschatzes geworden. Kurt Biedenkopf, Generalsekretär der CDU, setzte sich als erster für die Rückgewinnung dieser Vokabeln ein, Josef Taus ist ihm in diesem Bemühen vielleicht am entschiedensten gefolgt. Entschiedener, als man dies von diesem kühlen Kopf viel-

leicht erwartet hätte. Dies löste auch bei jenen, die ihn genau zu kennen glaubten, Überraschung aus; die größte wahrscheinlich bei den österreichischen Sozialisten selbst, die auf die Rede von Hannover (siehe Kasten!) scharf reagierten.

Hätte etwa ein Karl Schleinzer, ein Hermann Withalm, ein Josef Klaus oder ein Alfred Maleta die Sozialismus-Debatte eingeleitet, sie hätten prompt ein heftiges Stahlgewitter bei sozialistischen Funktionären ausgelöst. Reaktionen wie Ständestaat, 1934, Law and Order wären rasch gefallen. Bei Josef Taus ist das etwas anderes; denn unbestritten ist, daß Josef Taus das marxistische Credo studiert hat und das marxistische Vokabular beherrscht. Das muß unsicher machen. Diesen Eindruck vertiefte auch ein Leitartikel in der „Arbeiter-Zeitung“, der von einem „Austriacus“ gezeichnet war. Fast demütig bat dieser Leitartikler, Josef Taus möge doch die Ideologie-Debatte ebenso rasch beenden wie er sie begonnen habe; um den Preis einer möglichen Zusammenarbeit.

Aus der Sicht Bruno Kreiskys etwa ist dieses Einlenken nur zu verständlich. Debatten über Wesen und Zielsetzungen des Sozialismus führen zuallererst zu einer Radikalisierung der politischen Flügel in der eigenen Partei. Vorläufig glaubt Bruno Kreisky, er könne diese Radikalisierung damit von der eigenen Partei abwenden, daß er eine sozialistische Jugendorganisation nach der anderen auflöst und einen noch schärferen verbalen Rechtskurs steuert. Verbotene Gruppen schweigen freilich nicht, im Gegenteil: sie flüchten noch stärker in die Radikalität. Manches freilich wird die Ideologie-Diskussion zwischen Bruno Kreisky und Josef Taus im Fernsehen beantworten können, wenn sie bald kommt — und sich Josef Taus besser vorbereitet als in vergangenen Tagen...

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